Welche Eigenschaften machen einen Film eigentlich zu einem
Kultfilm? Was sind es für besondere Elemente an einem filmischen Werk, das Zuschauer bewegt, dieses immer und immer wieder anzuschauen?
Nun, das prominenteste Beispiel für einen derartigen Titel wäre vermutlich George Lucas’ "
Krieg der Sterne" (1977) gewesen. Ein Film, der nicht nur eine Heldengeschichte in epochalem Ausmaß und brisantem Tempo erzählte, sondern auch beeindruckende, revolutionäre und ausgereifte Computer Special Effects in handwerklich gekonnter Art in die Geschichte einzubinden verstand. Zu diesen technischen Innovationen – im Prinzip also die Absicht, dem Publikum etwas neues, vorher noch nicht gesehenes zu bieten – kommen noch essentielle Bestandteile hinzu wie überzeugendes und originelles Drehbuch, von markanten, charismatischen und zu überzeugen wissenden Darstellern in Szene gesetzt, und bestenfalls noch eine gelungene Filmmusik (von einem talentierten Komponisten wie John Williams), die für die richtige Atmosphäre sorgt. Und fertig ist der Kult!
Michael Andersons "
Flucht in das 23. Jahrhundert" (original "Logan’s Run") wäre nach diesen Kriterien dann wohl eher eine Parodie auf einen Kultfilm als ein maßgeblicher Beitrag zur Filmgeschichte. Dennoch wird der Film von einer hohen Fangemeinde hoch gepriesen und von jungen Filmemachern fleißig zitiert. Derarti
ge Verweise auf wieder erkennbare Plotelemente und Dialoge finden sich in einzelnen Folgen von "The Simpsons", "Friends", "South Park", "Family Guy", "Futurama", ja sogar in "
Gilmore Girls" werden zynische Anspielungen wie
"We’ve got a runner" in die munteren, unermüdlichen Wortgefechte eingebaut.
Es drängt sich langsam das Gefühl auf, als ob man den Film zumindest kennen muss.
Wie der Titel bereits in Aussicht stellt, ist die Handlung in einer möglichen Zukunft angesiedelt. Im Jahre 2274 befindet sich Amerika, in diesem Falle Washington D.C., in einem Zustand der Großparanoia. Nach mehreren Kriegen, Umweltskandalen und Überbevölkerungsspekulationen hat sich das Land verändert, die Gesellschaft einen künstlichen Rückzugraum errichtet und sich mit einer unzerstörbaren Kuppel von dem Rest der Welt abgeschottet. Gelenkt wird diese neu entstandene, hermetisch abgeriegelte Zivilisation zentral von einem Computer mit dem Namen "The Thinker", der nicht nur die Gesetze festlegt, sondern auch Verbote und Zensuren erteilt, ebenso wie er durch eine eigene staatliche Exekutivtruppe, den mit Spezialschusswaffen ausgestatteten „Sandmännern“, die Menschen zur Befolgung der Erlasse zwingt. Man hat im Grunde nur einer simplen Regel zu befolgen: lebe dich frei aus, habe Spaß und erfreue dich aller irdischen Gelüste, nur halte dich dabei an die Vorgaben des Lenkers. Das Leben hier beträgt nämlich genau 30 Jahre und dann wird man in einem zu einem Spektakel inszenierten Habitus, dem "Karussell", in ein Kraftfeld gesogen und verpulverisiert – ein in der Bevölkerung als "Erneuerung", als die nächste Stufe zur Wiedergeburt, eingegangener Begriff. Damit die Menschen auch wissen wie viel Zeit ihnen noch bleibt, wurde jedem Bewohner bei der Geburt eine "Lebensuhr", eine Art Betriebsleuchte, in die Hand eingepflanzt und diese indiziert mittels verschiedener Farben (gelb, grün, rot) die Stufe, in der man sich befindet. Jeder Mensch ist wie mit einem Chip gebrandmarkt, mit einer Art Verfallsdatum versehen. Diese Maßnahmen sollen eine Überpopulation der umkuppelten nicht erweiterungsfähigen Stadt und ein Aufbrauchen der beschränkten Ressourcen verhindern. Da die Menschen nun eine Art Serienmodell mit festgelegter Lebensdauer sind, ist der Aufbau einer Identität, einer eigenen Kultur, ja selbst ein Ahnenstammbaum überflüssig. Man beschränkt sich auf den Vornamen und tauft die Nachkommen auf denselben Namen in numerischer Reihenfolge.
Logan 5, gespielt von einem jungen, stets gute Laune ausstrahlenden, selbstgefälligen Michael York ("Cabaret", "Austin Powers"), ist ein Mann, der sich bereits in der roten Phase befindet und damit nur noch wenige Jahre zu leben hat. Dem System dient Logan nichts desto trotz als einer der geachteten "Sandmänner", einer der dafür sorgt, dass sich die anderen an die vorgegebenen Richtlinien halten und sich keiner des "Karussells" zum entscheidenden Zeitpunkt fernhält. In dieser verantwortungsvollen Arbeit wird er von seinem Kollegen und besten Freund Francis 7 (gespielt von Richard Jordan - "Dune", "Gettysburg") unterstützt. Dieser ist vom Charakter identisch mit Logan und beide kosten die gefälligen Tagesstunden ihres Alltags in Bädern, bei Sportaktivitäten, in Großspektakeln und wilden Sexpartys aus. Selbst die Vollstreckung von Delinquenten, das sind Menschen kurz vor dem 30. Lebensjahr, die lieber die Flucht ergreifen als sich dem "Erneuerungsprozess" zu unterziehen, macht ihnen sichtlich Spaß und wird zu einem Geschicklichkeitsspiel.
Logan 5 wird im Laufe der Geschichte zum tragenden Protagonisten, auch wenn er anfangs weiterhin in seiner Naivität und Leichtgläubigkeit verbleibt. Die Geburt seines Nachfolgers, Logan 6, der wir Zuschauer schon zu Beginn des Films beiwohnen, bereitet ihm kaum Kopfzerbrechen ob seiner ausgedienten Rolle in der Gesellschaft. Ebenfalls wenig berührt ihn die Konfrontation mit einem Fliehenden, den er nach kurzem Katz-und-Maus-Spiel, geradewegs umbringt und dabei eine Untergrundbewegung aufdeckt. Der Alltag scheint in seiner Kontinuität ununterbrochen, selbst als die Ehefrau des Getöteten, Jessica 6 (die gleichsam adrette wie sexuell sehr anziehende Jenny Agutter), in Logans Wohnung auftaucht und ihre Zweifel über die Erneuerung äußert. Logan will mit der Witwe eigentlich nur Sex haben, bekommt jedoch einen Korb.
Doch die süßen Tage des Nichtstuns haben ein jähes Ende, als Logan vom Hauptcomputer auf eine Geheimmission beordert wird, in der er sich als Fliehender ausgeben soll, um dabei den Unterschlupf der Rebellen zu infiltrieren. Der Knackpunkt am Ganzen und das bringt selbst den stoischen Logan aus der Ruhe heraus: um seine Situation glaubhaft zu machen, wurden ihm seine letzten Jahre bis zum letzten Tag, dem Last-Day, abgezogen und die Lebensuhr auf ausgeschöpft programmiert. Ein Wiederrückgängig-Machen nach erfolgreicher Mission steht dabei nicht in Aussicht. Logan befindet sich nun in einem inneren Konflikt. Einerseits würde er alles tun, um dem System dienlich zu sein und den Unterschlupf der Rebellen aufzudecken, andererseits ist seine Loyalität und Vertrauen in die Machtbefugnisse des Lenkers durch die unfaire Behandlung erschüttert, denn die Lebensuhr lässt sich nicht wieder zurück stellen. Innerlich aufgewühlt versucht er nun über Jessica 6 sich in die Untergrundbewegung einzuschleusen, macht damit aber auch seinen nicht eingeweihten Partner zum unerbittlichen Verfolger und Todfeind.
Dem neu gepolten Protagonisten gelingt es nun tatsächlich die skeptische Jessica als Gefährtin zu gewinnen, ihre noch kritischere Gefolgsleute von seinem Seitenwechsel zu überzeugen und dem wütenden, aggressiven Francis in mehreren kritischen Situationen zu entkommen. Zur Belohnung glückt Logan sogar am letzten Bewacher des Fluchtgangs vorbei zu kommen und die wirkliche Welt zu betreten. Diese Welt ist aber ganz anders als zu hause und offenbar nur von einem Menschen bewohnt, einem alten Mann (beeindruckend wie immer Peter Ustinov). Hier führen nun alle Handlungsstränge zusammen.
Der im Jahre 1967 verfasste dystopische Roman "
Logan’s Run" von
William F. Nolen und
George Clayton Johnson war also die Vorlage für diesen Film. Das Buch war für die damalige Zeit ziemlich schnörkellos und provokant, da es politische und sozialkritische Botschaften auf einer direkten Art ganz unverschlüsselt durch Metaphern vorstellte und die vorherrschende Gesellschaft als stark dominiert von Sex und Drogen abbildete.
Davon ist in
Michael Andersens 9 Jahre später inszeniertem Film nicht viel erhalten geblieben. Zwar ist bis auf wenige Abweichungen der Kerninhalt des Plots erhalten geblieben, gewisse wichtige Elemente aber (wie Logans Situation in der Exposition, das Aussehen und der Charakter des Wächters, die Rolle von Francis) umgeformt oder gar komplett weggelassen worden (z.B. Logans Rachemotiv als Jessica vom Wächter vergewaltigt wird - dieser Vorfall entfiel komplett, hätte er den Ton doch wesentlich ernster gemacht). Dadurch entgleitet dem Film aber auch ein gehöriges Maß an innerer Struktur und Logik der Ereignisse. Während der Charakter aus dem Buch ein nach einem Ausweg suchender, verzweifelter Mann ist, der sich gegen starke Widerstände behaupten muss, ist der von Michael York gemimte Charakter eher ein Lebemann, der nur zufällig und ganz willkürlich in die Situation geraten ist.
Michael York, den man wohl hauptsächlich als den
D'Artagnan (aus Richard Lesters beiden großartigen Musketierfilmen und Mantel-und-Degen-Klassiker "Die drei Musketiere" (1973) und "Die vier Musketiere" (1974) kennt) weiß auch hier sehr gut zu überzeugen. Das Hauptproblem ist dabei nur, dass sich der Film nicht so richtig entscheiden kann zwischen der Verfilmung einer für die damaligen Zeit sehr typischen Wellen von Dystopie-Romanen und einer frivol lockeren Parodie auf den Science-Fiction-Film.
Die Grundelemente wie das Setting, die aufwändig gestalteten Kulissen der Kuppelstadt, die farbenprächtigen, futuristischen Kostüme, die für die 70er typischen Requisiten wie deutlich als solche zu erkennende Modellbauten und Laserstrahlen – alle diese Details sind prächtig ausgestaltet und mit Seele erfüllt.
"Flucht in das 23. Jahrhundert" war technisch sogar der erste Film in Dolby Stereo und der Soundtrack stammt vom innovativen Komponisten Jerry Goldsmith ("Planet der Affen", "Patton", "Poltergeist", "
Rambo - First Blood", "Das Geisterschloß").
Die eigentliche Problematik bildet die Inszenierung, die weder überzeugend noch originell geworden ist und die Potentiale der Nebendarsteller nie richtig ausgeschöpft. Nach ungefähr der Hälfte der Spielfilmzeit verliert der Film auch immens an Tempo und beschränkt sich lediglich auf die Ausschmückung der entfachten Liebesbeziehung zwischen Michael York und Jenny Aguter.
Peter Ustinov kann zum Schluss noch ein paar magische Momente herauslocken, die aber letztendlich von nicht nennenswerter Relevanz zum eher flachen Finale stehen.
Insgesamt enttäuscht Andersons
"Flucht in das 23. Jahrhundert" trotz hoher Potentiale doch nicht unerheblich, da er auch kaum zu unterhalten vermag. Mir bleibt der Kultstatus dieses Films, den ich höchstens in Michael Yorks selbstironischer Darstellung und dem typischen 70s-Look nachvollziehen kann, ansonsten ein großes Rätsel.