Die wenigsten Filmliebhaber werden wissen, dass das wohl berühmteste Tiermonster aller Zeiten dem Kopf von
Edgar Wallace entsprang. Der geistige Vater des „Hexers“ gilt als Ideengeber für den Film
„KING KONG UND DIE WEISSE FRAU“. Leider war es ihm nicht mehr vergönnt, das Endresultat im Kino zu bestaunen, da der Meister des Spannungskrimis bereits ein Jahr zuvor verstarb. Zu diesem Zeitpunkt hatte Wallace gerade damit begonnen, das Drehbuch zu schreiben, so dass
Ruth Rose zusammen mit
James Ashmore Creelang die Arbeit des Verstorbenen beendeten. Der Film war hier schon knappe zwei Jahre in Produktion, eine auch im Hinblick auf heutige Verhältnisse mehr als geraume Zeit, die verdeutlicht, dass hinter den Toren der
RKO Studios gerade
keine Traumfabrik-Massenware entstehen sollte.
Die Zahlen über das Produktionsbudget pendeln sich in etwa um 700.000 US-Dollar ein – für heutige Verhältnisse Low-Budget, für damals aber fast der Ruin für die
RKO Pictures, die die Produktion des Filmes übernahmen. Aber eben nur fast. Denn der Film um den Riesenaffen Kong ist ein erfolgreiches Stück Filmgeschichte und der Innbegriff des Tiermonsterfilms geworden, das auch heute, mehr als 70 Jahre nach seiner Entstehung, noch begeistert und viele Nachahmer beziehungsweise Fortsetzungen nach sich zog. Doch das Original bleibt nach wie vor unerreicht.
Die Geschichte dürfte spätestens s
eit der bildgewaltigen Neuverfilmung „
King Kong“ [2005] von Peter Jackson bekannt sein, aber der Vollständigkeit halber hier ein kurzer Abriss: Filmemacher Carl Denham (Robert Armstrong) reist mit seiner Filmcrew auf dem Frachtschiff
Venture zur Insel
Skull Island, um seinen neuesten Film fertigzustellen. Angekommen, müssen Denham und seine Leute erkennen, dass die Inselbewohner, die sie antreffen, alles andere als sanftmütige Wesen sind. Ihre Ehrfurcht gilt dem Inselgott Kong, dem sie dann und wann ein Menschenopfer darbieten. Fast erleidet die Mannschaft das gleiche Schicksal, doch Denham kann mit seiner Crew entkommen und glaubt sich sicher. In der folgenden Nacht wird jedoch seine Hauptdarstellerin Ann Darrow (Fay Wray) von den Eingeborenen entführt und soll dem Inselgott Kong zur Braut gereicht werden. Der Inselgott ist, wie sich herausstellt, ein riesiger Gorilla, der sich sofort in die blonde Ann verliebt und sie mit viel Einsatz gegen im Dschungel lebende Dinosaurier und anderes Getier verteidigt. Doch schon nach kurzer Zeit wird Ann von John Driscoll (Bruce Cabot), dem 1. Offizier der
Venture, aus den (fürsorglichen) Klauen des Monsters befreit. Kong wird bei seinem Versuch, seine Angebetete zurückzugewinnen, von Denham mit einer Gasbombe betäubt und kurzerhand auf die
Venture verfrachtet. Der Regisseur sieht nämlich seine große Chance, mit dem hier gefangenen „achten Weltwunder“ ordentlich Geld in New York zu machen. Dass letztlich die halbe Stadt in Trümmern liegen und Kong aufgrund der Liebe zu der weißen Frau in einer Szene, die Filmgeschichte schrieb, zu Tode kommen wird, weiß Denham natürlich noch nicht. Und gerade letztgenannte Szene beschließt dann auch nach 1 ½ Stunden diesen Monsterfilm der frühen Tonfilmzeit.
Die Inszenierung von
„KING KONG UND DIE WEISSE FRAU“ ist auch heute noch, vor allem unter filmtechnischen Aspekten, bemerkenswert. Was dem Betrachter sofort ins Auge springt, sind die unzähligen liebevollen Stop-Motion-Effekte von
Willis O'Brien, die zwar in ihrer Qualität heutzutage keinen Blockbuster-verwöhnten Kinogänger mehr zu euphorischen Begeisterungsstürmen bewegen werden, gleichwohl in jeder Hinsicht richtungsweisend für das Genre des Monsterfilms waren. Entspringen heute die bizarrsten Wesen und Kreaturen den digitalen Möglichkeiten des PCs und verschlingen nicht selten mehrere Millionen an Entwicklungskosten, mag man fast nicht glauben, dass vor mehr als 70 Jahren mit dem vergleichsweise geringen Budget von 700.000 US-Dollar ein Film dieser Art überhaupt entstehen konnte. Gerade die Stop-Motion-Technik des Riesen-Gorillas, die ihm weniger den Status eines Monsters als vielmehr den eines tapsigen Tieres mit Liebeskummer verleiht, trägt viel zum unwiderstehlichen Charme des Films bei. Wirken aktuelle CGI–Orgien zuweilen lieblos hingeklatscht, um einzig und allein Profit an der Kinokasse zu erzielen, zahlt sich hier gerade aus, dass der Film mehr als zwei Jahre Entwicklungszeit hinter sich hatte, bevor er das Licht der Leinwand erblickte. Mittels Rückprojektion wurden unter anderem Szenen mit Kong in bereits abgedrehtes Material kopiert, was dem Film an manchen Stellen den Anschein gibt, als liefe ein Film im Film ab. Im Hinblick auf die zu Grunde liegende Geschichte, deren Basis ja vom Filmemacher Denham gebildet wird, der einen Film dreht – also auch einen Film im Film –, stellt dies für so manchen Filmfan eine mehr als gelungene, wenngleich wohl nicht beabsichtigte Parallele dar.
Abgesehen von allen technischen Meisterleistungen, die der Film zweifelsohne bietet, sollen aber auch die Schauspieler gewürdigt werden, ohne die ein Film gar nicht funktionieren könnte. Neben
Robert Armstrong und
Bruce Cabot, die allesamt mehr als beachtliche schauspielerische Leistungen abliefern, überzeugt vor allem
Fay Wray als erste Scream-Queen der gerade erst begonnenen Ära des Tonfilms. Ihr künstlich in die Länge gezogener Schrei sollte auch viele Jahre später noch von vielen Kolleginnen imitiert und zum stilbildenden Mittel unzähliger Monsterfilme erkoren werden. Nicht der letzte, sondern der erste Schrei, in gewisser Weise.
Ist die Filmmusik zudem in heutigen Filmen kaum mehr wegzudenken, dient sie doch der Untermalung des unmittelbar Gezeigten, war es bis 1933 für gewöhnlich so, Musik nur im Vor- und Abspann zu spielen, um dem dazwischen Gezeigten respektive ab Ende der 20er Jahre auch
Gesprochenen keinen Störfaktor entgegen zu setzen. Der hier besprochene Urvater des Monsterfilms beschritt mit der Untermalung der Handlung durch Musik aus der Feder von
Max Steiner und
Bernhard Kaun in jeder Hinsicht Neuland, was zum einem der Atmosphäre entgegen kommt und zum anderen eine Entwicklung in der Kinolandschaft in Gang setzte, ohne die die heutigen Filme viel von ihrer Wirkung verlieren würden.
Natürlich weiß jeder, wie die Geschichte ausgeht, und natürlich ist die erzählte Geschichte die erste halbe Stunde nicht sonderlich aufregend. Doch wer sich im Folgenden auf die Zeitreise einlässt und nicht wie Ann Darrows Alter Ego im (fiktiven) Film Denhams im (hier bewerteten) Film die Augen verschließt vor dem Unglaublichen, das sich ihrem Auge zeigt, wird belohnt werden mit einem richtungsweisenden Stück Filmgeschichte, das auf geradezu vorbildliche Weise Melodram, Action und Abenteuer zu einem Gesamtkunstwerk verknüpft.
„KING KONG UND DIE WEISSE FRAU“ sollte jeder Filmfan mindestens einmal gesehen haben, denn selten zuvor war einem ein Filmmonster sympathischer.