von Asokan Nirmalarajah
Capitalism: A Love Story (2009, dt. Titel:
Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte), das wird einem spätestens bei den letzten melancholischen Worten des Regisseurs aus dem Off bewusst, mag vielleicht der letzte ‚Dokumentarfilm’ von Michael Moore gewesen sein. Nicht nur dass einer seiner unfreiwilligen Interviewopfer ihm auf seine gewohnt sarkastische, gespielt-verzweifelte Frage
„Do you have any advice?“ zuruft:
„Yeah, stop making movies!“ Moore, wie er in vielen Interviews zum Film verlauten ließ, will einfach auch nicht mehr der einzige Amerikaner sein, der die Ungerechtigkeiten in seinem Heimatland (mit einem – oft sehr oberflächlichen – Seitenblick auf andere Nationen) beklagt, sondern fordert sein Publikum direkt dazu auf, an einer Revolution von unten gegen die profitorientierten oberen Schichten der US-Gesellschaft teilzunehmen. So liefert der wohl berühmteste ‚Dokumentarfilmer’ unserer Zeit – eine Berufsbezeichnung, die ihm nicht wenige Zunftgenossen kopfschüttelnd absprechen würden – mit seiner jüngsten, etwas unglücklich betitelten Regiearbeit einen gewohnt amüsanten und ergreifenden, aber auch recht langen und sehr vertrauten Michael-Moore-Film ab, der sich als eine frustrierte Summation seiner gesamten Karriere als drolliger Regimekritiker und s
einer früheren polit- und sozialtheoretisch interessierten Filmessays versteht. Und die Schlussfolgerung, zu der er zum möglichen Ende seiner 20jährigen Karriere als populärste antagonistische Stimme in den amerikanischen Medien gelangt? Der Kapitalismus, der ist an allem Schuld. Na dann… Amen!
Moore begann seine Karriere als Filmemacher mit dem eindrucksvollen Low-Budget-Dokumentarfilm
Roger & Me (1989), in dem er die wirtschaftliche Verelendung seiner geliebten Heimatstadt Flint, Michigan beklagte und die Schuld dafür in der Schließung der dortigen Werke des US-Automobilkonzerns General Motors sah. Der mitunter amüsante, aber größtenteils sehr deprimierende Film über die finanzielle und moralische Verwahrlosung der Einwohner einer US-Industriestadt fasst bereits mit seinem Titel die typische Dramaturgie eines Michael-Moore-Films zusammen: Der recht spannende, aber stark forcierte und im nachhinein als teilweise konstruiert offen gelegte Handlungsstrang des Films schildert die verzweifelten und letztlich vergeblichen Versuche eines kleinen Journalisten (Moore, das
Me im Titel, das sich aber auch auf jeden benachteiligten Amerikaner der Arbeiterschicht übertragen ließe), ein Interview mit dem damaligen Chef von General Motors,
Roger Smith zu bekommen. Dieses sehr erfolgreiche narrative Prinzip vom dicken Durchschnittsamerikaner mit Baseballkappe und Brille, der nach einfachen Antworten auf die komplizierten Ungerechtigkeiten in seinem Heimatland sucht und dabei Politiker und Konzernbosse verärgert, zieht sich darauf durch alle Filme (und Bücher) des Systemkritikers Moore und machte den einstigen Low-Budget-Filmemacher damit auch zu einem kommerziell sehr erfolgreichen Regisseur und Autor satirischer Filme bzw. Bücher.
Nachdem er sich in seinen bisherigen Filmen unter anderem über die unfairen Massenentlassungen in den USA, dem ‚Downsizing’ der 90er Jahre (
The Big One, 1997), über die absurden amerikanischen Waffengesetze (
Bowling for Columbine, 2002), über die umstrittene Bush-Regierung (
Fahrenheit 9/11, 2004) und über das marode US-Gesundheitssystem (
Sicko, 2007) aufgeregt hatte und nach eigenem Bekunden nie wirklich zum Kernproblem vorgedrungen war, kommt er in
Capitalism: A Love Story zu dem typisch engstirnigen Schluss, dass an allem nur das kapitalistische System der USA Schuld habe. Mit seiner altbewährten Mischung aus einer melodramatischen Vermittlung der Schicksale einzelner Amerikaner, der satirischen Aneinanderreihung absurder Instanzen sozialer Ungerechtigkeit und einem grundsoliden erzählerischen Tempo geht der putzige Demagoge Moore (nicht ganz ohne Selbstironie) diesmal den Ursachen für die weltweite Finanzkrise der letzten Jahre auf den Grund. Ursprünglich geplant als eine direkte Fortsetzung zu seinem kommerziell erfolgreichsten Film
Fahrenheit 9/11, um die zweite Amtszeit von George W. Bush aufs Korn zu nehmen, verschob sich der Schwerpunkt von
Capitalism: A Love Story erst auf eine Kritik amerikanischer Großunternehmen, um dann mit der Finanzkrise einen konkreten Ansatzpunkt zu finden. Entsprechend wenig fokussiert und stringent wirkt auch der fertige Film.
Dennoch findet man in
Capitalism: A Love Story, der zwar nicht so unterhaltsam ist wie
Sicko und
The Big One und selten an den Einfallsreichtum von
Bowling for Columbine heranreicht, aber immerhin nicht derart von Wut und Selbstgerechtigkeit geblendet ist wie der eher mittelmäßige
Fahrenheit 9/11, die typischen Moore’schen Segmente. Neben amüsanten Generalisierungen (das alte Rom = Amerika nach 2000), ergreifenden Interviews mit betroffenen amerikanischen Familien (über Firmen, die von den heimlich abgeschlossenen Lebensversicherungen ihrer toten Mitarbeiter profitieren, während deren unwissenden Angehörigen mittellos dastehen!), satirischen Verfremdungseffekten (ein Christus-Darsteller, dem kapitalistische Grundsätze in den Mund gelegt werden), absurd-grotesken Einzelschicksalen (ein Flugzeugpilot, der sich mit Lebensmittelmarken ernähren muss!) und satirischen Aktionen (Moore fährt mit einem Geldtransporter auf der Wall Street herum und will die Finanzkredite für die US-Banken den Steuerzahlern zurückführen) sieht man Moore immer verzweifelter gegen amüsierte Wachmänner anlaufen, für die er mittlerweile ein bekanntes Gesicht ist. Moore macht hier also nichts Neues und findet wieder mal zu seinen gewohnt naiven, unterkomplexen Schlüssen. Doch was bei
Capitalism: A Love Story erstmals wirklich deutlich wird ist, wie sehr Moores ‚Dokumentarfilme’ dem klassischen Hollywoodfilm ähneln: sehr komplexe, historische Zusammenhänge werden hier immer wieder melodramatisch reduziert auf persönliche Schicksale, die direkt an die Gefühle der Zuschauer appellieren. Daran ist auch nicht wirklich was auszusetzen, außer vielleicht, dass ein Dokumentarfilm eigentlich eine ausgewogenere Darstellung verfolgen sollte, statt zu einer verschleiernden, stilisierenden Emotionalisierung realer Zustände und Begebenheiten beizutragen.
But that's just Mike ...