(USA, 1986)
"I know, something about, opening windows and doors / I know, how to move quietly, to creep across creaky wooden floors"
(Peter Gabriel, "Intruder")
"Save yourself, kill them all!"
Man scheint sich ums Verrecken nicht darüber einig zu sein, wie man diesen Film nennen soll. Die DVD ist bei der verwirrenden Lösung geblieben und verpasste ihm eine Mischung aus dem amerikanischen Originaltitel und dem der Buchvorlage (
Manhunter – Roter Drache). In vielen Datenbanken wird er unter dem sinistren Titel geführt, mit dem er 1987 in die deutschen Kinos kam (
Blutmond). Auch die Variante
Roter Drache - Blutmond wurde schon gesichtet.
Es handelt sich hier um die erste Thomas Harris-Verfilmung, in der Docktor Hannibal Lector auf den Plan trat. Während dieser Klassiker von Michael Mann recht mäßig lief, feierte Jonathan Demme fünf Jahre später mit
Silence of the Lambs (
Das Schweigen der Lämmer, 1991) königliche Erfolge. Dort zelebrierte Anthony Hopkins diese Rolle in all ihrer lasziven Dämonie und Doppelbödigkeit, während Brian Cox nur einige wenige Szenen blieben und zur Randfigur degradiert wurde. Doch das allein kann nicht der Grund für den kommerziellen Misserfolg von
Manhunter sein. Vielmehr erscheint Manns Film, vor allem seine Sprache und Bildsprache, fast schon visionär. Zumindest zeichnet er eine Entw
icklung vor, die das Genre der Kriminalserie erst viel später, nach 9/11 nehmen sollte.
Es existiert auch ein Remake. Nachdem mit
Hannibal (Ridley Scotts größter Fehltritt von 2001) ein wirklich untauglicher Versuch unternommen wurde, an den Erfolg und die Klasse von Demmes Film anzuknüpfen, drehte Brett Ratner ein Remake mit Edward Norton und natürlich Anthony Hopkins, der in den Köpfen der Zuschauer untrennbar mit der Rolle des Hannibal Lector assoziiert war. Brian Cox aber ist zu unrecht vergessen, denn seine Interpretation hat eine eigene Klasse, die bei Mann eine subtile Wirkung entfaltet, wo Hopkins Prätentiösität eher gestört hätte.
Auch dass wir es in diesem Film mit einem wirklich bösartigen und abartigen Killer zu tun haben, kann keine Erklärung sein. Das letzte Mal, als das Publikum einen psychopatischen Mörder angewidert ablehnte, war bei Michael Powells
Peeping Tom (
Augen der Angst, 1960). Und fast im selben Atemzug akzeptierte es den nicht weniger meschuggen Norman Bates in Alfred Hitchcocks
Psycho (1960). Und die Slasher der Siebziger und frühen Achtziger Jahre wurden insgeheim sogar als heimlicher Star gefeiert. Niemand weiß, wie viele arme Loser im Kinosessel saßen und Leatherface heimlich anfeuerten, sich die Mädchen zu holen und zu zersägen, von denen sie im realen Leben einen Korb nach dem anderen kassierten. Das Horrorgenre war prädestiniert dafür, den Zuschauer Rachephantasien im geschützten Raum der Fiktion ausleben zu lassen. Wieso sollte so ein hart gesottenes Publikum also Probleme mit dem roten Drachen haben?
Vielleicht liegt es an Manns Art des Inszenierens, die ihm schon früh den Ruf einbrachte, ein virtuoser Stilist zu sein. Wohlgesonnene nannten es Realismus, nur etwas überhöhter als die Realität. Seine Kritiker monierten häufig den kalten Hochglanzlook, den man vor allem in seinem Straßenfeger
Miami Vice begutachten konnte. In
Manhunter hatte er das Feld des Kriminalismus nicht verlassen, doch vergleichen kann man diese beiden Dinge trotzdem schlecht.
Hier erzählt Mann die Geschichte des Ermittlers Will Graham (William Petersen), der die Gabe besitzt, Mörder aufzuspüren, in dem er sich in ihre Psyche und ihr Handeln hinein versetzt. Er wird auf einen Killer angesetzt, der zwei Familien in unterschiedlichen Bundesstaaten tötete und ihnen die Augen mit Spiegelscherben füllte. Es scheint sich dabei um eine Menschen zu handeln, der sich in einem Wandlungsprozess wähnt und die Toten als Zuschauer missbraucht. Die Presse nennt ihn ‚Zahnfee’, denn mehr als ein Abdruck seines Gebisses existiert nicht. Eine Geschichte also, die so schrecklich ungewöhnlich nicht ist (bis auf die Glasscherben). Graham nimmt die Fährte auf, kontaktiert dazu auch Hannibal Lector, von dem er sich nicht nur Informationen erhofft, sondern halb durch Zufall auf eine heiße Spur stößt. Anscheinend halten Lector und die Zahnfeeh Briefkorrespondenz, die nun vom FBI-Team geschickt dechiffriert werden muss. Auf einen ‚Who-Done-It-Plot’ lässt sich Mann gar nicht erst ein, bereits nach einer Stunde sehen wir den Mörder, den hünenhaften, kontaktscheuen Francis Dollarhyde (Tom Noonan) bei seiner alltäglichen Arbeit in einem Polaroid-Entwicklungslabor. Das ist auch nicht weiter wichtig, denn
Manhunter gehört zu den Krimithrillern, bei denen der Weg das Ziel ist.
Man kann schon verstehen, warum der Film als durchaus ungewöhnlicher Vertreter seines Genres empfunden wurde. Mann machte vieles anders. Allein die unspektakuläre Klein-in-Klein-Arbeit des Kriminalisten, die ansonsten im Verborgenen stattfindet, wird in den Vordergrund gestellt. Das Analysieren von Schriftbildern auf Bekennerbriefen, das Aufstöbern von Beweisen via 'Metansonde'. Der Technizismus dieses Filmes ist wirklich außerordentlich. Die Nüchternheit der Sprache passt zu den Bildern, die oft die Strenge der Form suchen. Vor allem symmetrische Architektur und kühle Farben haben es Mann angetan.
Es ist dabei gerade jener Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, der auch neuzeitliche Krimiserien wie
CSI,
Criminal Intent oder ähnliche kennzeichnet. Und der heute, gerade im Post-9/11-Zeitalter, ein erschreckendes Ausmaß angenommen hat. Was bei Mann Mitte der Achtzigerjahre noch exotisch und neu wirkte, das ist heute in seinem Anspruch auf naturwissenschaftliche Exaktheit gebieterisch und latent totalitär. Ermittlungsarbeit findet fast ausschließlich in Laboren statt, in denen Proben genommen und Analysen erstellt werden. Dann kommen Kamerafahrten ins Innere des Opfers, um uns zu zeigen wie es aussieht, wenn Organe versagen oder Kugeln lebenswichtiges Gewebe beschädigen. Die Botschaft an alle Mörder und bösen Menschen lautet: wir kriegen euch, und wenn erst mal die Laborergebnisse auf dem Tisch liegen, gibt´s kein vertun mehr. Am Ende steht nur noch unumstößliche Wahrheit, die keine Zweifel erlaubt. Colt Seavers, Magnum oder die Simon-Brüder gingen früher raus auf die Straße, kloppten sich, spielten mit den Gegenspielern Scharade und fuhren haufenweise Autos zu Schrott. Und gelacht werden dürfte auch mal. Moderne Krimiserien sind so kalt und herzlos, dass man als Zuschauer eher Mitleid mit dem Täter bekommen könnte. Humor gibt es so gut wie nicht mehr, auch keine Gewitztheit im Finden von Beweisen. Forensik ersetzt Intuition. Das mag nah an der Realität sein. Es bleibt aber manchmal rätselhaft, warum diese Kälte heutzutage beim Zuschauer ankommt.
In
Manhunter gehen psychologische Begabung und Wissenschaft noch Hand in Hand und sind, aus heutiger Perspektive, weit entfernt von solchen Auswüchsen. In Will Graham fließen diese Ströme zusammen. Als Typus ist er eher ungewöhnlich. Er erinnert weder an die schnodderschnauzigen Draufgänger, wie es viele andere Seriendetektive waren, noch an ein mürrisches Ein-Mann-Kommando Marke Dirty Harry. Graham ist sensibel und reserviert, oftmals wie in sich zusammengesunken wirkend. Wenn er sich zum Schluss mit Dollarhyde duelliert, wirkt das eher unbeholfen als heroisch. Und seine Begegnung mit Lector hat tiefe Narben hinterlassen. (Es wirkt wie eine böse Ironie, dass Petersen ja nun selbst eine Hauptrolle in einer dieser Serien hat.)
Mann inszenierte
Manhunter mit viel Raffinesse und Gespür für geschickt dosierte Stilistik, die deutlich über dem hinausragt, was man Realismus nennen könnte. Die Szene, in dem Graham und Lector im Film zum ersten Mal im Gefängnis aufeinander treffen ist ein Beweis für seine systematische Kunstfertigkeit. Beide sitzen sich gegenüber. Graham trägt einen dunklen Anzug und blondes Haar, Lector weiße Sträflingskleidung und schwarzes Haar. Der Rest des Raumes ist komplett in blendendes Weiß getaucht. Graham müsste eigentlich aufgrund seiner Position der Chef im Ring sein, doch allein die Farbgestaltung zeigt, dass er ein Eindringling in Lectors Reich ist. Wenn die Kamera zwischen den beiden hin uns her schwängt, verdeutlicht sich das Spiegelmotiv. Vor allem, weil Lector Graham an eine extrem unangenehme Sache erinnert, kurz bevor dieser, von bösen Erinnerungen übermannt, aus dem Raum stürmt: „Der Grund, weshalb Sie mich damals erwischt haben ist, dass wir beide gleich sind.“
Auch das beeindruckende Finale zeugt von großer Liebe für Detail und Dramatik. In Dollarhydes Haus sind alle Einrichtungsgegenstände auf irgendeine Art und Weise verfremdet und symbolisieren die Wirrnis eines kranken Geistes. Im Hintergrund läuft die lange 17 Minuten-Version von Iron Butterflys „In-A-Gada-Da-Vida“. Pünktlich zum großen Break springt Graham durch die Fensterscheibe und kämpft mit Dollarhyde um das letzte Opfer.
Die Atmosphäre in
Manhunter ist ungemein böse und beunruhigend. Das ist nicht zuletzt dem Soundtrack von Michael Rubini zu verdanken, der viele Szenen in eine wabernde, unheilvolle Synthesizermusik taucht. Zusammen mit Manns Einfallsreichtum werden daraus Sequenzen geboren, die ungemein subtil wirken. Die ersten Minuten des Films sind ein gutes Beispiel dafür. Wir hören die Synthies, wir sehen den Schein einer Taschenlampe, der sich nachts durch ein dunkles Haus tastet. Das Licht richtet sich dann im Schlafzimmer auf ein schlafendes Ehepaar. Der Unbekannte macht (noch) nichts, hält mit einer beängstigenden stoischen Ruhe und Vehemenz den Strahl auf die ahnungslosen Opfer. Nach einigen Sekunden, die aber quälend lang wirken, wacht die Frau auf, blickt geblendet in den Lichtstrahl. Kurz bevor sie zu realisieren scheint was geschieht, erfolgt der Schnitt und der Vorspann beginnt. Wenn das jetzt nicht perfide und fiese ist, was denn dann?
Manhunter hat es verdient, als bislang beste Harris-Verfilmung angesehen zu werden. Manns bester Film bleibt er sowieso.