Rwanda 1994: Joe Connor (Hugh Dancy) arbeitet im Ecole Technique Officielle (ETO) als Lehrer. Zusammen mit seinem Vorgesetzten Father Christopher (John Hurt) unterrichtet er dort Kinder und beherbergt gleichzeitig die Basis von Capitaine Charles Delon (Dominique Horwitz) und seiner Männer. Diese Blauhelm-Soldaten haben von der UN den Auftrag, den Frieden in Rwanda zu überwachen. Als das Flugzeug des Präsidenten, ein Hutu, abgeschossen wird, starten die Hutus einen Genozid gegen die andere Bevölkerungsgruppe, die Tutsis. Ein Massaker beginnt. Connor und Fthr. Christopher nehmen die Flüchtlinge auf, um möglichst viele Menschenleben zu retten....
Kurzer historischer Abriss, um das Geschehen besser einordnen zu können: Die großen Bevölkerungsgruppen Hutu und Tutsi bekriegten sich in Rwanda schon lange Zeit. Während in der jüngeren Zeit zuerst die Tutsi über die Hutu herrschten, kam es zu Beginn der 60er Jahre zur Revolte und die Hutu übernahmen die Macht im Land. Anfang der 90er Jahre formierten sich die Tutsi-Rebellen und erreichten wieder eine stärkere Position in Rwanda. 1993 wurde eine Friedenstruppe ins Land entsandt, die den Frieden überwachen sollte.
Der Genozid wurde schon von langer Hand geplant, doch er wurde erst vom heute immer noch ungeklärten Abschuss des Flugzeugs von Staatspräsident Juvénal Habyarimana, bei dem er und weitere hochrangige Politiker ums Leben kamen, am 6. April 1994 ausgelöst. Somit begann der Genozid der Hut
u gegen die Tutsi.
Da bereits im Vorfeld tausende billige Macheten aus China importiert wurden und ausserdem die ethnische Zugehörigkeit in den Pässen vermerkt war, starben bis zum 7. Juli zwischen 900.000 und 1.100.000 Menschen. Die meisten davon wurden durch Macheten, Knüppel und andere "direkte" Art ermordet. Zwischen 250.000 und 500.000 Mädchen und Frauen wurden vergewaltigt. Die rwandischen Justiz geht von ca. 556.000 Tätern aus. Befriedet wurde das Land erst durch die Armee der Tutsi-Rebellen.
Zum Film: Die Inhaltsangabe wirkt wie eine Variante von "Hotel Rwanda". Dies mag sicherlich so sein, jedoch unterscheiden sich beide Filme doch recht deutlich: wo Hotel Rwanda eine Heldengeschichte erzählt, ist Shooting Dogs eine Chronik von menschlicher Gewalt. Der Film kennt keine Helden, die einzige Person die diesen Status evtl. hat ist Christopher, doch auch dieser kann nur wenige Leben retten. Er selbst lügt, besticht und hat somit auch nicht die klassische weiße Weste. Die anderen weißen Darsteller retten ihre Haut und überlassen die Menschen ihrem Schicksal.
Sehr interessant ist auch die Darstellung des Genozids. Zu Beginn des Films ist Kigali eine lebendige Stadt, in der man per Auto nur schwer durch die dicht bevölkerten Strassen kommt. Doch sobald der Genozid beginnt, sind die Straßen wie leer gefegt und die Menschen versammeln sich in der Schule. Nur vereinzelt sind Straßensperren aufgebaut die die Menschen kontrollieren - und im Falle von Tutsis dann massakrieren. So füllen sich die Straßen mit immer mehr Toten, bis am Ende der ganze Bildschirm mit Leichen voll ist. Eine nicht zu unterschätzende Darstellung der Gewalt.
Desweiteren enthält der Film unglaublich berührende Szenen, meistens jedoch Szenen die den Zuschauer in Trauer versetzen: die Evakuierung der Weißen, schliesslich der Abzug der UN-Blauhelme die genau wissen, dass die Menschen ermordet werden. In ihrer Verzweiflung bitten diese die Soldaten sogar darum, erschossen zu werden, um nicht in die Hände der Hutu zu fallen. Im Kino flossen dann die meisten Tränen bei dem untertitelten Satz "Begin the work.". Ein Satz, der die ganze Unmenschlichkeit der Menschen in drei Worten ausdrückt.
Und doch betreibt der Film keine schwarz-weiß Malerei (no pun intended): Es gibt durchaus Hutu die sich nicht an den Morden beteiligen, auch die UN-Soldaten sind sichtlich erschüttert als sie abziehen müssen. Sie wissen, dass es Irrsinn ist, doch sie können sich ihren Befehlen nicht widersetzen.
Die Gewalt im Film wird langsam aufgebaut. Zuerst sind es nur einzelne Anzeichen, Politiker die nach der Stärke der UN-Truppe fragen, in Kigali werden Wohnorte von Tutsi Familien gesucht, irgendwann beginnen Beschimpfungen, Steine werden geschmissen, bis die Gewalt schliesslich durch das auslösende Ereignis des Flugzeugabsturzes im Genozid mündet.
Shooting Dogs beschönigt auch gar nichts. Männer werden getötet, Frauen vergewaltigt und ermordet, sogar Säuglinge werden von den marodierenden Hutus und ihren Macheten nicht verschont. Und doch "befriedigt" Regisseur Caton-Jones nicht die Voyeurismus der Zuschauer: die meiste Gewalt wird nicht von der Kamera eingefangen, es sind nur Leichen zu sehen, oder die Sicht auf das Geschehen ist sehr undeutlich. Und trotzdem entfaltet die Gewalt ihre Wirkung, was vor allem im Spiel der Darsteller begründet ist:
Dancy gibt den jungen idealistischen Lehrer wirklich gut, vor allem sein erschütterter, ratloser Gesichtsausdruck lässt mitfühlen. Und doch wird er von Hurt überboten, der die Emotionen durch die der Priester geht wundervoll darstellt. Auch die Nebendarsteller Horwitz und Ashitey wissen zu gefallen.
Der Film zeigt nicht nur die physische Gewalt, sondern auch die psychologischen Auswirkungen. So wird das Geräusch einer normalen Trillerpfeife zum schrecklichen Signal der mordenden Hutu.
Shooting Dogs basiert auf realen Ereignissen, bei denen in der Schule ca. 2.000 Menschen ums Leben kamen. Doch nicht nur die Ereignisse sind real, der Film wurde sogar on Location gedreht, d.h. tatsächlich in der Schule und in Kigali. Hier hört die Authentizität nicht auf, auch viele Beteiligte waren damals dabei. Wenn im Abspann die verschiedenen an der Produktion beteiligten Personen mit einem Lächeln dem Zuschauer vorgestellt werden, geht ein letzter Schauer durch ihn. So zum Beispiel Hasha Sugira, der Video Assistant, der zehn Verwandte verlor und das Massaker in der Schule überlebte, in dem er sich unter den Leichen seiner Familie versteckte.
Wenn man nun den Namen Michael Caton-Jones hört, und diesen mit "Basic Instinct 2" und "Der Schakal" in Verbindung bringt, sollte man dies ausblenden und dem Film eine Chance geben. Caton-Jones hat wirklich einen tollen und wichtigen Film geschaffen, der die "Hollywood-Variante" Hotel Rwanda locker schlägt. Der Film ist authentisch, berührend und ist trotzdem ein Film der eher leisen Töne.
Es ist eine Schande, dass jeder Mist auf DVD oder im Kino veröffentlicht wird, aber dieser tolle Film nicht - zumal es sogar eine deutsche Co-Produktion ist.
Zu beziehen gibt es den Film als englische DVD recht günstig. Das Bild schwächelt in Nachtszenen manchmal etwas und wird milchig, ist sonst jedoch sehr gut. Der Ton ist stellenweise schön räumlich, jedoch ist der Film eher dialoglastig, man kann also schwerlich Effektspielereien erwarten. An Extras gibt es zwei Audiokommentare, ein Making Of (40min), einen Besuch an der ETO (29min), ein Tagebuch der Filmmacher, den obligatorischen Trailer und Infomaterial für den Computer über den Genozid in Rwanda. Reichlich Ausstattung für wenig Geld also.
Alles in allem eine absolute Empfehlung ohne Einschränkungen. Wer dramatisches (aber nicht melodramatisches) Kino sehen will, dass ihn wahrscheinlich bis ins Mark erschüttert, sollte sofort zuschlagen.