(USA, 1982)
“Well we got no class / And we got no principles / And we got no innocence / We can´t even think of a word that rhymes”
(Alice Cooper, “Schools Out”)
"Wenn dir früher einer im Sandkasten die Schüppe wegnahm, da wurde nicht verbissen diskutiert. Da gab's auf die Fresse. Und der Stärkere bekam die Schüppe."
(Dieter Nuhr)
”Andy Norris, music. What´s the gun for?”
Früher, ja früher. Da war auch nicht alles besser. Das hat uns Richard Brooks´
Blackboard Jungle (
Die Saat der Gewalt, 1955) gezeigt. Da kommt Glenn Ford an die übelste Penne der Stadt und stellt fest, dass Krieg nicht nur in Korea, sondern auch in verwahrlosten Klassenräumen stattfindet. Dieser Film sollte zur Blaupause aller Crime-in-School-Streifen werden. Es ist interessant zu sehen, dass in den Siebzigern nichts Nennenswertes aus diesem Bereich kam. Erst in der Reagan-Ära wurde das Sujet wieder interessant. Ob es irgendwas mit der zunehmenden Verschärfung gesellschaftlicher Gegensätze zu tun hatte, bei der die Problemschule der Ort war, in der die Unterschichtskinder auf ihr Leben im Buckelgang und sozialer Segregation vorbereitet wurden, oder aber nur Zufall, das mag einfach mal dahingestellt sein. Aber solche Trends fallen meistens nicht vom Himmel.
Class of 1984 (1982) war der Anfang der neuen Welle. Danach kam zum Bei
spiel noch
The Prinzipal (
Der Prinzipal, Christopher Cain, 1987) mit John Belushi, zwei Jahre später beerbt von Morgan Freeman in John G. Avildsens
Lean on Me (
Der knallharte Prinzipal, 1989). Und dann erst die Neunziger:
Dangerous Minds (John M. Smith, 1995), ein Film, der den Zuschauer in dem etwas unrealistischen Glauben lies, dass schwierige Jugendliche mit genügend Du-bist-was-besonders-Pädagogik und ein paar Bob Dylan-Songs wieder auf Kurs zu bringen seien. Oder
One Eight Seven (
187 - Eine tödliche Zahl, Kevin Raynolds, 1997), der wieder eine ganz andere Sprache sprach und an dessen Ende sich der desillusionierte Lehrer (Samual L. Jackson) und der Klassenterrorist (Clifton Collins Jr.) ein ordentliches russisches Duell lieferten.
Die Szenerie ist fast immer die gleiche. Die Problemschule ist ein scheinbar unfunktionales, instabiles System. Aber immer noch System. Nur verfestigen sich hier keine Leitsätze, die von einer (vermeintlich?) demokratisch aufgeklärten Gemeinschaft geschrieben werden, sondern sozialdarwinistische Faustregeln. Was zuerst nach Chaos und Anarchie aussieht, ist im Grunde nichts anderes als der Dschungel, der mit humanistischen oder vernunftpädagogischen Wahrnehmungsmustern natürlich nicht zu verstehen ist. Und zu akzeptieren schon gar nicht. Er schreit geradezu nach einem starken Leader, der aufräumt, den Saustall ausmistet und dafür sorgt, dass der Zuschauer seine eigene moralische Welt wieder erkennt.
Was Mark L. Lester in
Class of 1984 machte, sieht auf den ersten Blick recht grell und oberflächlich aus. Auch auf den zweiten und dritten. Es ist nicht nur ein lupenreiner, mit kaum wahrnehmbarem Kunstanspruch gedrehter Reißer, wild und aus dem Bauch heraus zielend, sondern auch ein ungeniertes, martialisches Rachedrama. Insofern auch wieder außergewöhnlich für diese Schublade, aber dazu später mehr.
Wir sehen den jungen Musiklehrer Andrew Norris (Perry King), der am Anfang wirkt wie ein junger Welpe, der in einen Pitbullzwinger geraten ist. Die George Washington High, auf die er geschickt wurde, gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Waffenkontrollen, Drogenhandel, Gewalt. Die Schüler: außer Kontrolle geratene Rowdys. Also im Grunde eine gute visionäre Leistung von Lester. Die heutige Wirklichkeit ist von diesen Bildern fast nicht zu unterscheiden.
Andrew, der Idealist und Philanthrop, der unbeirrt an das Gute im jungen Menschen glaubt (das Fach Musik passt gut dazu), freundet sich mit dem Biologielehrer Terry Corrigan (Roddy McDowell) an. Der steht jedoch schon kurz vor dem finalen Nervenzusammenbruch. Da gibt es noch ein paar artige Schüler wie Arthur, gespielt von dem blutjungen Michael J. Fox. Aber es dauert nicht lange, und Andrew rasselt zum ersten Mal mit der gefürchtetsten Gang der Schule zusammen. Angeführt wird sie vom charismatischen Peter Stegman (Timothy Van Patten). Ein Unruhestifter und Narzisst, mit gut erkennbarem Hang zur Psychopathie. Seine Kampftruppe erinnert an die Gools aus Kubricks
A Clockwork Orange (1971). Der Fight ist eröffnet.
Was nun kommt, ist ein psychologisch sehr offensiv geführtes Wie-du-mir-so-ich-dir. Andrew versucht, Verbündete zu finden, mit denen er dem Rest der Schule ein gutes Vorbild sein kann. Er stampft tatsächlich eine Musikkapelle aus dem Boden, die schon bald ihren großen Auftritt haben soll. Doch Peter und seine Schergen sind immer da, zerstören und sabotieren. Ein Kampf der Elemente, Konstruktion gegen Destruktion.
Irgendwann wird es persönlich. Als Peters Gang Adrews Frau vergewaltigt und entführt, und das am Abend des großen Konzerts in der Turnhalle, ist Schluss mit lustig. Und sein anschließender Rachefeldzug wird von Erfolg gekrönt sein. Er streckt seine Gegner nieder und rettet seine Frau. Doch die Botschaft dieses Ausgangs ist pessimistischer als man zuerst glaubt. Denn der Menschenfreund Andrew muss erst alle archaischen Gewaltreserven aktivieren und zum Kämpfer werden, um sich zu behaupten. Zum Schluss schmeißt er Peter vom Dach, direkt in die Turnhalle vor ein verdutztes Publikum (das doch eigentlich nur klassische Musik hören wollte und sich nun zu gut daran erinnert, in welcher schlimmen Gegend man ist). Und wohl gemerkt: man dankt es ihm von Herzen. Lester weiß, wo moralischen Präferenzen liegen und schenkt Zuschauer und Protagonisten diese Katharsis. Doch was bringt sie zum Vorschein? Den humanistisch aufgeklärten Menschen? Oder doch eher das vom Aggresionstrieb gesteuerte Tier, das Konrad Lorenz schon immer in uns sah? Optimismus sieht anders aus.
Und das beste ist noch: dieser Ausbruch hat kein soziales Ziel und eröffnet keine erzieherische Perspektive. In ähnlichen Filmen muss der Held auch schon mal zur Keule oder Wumme greifen, damit endlich Ruhe im Karton ist. Aber das sind strategische Maßnahmen, dringend erforderliche Aufräumarbeiten. Und leider geht es nie anders als mit Gewalt. Der Boden muss bereitet werden für etwas Neues und Besseres, und dazu muss das Unkraut ausgerupft werden. Andrews Feldzug in
Class of 1984 dient 'nur' der Selbsterhaltung und dem Schutz der engsten Angehörigen. Was aus der George Washington High wird, und denjenigen, die dieser Hölle ebenso entfliehen möchten, ist völlig unklar und scheint Lester auch nicht weiter zu interessieren. Die ganze Zeit hat er mit dem Chrakater des Andrew Norris einen Idealisten tapfer gegen alle Widerstände kämpfen lassen, nur um dann einen vor Wut kochenden Rächer aus ihm zu machen.
Zum Schluss ertönt dann der Titelsong, ein merkwürdig seichter Pop, aber eindeutig karikiert vom Text, den Van Petten selbst sang: „When does a dream become a nightmare.“ Und: “Take a look at me, I am the future.“
Class of 1984 ist, nach wie vor, nicht gerade ein intelligenter Film. Ein schön anzusehender schon gar nicht. Die Art und Weise wie er vermarktet wurde lässt vermuten, dass man sich mit dem Anschluss an gesellschaftspolitische Gewaltdiskurse brüsten wollte, aber im Grunde 'nur' einen psychologisch perfiden Actionreißer zu bieten hatte. Die Schonungslosigkeit aber, mit der Lester sein Thema präsentiert, hat durchaus eine ganz eigene Qualität. Der Film zeigt, wo und wann vernunftgeleitete Kommunikation nichts wert ist. Wo man Bücher von Jürgen Habermas getrost in die Ecke schmeißen kann. Prallen Welten aufeinander, besteht der einzige Ausweg darin, sich auf das Niveau seiner Gegner zu begeben. Das ist eine kaltschnäuzige Aussage, wie es sie in keinem anderen Film dieses Genres gegeben hat. Jedenfalls nicht in dieser radikalen und nihilistischen Art.
An diesem kleinen, oberflächlichen B-Movie wird die ganze traurige Verpfuschtheit einer Dekade sichtbar. Eine Dekade, in der Ronald Reagan in den USA und Margaret Thatcher in Großbritannien eine ganze Gesellschaft der freien Wirtschaft zum Fraß vorwarfen, in der wirklich nichts mehr da war von den einstigen Hippieträumen von Frieden, Liebe und Verständnis.
Das Gewaltpotential, das sich an den Schulen zusammenbraut, speist sich natürlich aus mehreren Quellen. Dazu gehört auch die Tatsache, dass die High School, allerspätestens zum Beginn der konservativen Revolution, zu einem System wuchs, in dem sich Schüler gegenseitig bekriegen, reglementieren und das Leben zur Hölle machen. Davon beleuchtet der Film erst mal nichts. Diese Aufgabe sollten andere Streifen danach übernehmen. Trotzdem werden hinter Lesters revanchistischer Aug-um-Auge-Orgie Zeichen sichtbar, die direkt nach Columbine weisen.
Wenn das Filmplakat fragt: „Is this the future?“, was soll man da, fünfundzwanzig Jahre später, noch antworten?