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von Sebastian Schipper




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Eiskalt

Eiskalt

Ein Film von Michele Soavi

In Italien gibt es scheinbar ein Gesetz, dass ein Straftäter nach Absitzen seiner Strafe 5 Jahre Probezeit hat, und danach, bei guter Führung, ein freier Mann ist; man nennt das Rehabilitation. Giorgio ist genau so ein Mensch: als junger Erwachsener geriet er in die falschen Kreise, wurde Kommunist und Bombenleger, bis es ihn schließlich auch in den Urwald von Südamerika verschlug, wo er auf Seiten der Terroristen kämpfte. Zurück in Italien macht er einen Deal mit der Polizei und wird als Kronzeuge in Schutz genommen. Doch auch der für ihn verantwortliche Polizist arbeitet nicht sauber, und schon bald operiert Giorgio in rechtlich mehr als dunkelgrauen Zonen. Eigentlich will er nur seine 5 Jahre überstehen, ein Restaurant führen und eine Familie gründen, doch seine Vergangenheit steht ihm dabei im Weg...

Michele Soavis Eiskalt, oder im italienischen Original "Arrivederci amore, ciao" basiert auf dem gleichnamigen Roman von Massimo Carlotto. Carlotto selbst ist eine recht interessante Person, die schon vor der Schriftstellerkarriere im Rampenlicht stand. 1976 entdeckte der noch sehr junge Carlotto eine ermordete Studentin in Padua, Italien. Nun begann einer der kontroversesten Rechtsfälle in der italienischen Geschichte: zwar wurde er aufgrund der Beweislage zuerst für unschuldig erklärt, es gelang ihm aber scheinbar nicht, seine Unschuld tatsächlich zu beweisen. Daher wurde er zu 18 Jahren Haft verurteilt und flüchtete ins Ausland. In Mexiko wurd
e er schließlich verhaftet, ausgeliefert und erneut verknackt. 1993 ließ ihn die italienische Justiz aber nach massivem internationalen Druck frei. Über Details des Ablaufs schweigen sich die Quellen leider aus, wer einen Link dazu hat, kann ihn gerne in die Kommentare schreiben. Carlotto begann danach eine Karriere als Schriftsteller und gilt als einer der bedeutenden italienischen Autoren der Gegenwart und beschäftigt sich hauptsächlich mit Krimis. Zuerst schrieb er sehr stark autobiografisch gefärbte Werke, und 2001 erschien "Arrivederci amore, ciao", der 2007 ins deutsche übersetzt wurde und die Basis für diesen Film bietet.
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Der Film beginnt recht zünftig und stimmungsvoll im verregneten Dschungel. Die Kamera treibt den Fluss entlang und Soavi liefert uns gleich die ersten tollen Bilder. Nach kurzer Zeit legt dann Giorgio gleich mal den ersten Menschen, passend zum Titel, eiskalt um, und die Geschichte begibt sich wieder in die Städte dieser Welt. Hier gibt es dann leider auch schon die ersten großen Probleme des Films: zumindest ich hatte nach der ersten Sichtung große Probleme, die Handlung nachvollziehen zu können. Wo am Anfang ganz klassisch die Hauptfigur vorgestellt wird, überschlagen sich die Ereignisse dann (aber nur für den Zuschauer, der Film selbst bleibt gemächlich) und man versteht eigentlich nicht wirklich um was es geht. Da wohnt ein Schriftsteller (?) in Paris (?) der scheinbar mit Giorgios Zeit als Milizionär in Verbindung steht, aber danach nie mehr in der Handlung auftaucht. Auch die Einführung von Kommissar Anedda, die zweite Hauptfigur wird mitten ins Geschehen geworfen und präsentiert sich gleich mal als echter Scheißtyp. Aber warum Giorgio dann auf einmal mit ihm ein krummes Ding nach dem anderen abzieht bleibt im Dunkeln. Der Zuschauer wird buchstäblich ins kalte Wasser geworfen, rudert orientierungslos herum und muss zwangsläufig einfach ein paar Dinge akzeptieren und sich die Zusammenhänge selbst zusammen reimen.

Wirklich hilfreich dabei ist die Brutalität des Geschehens auch nicht. Das Blut fließt zwar nicht in Strömen, der Film erreicht auch nicht die nihilistischen Ausmaße eines "Until Death", aber Menschenfreundlichkeit und Optimismus ist auch etwas deutlich anderes. Kommissar Anedda ist einfach ein fieser Arsch, der selbst Dirty Harry zum kuschen bringen würde. Er schlägt und quält, dazu hat er auch kein Problem sich selbst zu bereichern. Giorgio fängt dann nach seiner Entlassung auch bald in einem Striplokal an, doch sein Chef ist auch ein übler Sadist. Giorgio solle doch bitte ein Auge auf eine Tänzerin werfen, die sich gestern abend die Pulsadern aufgeschnitten hat. Und er solle doch bitte sich etwas zum kaschieren der Verbände beim Tanzen überlegen, zumindest so lange bis sie volljährig ist. Aber Giorgio selbst ist auch ein absolut mieser Typ, der sich aber darüber bewusst ist und das im Off-Kommentar mehrere Male sagt. Ein guter Kunde hat viele Schulden, Giorgio nutzt das aus und gewährt ihm solange Aufschub, bis er das Geld hat. Dafür darf er aber mit seiner Frau vögeln, wovon er dann auch ausschweifend Gebrauch macht. Hier wird dem Leser eventuell auch das nächste große Problem des Films deutlich: wir verfolgen einen Mann, der ein normales Leben führen möchte. Allerdings haben wir keine Chance mitzufiebern, für keine Seite, da alles grundlegend - entschuldigung - Arschlöcher sind denen man den Tod an den Hals wünscht. Ein Paul Walker in "Running Scared" ist liebender Familienvater (und der Schlusstwist spült den Film zu weich), ein Van Damme in "Until Death" kämpft zumindest für Recht und Ordnung (wenn auch mit zweifelhaften Methoden), aber ein Giorgio in "Arrivederci amore, ciao" führt sich auf wie eine Wildsau. Erst gegen Ende, wenn er tatsächlich eine Frau findet, sich niederlässt und endlich rehabilitiert werden will, wird der Film fesselnder und man will doch wissen wie es ausgeht.

Das mag jetzt alles schrecklich mies klingen, aber das Gesehene ist durchaus gut. Man fiebert zwar nicht unbedingt mit Giorgio mit, aber zumindest langweilig wird es nach dem holprigen Beginn eigentlich nie. Zwischendurch überfallen Giorgio und ein paar weitere Gangster einen Geldtransport, was zu einer prima spannenden Sequenz führt. Soavi vermeidet hier effektiv, dass seine Geschichte im Kugelhagel absäuft, sondern er inszeniert routiniert und souverän. Überhaupt ist der Film prima fotografiert, Soavi und seinem Team gelingen schöne Bilder und ein paar tolle Kamerafahrten. Gerade der fast andauernde Regen untermalt die düstere Stimmung, und auch die Liebesgeschichte zwischen Giorgio und Roberto ist immer passend zur Stimmung gefilmt, die doch einige Male wechselt. Optisch ist der Film also für sein 4 Millionen Euro Budget also prima gelungen, man sollte aber keine übermässig flashige Inszenierung im Stile eines Tony Scott erwarten. In der zweiten Hälfte steigert sich der Film also und die Figuren werden langsam sympathisch. Hervorheben möchte ich noch kurz die vielen schönen Autos im Film ;) Immerhin fährt die Polizei, wie es in italienischen Filmen schon klassisch ist, wieder Alfa Romeo!
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Bei den Schauspielern handelt es sich größtenteils um italienische Eigengewächse, die man eh nicht kennt. Hauptdarsteller Alessio Boni spielte zuletzt in der TV-Mini-Serie "Krieg und Frieden". Carlo Cecchi, als witzige Anmerkung hat laut imdb 1938 in "Il Conte di Brechard" gespielt, obwohl er erst 1939 geboren ist. Darüberhinaus hat er es aber geschafft, scheinbar in keinem einzigen Giallo, Poliziesco, Horrorfilm oder Western mitzuspielen, was für italienische Verhältnisse schon herausragend ist. Am bekanntesten aus dem Cast dürfte dann sicherlich Michele Placido sein, natürlich aus "Allein gegen die Mafia". Er ist in der Rolle von Anedda tatsächlich herausragend. Die interessanteste Person ist dann aber schon Regisseur Michele Soavi. Soavi begann seine Karriere als Darsteller, arbeitete aber auch schnell als Regisseur. Dabei arbeitete er mit vielen bekannten Namen zusammen, darunter Joe D'Amato (also Aristide Massaccesi), Lucio Fulci, Lamberto Bava und Dario Argento. Soavi ist übrigens der Freund des Gedärme-kotzenden Mädchens in "Ein Zombie hing am Glockenseil". Er wurde dann sowas wie der Zögling Argentos, arbeitete unter anderem als Second-Unit-Director an "Tenebre", aber auch als Spezialeffekt-Mann bei "Opera". Nach ein paar ersten eigenen Filmen, legte der wie aus dem Nichts (alle seine vorhergehenden Filme die ich bisher gesehen hab, fand ich größtenteils mediocre) den vielleicht besten Zombiefilm der 90er Jahre vor: "Dellamorte Dellamore" aus dem Jahre 1994, irgendwo zwischen Romero, Lynch und Burton schuf er sein persönliches Meisterwerk. Kürzlich kündigte er an, dass er endlich wieder einen Horrorfilm drehen wird!

Auf DVD gibt es den Film nun unter dem neuen Namen "Eiskalt" von e-m-s. Das Bild ist sehr gut, allerdings hätte ich mir ein satteres Schwarz gewünscht. Der Ton liegt sogar in dts vor, die Synchro ist in Ordnung, wirkt aber manchmal etwas künstlich und erreicht dabei natürlich nicht Kinoqualität, aber sonst geht sie voll in Ordnung. Extras gibt es leider sehr wenige, eigentlich nur ein paar Darstellerinfos und den italienischen sowie deutschen Trailer. Dazu gibt es noch weitere Trailer aus dem Programm von e-m-s. Wieder einmal an dieser Stelle ein herzlicher Dank für die Bereitstellung eines Exemplares!

Fazit: "Eiskalt" kämpft nach dem hakeligen Einstieg darum, den Zuschauer zu fesseln. Wer sich aber an den schönen Bildern Soavis erfreuen kann, und auch die Brutalität und Antipathie der Charaktere überstehen kann, darf sich in der zweiten Hälfte über einen doch recht gelungen Film freuen, auch wenn es handlungsmäßig eher wenige Überraschungen gibt.

Eine Rezension von David Kugler
(23. Januar 2008)
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Daten zum Film
Eiskalt Italien 2006
(Arrivederci amore, ciao)
Regie Michele Soavi Drehbuch Marco Colli, Massimo Carlotto, Franco Ferrini
Produktion Rai Cinema
Darsteller Alessio Boni, Michele Placido, Isabella Ferrari, Alina Nadelea, Carlo Cecchi
Länge FSK 16
Filmmusik Andrea Guerra
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