Wir erinnern uns: Mitte der 70er bis Anfang der 80er Jahre entstand im italienisch geprägten Genrekino ein weiteres Subgenre – der Kannibalenfilm. Als Bastard der Mondofilme geboren, wirtschaftete sich das Filmgenre schnell selbst mangels Ideen herunter. Immer mehr Gore, immer mehr extreme Ideen hilft nunmal nicht viel, wenn man schnell keine Innovationen mehr hat, und budgetmäßig waren die Filme sowieso ziemlich am unteren Ende angesiedelt. Und trotz des zeitweise hohen wirtschaftlichen Erfolges lief sich das Genre schnell tot. Am interessantesten war da vielleicht noch der Kampf der beiden ungekrönten Herrscher des Kannibalenfilms, Umberto Lenzi und Ruggero Deodato. Letzterer inszenierte ja gleich eine thematisch lose zusammenhängende Trilogie, die mit
Jungle Holocaust begann, mit
Cannibal Holocaust (Nackt und Zerfleischt) ihren Höhepunkt (und damit auch gleich den des ganzen Genres) fand, sowie letztlich dem schon deutlich anderem Cut and Run.
Enter Antonello Giallo. Antonello Giallo drehte seinen legendären Pleasures of the Damned, der heutzutage als verschollen gilt. Infolge dieses Films sah sich Giallo mit der italienischen Justiz konfrontiert und wurde wegen „Verstößen gegen die Sittlichkeit“ in 17 Fällen vor Gericht verantworten. Unter anderem musste er die Darsteller des Films vor Gerich
t präsentieren, da sich hartnäckig Gerüchte hielten, die Effektszenen und Leichenzerstückelungen seien „mit Hilfe von Obdachlosen“ entstanden – drücken wir das mal so aus. Ähnlich wie Deodato später musste Giallo also mit Repressalien rechnen und flüchtete deshalb nach Argentinien; sämtliche Kopien von Pleasures of the Damned wurden vernichtet. Etwa zur gleichen Zeit wollten die Produzenten einen weiteren Kannibalenfilm haben und schickten daher das Script von „Isle of the Damned“ an Ruggero Deodato. Dieser lehnte jedoch ab, da ihm das Drehbuch zu extrem und zu brutal war, sondern entschied sich, den harmloseren Cannibal Holocaust zu drehen. Dementsprechend verfilmte Antonello Giallo 1980 eben jenes Script in Argentinien – und sah sich sogleich wieder Vorwürfen der argentinischen Autoritäten gegenüber, er hätte Eingeborene für seinen Film missbraucht. Nach der Anklageerhebung gelang Giallo noch vor Prozessbeginn erneut die Flucht. „Pleasure of the Damned“ galt lange Zeit ebenfalls als zerstört.
Der ganze obere Absatz war frei erfunden.
Aber um endlich mal zu Potte – und zum Plot – zu kommen: um was geht es in „Isle of the Damned“?
Der Privatdetektiv Jack Steel erhält einen neuen Auftrag. Er soll den Schatzjäger Harold Thompson dabei helfen, auf der sogenannten „Cannibal Island“ vor der Küste Argentiniens den legendären Schatz von Marco Polo zu finden. Steel nimmt seinen Adoptivsohn Billy mit auf die Reise, um jenseits der Zivilisation die Beziehung zu ihm zu verbessern. Thompson, Billy und Jack Steel heuern auf dem Boot eines Schmalspurpiraten und seiner Crew an, um folglich auf der Insel zu landen und diese zu erforschen. Doch dort sind unsere Abenteurer nicht alleine: Kannibalen machen ihnen das Leben schwer, und auch der undurchsichtige Alexis Kincaid, der mit seinem Diener Cain in einer Villa im Dschungel wohnt, scheint ein Gehemnis zu haben. Der Kampf ums Überleben ist hiermit eröffnet...
Klingt also nach einem 08/15 Kannibalenheuler von den üblichen Verdächtigen.
Ist es aber nicht.
Vielmehr ist Isle of the Damned eine Hommage an und Parodie auf das Genre, entsprungen aus der semi-professionellen Filmschmiede Dire Wit Films. Mark Colegrave und sein Team versuchen, das Genre zu feiern und sich gleichzeitig liebevoll darüber lustig zu machen, und parallel dazu, das in letzter Zeit viel zitierte Grindhouse-Feeling der gelobten 70er Jahre im Jahr 2008 zu replikieren. All das gelingt ihnen teilweise – und eben auch nicht. Versuchen wir also mal, diese Punkte der Reihe nach kritisch abzuarbeiten. Vorher möchte ich aber noch in Erinnerung rufen, dass der Film eigentlich ein Amateurstreifen ist, sich aber auch um das Drumherum kümmert. Immerhin veranstalten die Jungs von Dire Wit Films wohl geheime Screenings, zu denen man persönlich eingeladen wird, um dann mit verbundenen Augen zum Veranstaltungsort chauffiert zu werden. Und sie verschicken handgebrannte und handbeschriftete Rezensions-Rohlinge an deutsche Internetseite, also auch an Mann beisst Film, verehrtes Publikum.
Fangen wir also mal mit dem Punkt der Hommage an. Hommage ist bei diesem Genre natürlich sehr relativ zu sehen. Entweder man hasst Kannibalenfilme oder eben nicht. Dazwischen wird es wohl nicht viel geben, und letztere Personengruppe ist wahrscheinlich deutlich in der Mehrheit. Hassgründe sind neben der häufig exzessiven und noch häufiger selbstzweckhaften Gewalt natürlich nicht zuletzt die vieldiskutierten Tiertötungen in den Klassikern des Genres. Hierbei gleich eine Entwarnung: in Isle of the Damned werden natürlich keine Tiere getötet, nur eine herzallerliebste Plastikspinne wird zerstampft. Die Trennung zwischen Hommage und Parodie ist bei dem Film natürlich nicht sonderlich einfach, ich versuche mich an dieser Stelle auf die ernsthaften Aspekte des Films zu konzentrieren. Es ist natürlich offensichtlich, dass die Macher ihre Hausaufgaben gemacht haben und natürlich sicherlich die wichtigsten Filme auf dem Gebiet gesehen haben. Die Handlung unterscheidet sich eigentlich nicht im geringsten von den Vorbildern: ein etwas schmieriger Gorefilm-Held macht sich mit einem noch schmierigeren Schatzsucher auf diese Insel, deren Namen eigentlich jeden Menschen bei gesundem Verstand schon abhalten sollte, dahin zu reisen. Auf dieser Insel wohnt ein extrem undurchsichtiger Typ, und auch die Kannibalen sind klassisch: mit Kalk geschminkt, in Lendenschurzen und mit langen Haaren, die ihre Gesichter verdecken und somit austauschbar machen. Und auf der Goreseite zieht Isle of the Damned auch ziemlich gut vom Leder. Natürlich gibt es eine Pfählung, ein paar Leute werden gefressen, geschossen wird auch, und so manche Extremität verflüchtigt sich natürlich auch. Der Gore ist dabei größtenteils technisch sehr einfach und durchschaubar relasiert, nur die finalen Fressszenen können da schon mehr überzeugen.
Und da liegt dann auch schon mal eine Crux des Films begraben: diese Szenen werden kaum ironisch gebrochen, auch nicht durch ihre technische Einfachheit. Von daher wirken die obligatorischen Fötusszenen zwar technisch hochgradig lächerlich, aber trotzdem bierernst. Und spätestens wenn die Kannibalen dann ihrem Namen alle Ehre machen, findet der unbedarfte Zuschauer das ganze sicherlich alles andere als lustig.
Der Film bedient sich aber nicht nur bei den Goreszenen bei Vorbildern, sondern natürlich parodiert er diese auch. Während Deodatos Filme bei den Blutexzessen zitiert werden, musste ich gerade bei den relativ sinnbefreit eingefügten Tierszenen (die aus offensichtlich anderen Quellen stammen), an Bruno Mattei denken, Gott hab ihn selig. Denn laut Tier-Inserts leben auf dieser Insel nicht nur Piranhas, sondern auch Affe, Geparden, Schlangen und sogar Nashörner. Billy, der Adoptivsohn von Jack Steel ist natürlich eine Parodie auf die für gewöhnlich fürchterlich nervigen Kinderdarsteller des italienischen Genrekinos. Dabei könnte er rein outfitmäßig problemlos der Bullyparade entsprungen sein. Auch der geheimnisvolle Alexis erklärt zwar seinen Hintergrund im Verlauf des Films, was aber bei weitem nicht erklärt, wie er dieses Haus dorthin gebracht hat – lustig. Am witzigsten wird der Film aber, wenn er sich auf das Genre an sich bezieht. Es ist einfach herrlich, wenn die Personen die altbekannten Themen wie „Das Gesetz des Dschungels“ oder „Wer ist hier wild, und wer ist zivilisiert?“ durchkauen, nur damit die Szenen dann beabsichtigt ins Leere gehen. Auch als die Kannibalen ein armes Opfer nicht etwa fressen, sondern der Reihe nach vergewaltigen (überhaupt ist Homosexualität ein durchgehendes Thema, was in einem wahrlich denkwürdigen Dialog gipfelt), stellt Alexis fest, dass man leider zuschauen MUSS, wenn man schon mit dem Einschreiten abwartet. Völlig Over-The-Top ist dann Alexis Diener Cain, ein ehemaliger japanischer Killer, der zwar westlich aussieht und einen Afro trägt, aber immerhin so gut trainiert ist, dass er seine Gegner nicht einmal berühren muss.
Gleichwohl muss man dem Film aber auch ankreiden, dass er trotz der geringen Laufzeit von nur 85 Minuten vor allem gegen Ende einige Längen hat. Das Problem hierbei dürfte das Script sein: die Geschichte ist nicht per se witzig, auch gibt es nur sehr wenige, absichtliche Gags. Der größte Gag, die Verballhornung und Übersteigerung des Genres läuft sich nunmal recht schnell tot, so dass eine Verkürzung des Films sinnvoll gewesen wäre. Das Grindhouse-Feeling ist zwar lustig, aber es trägt nunmal keinen ganzen Film durch eigene Kraft. Es gibt die üblichen Filmstreifen, aber viel besser sind die angeklebten Bärte und die grässlichen Perücken. Getoppt wird das ganze aber von dieser unglaublichen Nachsynchronisation, bei der die übertriebenen Sprecher unpassende Dialogzeilen möglichst schlecht betont und maximal asynchron zu den Lippenbewegungen der aufchargierenden Darsteller sprechen – großes deutsches Theater, aber nunmal nicht ausreichend, um den ganzen Film durchgehend kurzweilig zu machen. Das liegt natürlich auch darin, dass das Kannibalengenre wohl durch seine Stereotypen relativ wenig Parodie-Potential bietet, das sich vor allem gleichzeitig noch mit der Hommage vertragen muss.
Was bleibt somit?
„Isle of the Damned“ ist eine durchaus spaßige Angelegenheit. Schmierige Typen erzählen schmierigen Stumpfsinn im amerikanischen Wald, der nur duch Bruno-Mattei-Gedenktierinserts als Dschungel definiert wird. Allerdings reicht das Konzept nicht aus, um einen Film dieser Länge zu stemmen, und die stellenweise sehr harten Gore-Szenen sind dann auch nur was für Fans.
Kenner der Filme können also durchaus zuschlagen und sich gut amüsieren, und der Soundtrack der Gruppe KOBOLD (haha) ist spitze! Spaß machts sicher, Verbesserungspotential ist aber vorhanden.
Die Jungs haben aber Talent, und man darf sich darauf freuen, was noch so von Dire Wit Films kommen mag.
Ein Wort noch zur Presse-DVD: Großartig!
Das Bild passt, auch wenn die Filmverschmutzungen bei dem ansonsten guten Bild erst recht wie Fremdkörper wirken (aber das Problem hat Death Proof respektive
Planet Terror auch), Ton ist klar verständlich.
Der Knaller sind dann natürlich die Extras, die das Konzept fortführen: Ein Besuch bei dem „Sohn“ von Antonello Giallo, dessen größtes Witzpotential sich aus dem Übersetzer ergibt. Dazu noch ein Hinweis von Dr. Livingstein, sowie ein kurzer Film über die Vermarktung des Films und ein Audiokommentar, der aber ebenfalls nicht ernst ist.
Und den Soundtrack gibt’s komplett in MP3 Form noch obendrauf! Letztlich gibt es noch ein paar Trailer zu weiteren „alten Filmen“. Dabei ist vor allem zu hoffen, dass „Post Modem“ eine Umsetzung erfährt, denn der Trailer ist richtig genial!
Letztlich noch eine kurze Anmerkung zur Bewertung: Eigentlich wollte ich dem Film keine Sternchen geben, ähnlich wie bei Call of Cthulhu. Ausschlaggebend war dann aber, dass der Film sich für die volle Laufzeit entscheidet, und auch konventioneller als CoC wirkt. Es gibt dann unter Einbezug des Drumherums mal gerade so noch 5 Sterne, aber schon deutlich auf der Kippe zu vier Sternen. Die Entscheidung zu 5 Sternen ist also meiner Willkür zuzurechnen.