„I’ve been bitten.“
„Me too.“
ALLES AUF ANFANG. Lang ist es im Grunde nicht her, dass uns Peter Parker, seines Zeichens die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft, auf der Leinwand beehrte. Genauer gesagt sind gerade einmal fünf Jahre seit „
Spider-Man 3“ verstrichen. Doch anstatt der Tradition zu folgen, erfolgreiche Filme gleich mehrteilig auszuschlachten, sieht es im Hause Spinnenmann nunmehr so aus, dass mit
„THE AMAZING SPIDER-MAN“ zwar rein rechnerisch die vierte Multimillionen-Dollar-Produktion um den arachniden
Marvel-Helden vorliegt. Faktisch möchte diese aber rein gar nichts mit den vergangenen Blockbustern zu tun haben und gedenkt auch überhaupt nicht, in irgendeiner Beziehung zu diesen zu stehen. Das Zauberwort lautet
Reboot, ein Neustart also im übertragenen Sinne, oder vielleicht auch nur „Sam Raimi hatte nach einigen kreativen Differenzen mit dem produzierenden Studio keine Lust mehr, zurückzukehren, weshalb sich dieses kurzerhand entschied, einfach wieder bei Null zu beginnen.“ - In jedem Fall ist im vorliegenden Film trotz altbekannter Ausgangslage nichts mehr so, wie es mal war. Angefangen beim neuen Hauptdarsteller über eine gänzlich neue, nie erzählte Geschichte bis hin zum obligatorischen 3D-Gimmick wird ohne Frage wirklich alles aufgeboten, um diese Neuausrichtung nachhaltig zu rechtfertigen. Mit Erfolg
? Oder verstrickt sich
„THE AMAZING SPIDER-MAN“ am Ende gar selbst in einem eigens gesponnenen Netz?
Die Geschichte ist zunächst einmal schnell erzählt: Der schüchterne Highschool-Schüler Peter Parker (Andrew Garfield), der bei seinem fürsorglichen Onkel (Martin Sheen) und seiner noch fürsorglichen Tante (Sally Field) aufwächst, ist der klassische Angriffspunkt für die coolen Jungs seines Alters, dabei aber eigentlich alles andere als ein Verlierer. Er weiß mit seinem Skateboard umzugehen, interessiert sich für die Wissenschaft, ist freundlich, hilfsbereit – und doch sehen viele in ihm seit jeher nicht mehr als einen Außenseiter. Alle bis auf Gwen Stacy (Emma Stone), die heimliche Dame seines Herzens, die er nur zu gerne erobern würde. Aber man weiß ja, wie das in dem Alter ist...
Als Peter sich eines Tages in die Einführungsrunde eines wissenschaftlichen Praktikums einschleust und Bekanntschaft mit dem undurchsichtigen Dr. Connors (Rhys Ifans) schließt, ändert sich das Leben, das er kannte, plötzlich schlagartig. Denn in einem unachtsamen Moment beißt ihn ein Forschungsobjekt namens Spinne, was Peters körperliche Fähigkeiten in der Folge mehr verändert, als es die verhasste Pubertät jemals könnte. Nach einigen Momenten des Zweifels erkennt der vormals Schüchterne, dass dies eine Gabe ist, die es zu nutzen gilt. Was auch dringend vonnöten ist, da Dr. Connors in der Zwischenzeit ein Experiment wagt, das eigentlich dem Wohle der Menschheit dienen sollte, ihn aber zu einer Gefahr für die ganze Stadt mutieren lässt...
Alles beim Alten, mag man meinen, und in der Tat lässt auf den ersten Blick wenig darauf schließen, dass dies nun der Neustart einer immens erfolgreichen Film-Trilogie sein soll (alleine „Spider-Man 3“ spielte zuletzt fast 900 Mio. US-Dollar ein). Die effektreichen Actionsequenzen, die dem Stand der Technik entsprechend noch detaillierter ausfallen als vor fünf Jahren, sehen gut aus und sind tadellos inszeniert; sie sind aber nichts, was man nicht auch schon bei Sam Raimi gesehen hat. Spidey schwingt (diesmal in echtem 3D) durch Häuserschluchten, kämpft in schwindelerregender Höhe gegen seine Gegner, fällt dementsprechend tief, fängt sich wieder und macht selbst dabei noch eine gute Figur. Wie sein Vorgänger auf dem Regiestuhl gibt sich auch
Marc Webb („
(500) Days of Summer“ [2009]), der ein geschätztes Budget von 215 Mio. US-Dollar verwursten durfte, nicht mit kleinen Brötchen zufrieden und inszeniert seinen ersten Blockbuster als gelungenes Potpourri aus Action, Humor und leisen Momenten.
Aber wo bleibt denn nun die vollmundig angepriesene „bisher nie erzählte Geschichte“? Kurze Antwort: Sie ist da, weist im Endeffekt aber auch nur eine Abwandlung dessen auf, was man aus den Vorgängerfilmen kannte. Dies dürfte wahrscheinlich die eingefleischten Comic-Fans am meisten freuen, wichen doch Sam Raimis Adaptionen inhaltlich mehr als einmal von den gezeichneten Vorlagen ab. Das bedeutet konkret: Spider-Man verschießt nun seine Fäden über eine selbstgebastelte Apparatur, Gwen Stacy ist seine erste Liebe und Dr. Connors hat endlich Gelegenheit, als „Lizard“ eindrucksvoll in Erscheinung zu treten. Das war es dann aber auch schon. Ansonsten läuft alles auf die altbekannte Entstehungsgeschichte unseres Helden und den Kampf gegen einen übermächtigen Gegner hinaus. Wobei: so altbekannt, wie man denkt, ist die Entstehungsgeschichte dann doch nicht, wenngleich sich
„THE AMAZING SPIDER-MAN“ lieber noch mit ominösen Andeutungen und Vermutungen zufrieden gibt, anstatt exakte Antworten zu geben. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.
Das mag nun ernüchternder klingen, als es vielleicht sollte. Doch Superhelden wissen, dass einer offensichtlichen Schwäche auch gleichzeitig eine verborgene Stärke innewohnen kann. Und diese ist möglicherweise die größte Überraschung dieses durchweg soliden Abenteuers: Nicht etwa die actionreichen Momente wissen nachhaltig zu begeistern (im Grunde sind die „großen“ Augenblicke recht rar gesät), sondern es sind die ruhigen, die charakterbezogenen, die hängen bleiben. Die innere Zerrüttetheit des Helden, seine Liebe zu Gwen Stacy, seine Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen – diese Momente, die ausnahmsweise kein Computer erzeugt hat, fühlen sich echt, authentisch an und zeugen von der Brillanz Marc Webbs, der bereits in „(500) Days of Summer“ wusste, wie man jugendliche Probleme gekonnt auf die Leinwand projiziert, ohne diese zu übertreiben oder künstlich aufzubauschen. Das kann nicht jeder so gut inszenieren. Und nicht jeder kann dies so gut spielen wie
Andrew Garfield („
The Social Network“ [2010]), der – obwohl mit 29 Jahren fast zwei Jahre älter als Tobey Maguire zu Beginn seiner Spinnenzeit – schon optisch einen überzeugenderen Highschool-Schüler als dieser abgibt. Ohne Maguires Leistung auch nur annähernd schmälern zu wollen, kommt Garfield mit seiner charismatischen Darstellung dem Peter Parker der Comics erstaunlich nahe. Und ja, dieser Umstand lässt sich dann in gewisser Weise doch als kleine, aber feine Rechtfertigung für das vorliegende Reboot heranziehen.
Emma Stone („
The Help“ [2011]) nimmt man die 17jährige demgegenüber nicht so recht ab. Man kann im Leben eben nicht alles haben.
Fazit: Auch wenn die ganz große Neuentwicklung dann doch ein wenig auf der Strecke geblieben ist, gibt es genügend Punkte, die
„THE AMAZING SPIDER-MAN“ über den Blockbuster-Durchschnitt hieven. Effektvoll, aufwendig und mit dem nötigen Gespür für die zwischenmenschlichen Töne ausgestattet, erzählt die nunmehr recht comicgetreue Verfilmung eine vielleicht nicht gänzlich neue, dafür jedoch souverän auf den Punkt inszenierte Superhelden-Geschichte, die den nötigen Stoff bietet, aus dem (die fast schon sicheren) Fortsetzungen gewebt sind. Das mag diesen Neuanfang für den kritischen Kinogänger vielleicht nur bedingt rechtfertigen, aber alles hat nun einmal zwangsläufig einen Anfang. Und wenn dieser im vorliegenden Falle derart liebevoll-gehaltvoll daherkommt, darf man ruhig mal ein bisschen weniger streng sein. Von daher:
„THE AMAZING SPIDER-MAN“ ist ein guter Film, ein solider Beginn mit ordentlich Potential. Mehr allerdings (noch) nicht.
Hier geht's zur Rezension von „
The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro“ [2014]