The mirror says, "Who the fuck are you?"
Wenn man Menschen zeigen will, die man genauer analysieren muss, um sie nicht nur zu verachten, macht man das im Theater. Und nicht in einem Film mit Julia Roberts.
Der Veteran scharfsinniger, gerne auch bösartiger Beziehungsdramen, Mike Nichols (
Die Reifeprüfung,
Wer hat Angst vor Virginia Woolf?) machte es trotzdem und ließ Patrick Marber auch gleich sein eigenes Theaterstück
Closer aus dem Jahre 1997 adaptieren.
Dan (Jude Law) ist ein erfolgloser Schriftsteller, Alice (Natalie Portman) ist eine Stripperin, die vor einer missglückten Beziehung von New York nach London geflüchtet ist, Anna (Julia Roberts in einer Rolle, für die ursprünglich die dann wegen ihrer Schwangerschaft ausgestiegene Cate Blanchett angeheuert wurde) ist eine aufstrebende Fotografin und Larry (Clive Owen) ist Dermatologe. Im Laufe des Films werden erst Dan und Alice ein Paar, bis Dan sich in Anna verliebt, sie ihn abblitzen lässt und daraufhin Larry kennen lernt, den sie heiratet, dann aber doch eine Affäre mit Dan anfängt, an der erst Dans Beziehung zu Alice und dann Annas Ehe mit Larry zugrunde geht, woraufhin Larry und Alice es kurz miteinander versuchen. Und damit ist es noch nicht zu Ende.
Nichols bringt hier das Kunststück fertig, einen klugen, analytischen, schonungslosen Liebesfilm über in gewisser Weise sehr unsympathische Menschen zu drehen, der auf Sentimentalitäten, Happy End und sonstige billige Zugeständnisse an den irgendwann mal eingebildeten Zuschauergeschmack des Hollywoodfilms verzichtet. Er konzentriert sich dabei, wie im Stück, ganz und gar auf nur vier Personen und ihre Dialoge. Er nimmt den Stärken des Ausgangsmaterials nie die Kraft, schafft es aber dennoch, zum Beispiel durch klug gesetzte Close-ups, treffende Schauplätze und einen in diesem Kontext bitterbösen Soundtrack von Damien Rice, sie mit den Stärken des Mediums Film so zu verbinden, dass man nie das Gefühl hat, nur eine abgefilmte Theatervorführung zu sehen.
Hautnah zeigt immer nur Anfang und Ende der Beziehungen und greift damit auf, wie die meisten von uns ihre Liebesbeziehungen nur zu leicht retrospektiv zurechtbiegen: Wir erinnern uns an die Höhe- und die Tiefpunkte, der Rest, ein Großteil der gemeinsamen Zeit, geht im Vergleich dazu und im Alltag unter.
In der Chronologie des Films werden also immer wieder – vielleicht unglaublich glückliche, wir wissen es nicht und müssen diese Leerstellen selbst füllen – Monate übersprungen. Das führt zu einer permanent aufgeladenen Spannung zwischen allen Beteiligten. Immer steht die gerade aktuelle Liebschaft auf dem Spiel. Immer hat jeder das, was er für gute Gründe hält, um grausam, kalt, hysterisch, selbstmitleidig, sadistisch, masochistisch, verachtend, hasserfüllt zu sein. Den Partnern gegenüber und denen, an die sie sie verlieren. Immer haben sie einen Grund, so zu tun, als wäre der Partner, den sie gerade nicht haben, das einzige, was ihre Existenz noch retten könnte, was in der Gesamtbetrachtung ironischerweise dazu führt, dass sie immer eine Zeit lang so tun, als würden sie halt einfach den lieben, der gerade verfügbar ist. Die Tagline des Films ist "If you believe in love at first sight, you never stop looking." Wenn du an die Liebe auf den ersten Blick glaubst, hörst du nie auf zu suchen. Alle vier wollen immer wieder hören, wie sehr sie geliebt werden. Sie wollen hören, dass die Bilder, die sie von sich selbst erschaffen haben, so ankommen, wie sie gedacht sind. Als Anna Larry sagt, wie wundervoll er ist, sagt er "Don't you ever forget that", und was da vielleicht noch spielerisch-humorvoll klingen kann, ist ebenso eine Drohung.
Sie idealisieren retrospektiv den Anfang einer Beziehung, mit dem Kitzel, dem Neuen, der Möglichkeit, sich zu erfinden, der Balance zwischen Macht und Selbstaufgabe, und nutzen dieses Bild, wenn es zu Ende geht – oder
damit es zu Ende geht. Sie stellen ihre aktuellen Partner immer perfider auf die Probe, nutzen die Schwächen gnadenlos aus, nennen ihre Grausamkeiten "Aufrichtigkeit" und warten doch nur darauf, einen Grund zu haben, wieder neu anzufangen. Sie halten das, was eigentlich nur ihr Vergnügen ist, für Liebe. Die vielleicht böseste Pointe ist, dass sie mit ihrem Gerede von Liebe und Aufrichtigkeit sich selbst am erfolgreichsten täuschen. Wenn man sich selbst sogar überzeugt hat, dass seine Launen, Gedankenlosigkeiten und Bosheiten keine sind, warum sollte man dann damit aufhören. Alice sagt auf einer Vernissage von Annas Bildern, das die Fotos Lügen sind, weil sie "a bunch of sad strangers photographed beautifully" zeigen und jeder nur die Schönheit sieht, weil er sie sehen will, wenn er zu einer Vernissage geht und damit auf eine beruhigende Lüge reinfällt. "Everybody loves a big fat lie." Sie halten sich zu clever für das, auf was sie doch selbst immer wieder hereinfallen.
In einer Szene, die ich hiermit offiziell zur besten erkläre, die "Pretty Woman" Julia Roberts je gespielt hat, erzählt Anna ihrem Noch-Ehemann Larry detailliert, wo und wie sie ihn mit Dan betrügt und sogar, was sie dabei denkt. Natürlich, er hat sie gefragt, und sie antwortet ihm nur, sie ist also ehrlich. Das ist es, was sie glauben will.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass jeder der vier bei den Partnern eine ganz eklatant andere Seite seines Selbst zeigt, zumindest in den Szenen, die wir sehen: Dan ist bei Alice ein charmanter, schlagfertiger Bengel, bei Anna aber ein hemmungslos "aufrichtiger" Romantiker; Anna ist für Dan Zielstrebigkeit und Autorität in Person, für den aggressiv männlichen Larry lässt sie diese Charakteristika fast völlig verschwinden und gibt ihm das Gefühl, sie zu erobern; Alice ist, als Dan sie kennen lernt, ein niedliches Mädchen von nebenan, bei Larry allerdings ganz die anrüchige Stripperin, die sie auch schon gespielt haben muss, bevor sie Dan traf. Hier ist ein weiterer Punkt, über den sich zu reflektieren lohnt: Sind diese Rollen nun in Fleisch und Blut übergegangene Manipulationen ihrer selbst und des jeweiligen Gegenüber, um an den nächsten Schuss zu kommen, oder sind sie unter diesen Verkleidungen doch nur so verzweifelt liebes- und bindungsbedürftig, dass sie sich dem potentiellen Partner selbstverleugnend anbiedern, so weit es nur geht? Und wo ist der Unterschied?
Als Anna ihre Bilder ausstellt, ist darunter auch eines von Alice, aufgenommen in dem Moment, in dem sie zu ahnen begann, dass sie Dan an Anna verlieren wird. Sie hat Tränen in den Augen. Es gehört zu der schleichenden Faszination des Films, das man sich fragt, ob dieser Moment nicht doch nur Posieren für ein Porträt ist, eine Lüge, die so verführerisch überzeugend ist, weil alle Beteiligten glauben wollen, dass sie keine Lüge ist. Weil sie so echt aussieht. Weil sie so aussieht, wie sie aussehen sollte.
Wie hässlich das alles auch klingt, mal ehrlich: Wer kennt diese Fehler nicht? Wer hat sie nicht selbst begangen?
Hautnah ist manchmal so beängstigend real, dass sicher so mancher Zuschauer Gefahr läuft, die Abneigung für einige Figuren als Schwäche des Films zu werten. Er provoziert und rechtfertigt eine Analyse des eigenen Verhaltens. Genau genommen ist das sogar der beste Grund, diesen Film anzusehen und dann auch wertzuschätzen: Für reine Selbstbestätigung a la "So schlimm bin ja nicht einmal ich!" ist er ebenso zu clever wie für seufzende Kitschromantik. Und wenn man diese Hürden erst einmal überwunden hat, kann man sich ganz auf die mal wunderbar eleganten, mal wunderbar vulgären Dialoge und die großartigen Darstellungen von Clive Owen, Natalie Portman, Julia Roberts und Jude Law einlassen, die der so unerbittlich hinschauenden Kamera eine Fülle von fein ausbalancierten Nuancen bieten. So kann man dann doch in jedem der vier Protagonisten auch eine zutiefst sympathische (im Wortsinn) Menschlichkeit entdecken. Sie mögen nicht das richtige tun, sie mögen die Gefühle anderer und wohl auch ihre eigenen mit Füßen treten, vielleicht ohne es zu merken, aber sie sind einem eigentlich kein bisschen fern.
Daraus bezieht
Hautnah seine Faszination und seinen Ausnahmestatus als vielleicht treffendster Liebesfilm für unsere Zeit.