Spiel`s noch mal, Sam!…
Bevor “Casablanca” 1942- auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs- in New York seine Kinopremiere erfuhr, wurde der Film als einfacher antifaschistischer Propagandafilm beworben, den das Studio Warner Bros. mit lächerlichen 20.000 Dollar finanzierte. Heute gilt Michael Curtiz` legendäres Edel- Melodram mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman als einer der größten, unsterblichen Klassiker Hollywoods, denen eine zeitlose Bedeutung zugeschrieben wird. Das legendenumwobene Meisterwerk ist aus den Bestenlisten der Fachmagazine nicht mehr wegzudenken. Über diesen sagenhaften Erfolg muss sich wohl auch die Taschentuch- Industrie außerordentlich gefreut haben…
Zum Hintergrund: Casablanca, eine einflussreiche Handelsstadt im Nordwesten Afrikas (genauer gesagt in Marokko), bildete während des 2. Weltkriegs einen wichtigen Stützpunkt für die Alliierten Streitkräfte und beherbergte Flüchtlinge aus ganz Europa. Im Januar 1943 trafen sich auf der so genannten Casablanca- Konferenz US- Präsident Franklin D. Roosevelt und Englands Premierminister Winston Churchill, um eine gemeinsame Strategie gegen die Achsenmächte Deutschland, Japan und Italien auszuarbeiten. Schließlich nahmen die Widerstandskämpfer Sizilien ein, um von dort aus weiter gegen die nationalistischen Schergen u. a. des Hitler- Regimes zu operieren.
Vor dieser zeitgeschichtlichen Kullisse siedelte Curtiz seine dreifach Oscar- pr
mierte Kult- Romanze an, die von dem politisch neutralen Einzelgänger Rick Blaine (Humphrey Bogart) erzählt, dessen “Café Americain” der Dreh- und Angelpunkt für Kriegsflüchtlinge mit unterschiedlichsten Hintergründen, Zielen und Gesinnungen ist, die darauf hoffen, Ausreisevisa zu ergattern und sich somit vor dem sicheren Tod zu retten. Hier trifft Rick durch Zufall seine Ex- Geliebte Ilsa Lund (Ingrid Bergman) wieder, die ihn für tot gehalten hatte und deren Mann Victor Laszlo (Paul Henreid) aus dem Konzentrationslager entkommen ist und sich im Fadenkreuz der Nazi- Verfolger um den skrupellosen Major Strasser (Conrad Veidt) befindet. Laszlo möchte ebenfalls in den Besitz solcher Visa gelangen, ist dabei jedoch auf Rick angewiesen, der die begehrten Papiere in seine Obhut genommen hat und nun in einer Zwickmühle steckt. Verweigert er Laszlo die Visa, riskiert er dessen Leben- händigt er ihm sie aus und lässt ihn mit Ilsa davonziehen, würde er ihn zwar aus der Gefahrenzone befreien, gleichzeitig aber auch seine große Liebe, die er nicht vergessen kann und will, (ein zweites Mal) verlieren. Rick ist hin- und hergerissen…
Die Schlussszene des Films, in der sich entscheidet, wie die emotionsgeladene Dreiecksgeschichte ausgeht (darüber wurden im Übrigen auch die Darsteller selbst bis zuletzt im Unklaren gelassen!), dürfte wahrscheinlich auch denjenigen, die “Casablanca” noch niemals gesehen haben, bekannt sein. Bogarts “Here`s lookin` at you, Kid!”, welches er Bergman am Ende auf dem Flughafen entgegenschmachtet, ist eines der berühmtesten Zitate der Filmgeschichte und landet regelmäßig an der Spitze der Rangliste der “Top 100 Movie Quotes”. Dies ist jedoch längst nicht der einzige Grund für den Status als einer der unangefochtenen Filmklassiker, den “Casablanca” (völlig zurecht) trägt. Das Drehbuch, welches Julius J. und Philip G. Epstein verfassten, ist vom dramaturgischen Aufbau her schlichtweg perfekt und erzählt nicht zuletzt eine zeitlose Geschichte, die keinesfalls nur auf den gefährlichen und umtriebigen Kriegsschauplatz beschränkt ist, sondern lediglich eine Schablone für die zahlreichen Konflikte schafft, in die die Protagonisten dieses Films verwickelt sind. Jene Konflikte ergeben sich zwar aus der verzweifelten Situation, in der die Ängste vor der Massenverfolgung und -vernichtung durch die NS- Behörden und der angestrengte Kampf ums Überleben in einer Welt des Grauens kulminieren, doch das heißt nicht, dass der Film nur im Zusammenhang mit diesem welthistorischen Ereignis gesehen werden könnte, welches Millionen Menschen das Leben kostete.
“Casablanca” dokumentiert die Gefühlswelt von Menschen, die bedingt durch äußere Umstände gezwungen sind zu handeln, eine Entscheidung zu fällen- und das möglichst schnell. Das Herzstück des Films ist das Beziehungs- Dreieck Ilsa, Rick und Victor Laszlo. Rick, ein mit allem hadernder, hoffnungslos einsamer Zyniker, der jeden Tag Zeuge verschiedenster Schicksale wird, die seinen Weg zwangsläufig kreuzen, während er an seinem Whiskey nippt, ist sich darüber im Klaren, dass seine Liebe zu Ilsa keine Zukunft hat und dass eine glückliche Beziehung zu ihr auf Illusionen aufbaut. Er weiß, dass er Ilsa verlieren wird und hat schwer an dieser Tatsache zu schlucken. Dennoch hilft er ihr und Victor und verschafft letzterem das Ausreisevisum, weil er erkennt, dass er damit das Richtige tut. Erst durch Victor wird er, Rick, der mit Politik und dem ganzen Drumherum nichts am Hut haben wollte, unausweichlich in das rücksichtslose Kräftemessen zwischen den Kriegssupermächten hineingezogen und gerät somit unter Zugzwang. Und Ilsa? Sie ist das begehrenswerte Objekt, die Frau, die zwischen zwei Männern steht, und für die Rick letztlich einen heldenhaften Liebesbeweis erbringt, indem er ihrem Mann das Leben rettet.
Ricks Nachtclub “Cafè Americain” ist das Ballungszentrum solcher schicksalhaften Begebenheiten, die ebenso das Leben hätte schreiben können. “Casablanca” ist gewiss kein Kitsch, sondern eine durchaus realistische Momentaufnahme eines Ortes, den die Zeit vergessen hat, natürlich mit den Kunstgriffen, die das Kino zu bieten hat, den Freiheiten, die dieses Medium sich eben nehmen darf. Rick`s Café- Hier laufen alle Fäden zusammen, hier kommen die unterschiedlichsten Menschen aus den unterschiedlichsten Gebieten der Welt zusammen- bedingt durch die Wirren des Krieges- hier liegen Hoffnung und Verzweiflung unmittelbar beieinander. Ricks Cafè ist eine Welt für sich, in der es heißt, zusammenzuhalten, unabhängig davon, wo man herkommt oder welchen Stand man in der Gesellschaft hat. Eine Botschaft, die zwar im Besonderen- aber eben nicht ausschließlich- zur damaligen Zeit die Herzen der Zuschauer wärmte.
Neben Filmlegende Bogart, der hier als Barbesitzer Rick Blaine den Romantiker mit gebrochenem Herzen gibt und dennoch genauso cool und zynisch ist wie sein Privatdetektiv Sam Spade aus “The Maltese Falcon“, und der ausdrucksstarken Bergman (beide zusammen bildeten ein ähnlich beliebtes und fotogenes Kino- Traumpaar wie Clark Gable und Vivien Leigh in “Vom Winde verweht”), standen mit Paul Henreid, Conrad Veidt, Peter Lorre und Curt Bois einige Akteure vor der Kamera, die auch im wahren Leben von der Tyrranei des Krieges nicht unberührt blieben und vor den Nationalsozialisten nach Amerika fliehen mussten. “Casablanca” gelang im Laufe der Jahrzehnte der märchenhafte Aufstieg vom wenig beachteten B- Movie zum Filmklassiker der Superlative und ist sehenswert wie eh und je. Und deshalb darf Sam (Dooley Wilson) auch gerne immer wieder sein “As Time Goes By” auf dem Klavier zum Besten geben…