(USA / GB, 2008)
"Everything he touches withers and dies."
Es gibt ein einfaches Muster, das im Kulturdiskurs alle Nase lang auftaucht, niedere Instinkte auf hohem emotionalen Niveau befriedigt und ohne das ein Feuilleton fast nichts zu schreiben hätte: Früher war alles besser. Die Filme waren wahrhaftiger, die Musik rebellischer, die Literatur hatte noch was zu sagen, in der Politik gab es noch kantige Charakterköpfe.
Das ist alles verständlich. Es mag auch stimmen, mal mehr, mal weniger. Ich selbst denke das nicht selten und meistens aus Überzeugung. Aber originell ist es leider nicht.
Wenn man also schriebe, das James Bond-Filme nicht mehr das sind, was sie mal waren, wie sähe das dann aus? Der Versuch, einer Bestandsaufnahme.
Mit Daniel Craig sahen die Produzenten Barbara Broccoli und Michael G. Wilson die Chance, James Bond neu zu erfinden. Respektive, ihn fit für das Actionkino der Neuzeit zu machen. Ihn lies man in seinem Debüt
Casino Royale (2006) Dinge tun, für die Sean Connery-Nachfolger George Lazenby noch in die Tonne geschrieben wurde: sich verlieben, um seine tote Frau trauern. Damals durfte ein Bond nicht trauern, keine Gefühle zeigen. Damals, in
On Her Majesty´s Secret Service (
Im Geheimdienst Ihrer Majestät, 1969). Ein charmanter, lasziver Übermensch, das war der 007, den man über Jahrzehnte sehen wollte. (Ein
zige Ausnahme: Im Vorspann zu
For Your Eyes Only (
In tödlicher Mission, 1981) tötet er Blofeld, Erzfeind und Mörder seiner Frau.)
Also übersprang man das kurze Kapitel, aktivierte 1971 den markig-virilen Ur-Bond Connery. Dann kam Roger Moore, dessen hochnäsige Nonchalance gut ankam, und der das Bild von Ian Flemmings Romanhelden liebevoll ironisierte – ein Bild, das schon in den Siebzigern ein Mythos war. Timothy Dalton hatte Pech, ihm hatte man Ende der Achtziger zwei schlechte Drehbücher untergejubelt. Das konnte nichts werden. Mit Pierce Brosnan, eine Art Roger Moore hoch drei, konnte man 1995 die Marke James Bond restaurieren, ohne sie durch unnötige Modernisierungen zu beschädigen.
Und dabei ist es erstaunlich, dass viele Neubesetzungen erst dann über die Bühne gingen, wenn der Vorgänger sein Verfallsdatum überschritten hatte. Der 57-jährige Moore agierte in
A View to a Kill (
Im Angesicht des Todes, 1985) wie ein Opa auf der Parkbank. Brosnan wirkte in
Die Another Day (
Stirb an einem anderen Tag, 2002) nur noch deplaziert und verschwand als Typ fast ganz hinter all dem aufgemotzten Technikklimbim. Mit dem kantigen Briten Craig begann die Geschichte bei Null (obwohl sie in der Neuzeit spielt).
Casino Royale zeigt James Bond als jungen Springinsfeld, ein Doppelnullagent-Azubi, der noch nicht begriffen hat, wie er seinen Wodka-Martini zu bestellen hat. Geschüttelt, nicht gerührt. Comprende?
Dann war da noch die neue Härte, die manchen Fan irritierte. Ein Bond der sich prügelt bis es raucht und seine Wumme zu mehr als einem gezielten Vollstreckungsschuss einsetzt (wenn überhaupt), das wäre mit Brosnan oder Moore unmöglich gewesen. Aber der Erfolg war da,
Casino Royale ist der bis dato erfolgreichste Film der Serie.
Warum also etwas anders machen?
Quantum of Solace (
Ein Quantum Trost, 2008) beginnt, wo der Vorgängerfilm aufhörte. Nur das Motiv ist wieder etwas ungewöhnlich: Rache. Rache für seine ermordete Geliebte. Dabei macht er Bekanntschaft mit der ominösen Organisation QUANTUM. (Ganz recht, es ist ein Akronym. Wofür es steht, weiß Produzent Broccoli selbst noch nicht genau: „Wenn euch was einfällt, lasst es uns wissen.“)
Verdutzt müssen seine Chefin M (Judi Dench) und Bond feststellen, dass der MI6 von feindlichen QUANTUM-Agenten infiltriert ist - und nicht nur dort. Ein Paranoia-Motiv, das in der Post-9/11-Ära eine Widerauferstehung erfuhr. Das Bankkonto eines der Verräter führt direkt zu dem zwielichtigen, milliardenschweren Geschäftsmann und mutmaßlichen Oberhaupt, Dominic Green (Mathieu Amalric), der nach außen den ökologischen Wohltäter spielt, mit seiner Organisation jedoch eine der wichtigsten Ressourcen der Welt an sich reißen will.
Auch kreuzen sich die Wege des Doppelnullagenten mit denen der geheimnisvollen Camille (Olga Kurylenko), die unbedingt dem Bolivianischen Exildiktator General Medrano (Joaquin Cosio) an den Kragen will, der ihre Familie auslöschte. (Auch das ist nichts neues, siehe
For Your Eyes Only.) Und irgendwann gerät auch er in Verdacht, ein feindlicher Spion zu sein.
Mit 106 Minuten Spielzeit ist der neue Bond der kürzeste aller Zeiten – und fühlt sich doch zu lang an. Weil entweder nichts in diesem Film überrascht, oder weil einfach alles fehlt, was diese Filmreihe mal charmant machte.
Die Schurken sind immer noch sinister salbadernde Gentleman-Gangster, die jeden Augenblick einen cholerischen Anfall bekommen oder ihr Gegenüber um die Ecke bringen. Amalric hat dabei nichts originäres an sich, was ihn aus der Ahnengalerie der Bösewichte herausheben könnte. Er hat nicht die hemdsärmelige, grobschlächtige Aura eines Gerd Fröbe, dessen dickes Gesicht bei jedem „b“ erbebte ("Mister Bbbond!") Er ist kein durchtriebener, relaxter Inselfürst wie Christopher Lee, kein melancholischer, jähzorniger Captain Nemo wie Curt Jürgens, und auch kein Anzugschurke mit Killerblick wie Christopher Walken. Schade.
Frauen sind immer noch Dekoration, da kann die Figur der Camille noch so selbstbewusst und gerissen daherkommen. Das Drehbuch wirft zum Beispiel die MI6-Agentin Fields (Gemma Arterton) ins Rennen, nur um sie nach absolviertem Schäferstündchen mit 007 einen lausigen Tod sterben zu lassen, der auch noch stark an das Ableben des blonden Betthäschens aus
Goldfinger (1964) erinnert. Ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird.
Humor ist etwas, was bei Craig nur im Konjunktiv vorkommt. Seine Libido scheint komplett verkümmert. In der einzigen ‚schlüpfrigen’ Szene wirkt er so lustlos, als ob ihm die Filmcrew mit einer Tafel soufflieren müsste: „Sex! Jetzt!“
Kein Vergleich zur schnurrigen Dauerläufigkeit Sean Connerys: „
Dafür ist immer Zeit.“ Kein Vergleich zu Roger Moores geschmeidigen Unverschämtheiten. „James, ich brauch dich!“ / „England braucht mich auch.“
Oder?
Daniel Craig. Ist er der „beste Bond aller Zeiten“, so wie Schauspielerkollege Liv Schreiber mutmaßte und es auch unlängst in der PARK AVENUE stand (in einem Feature, von dem Journalist und Video-Blogger Oliver Gehrs behauptet, es lese sich wie von einer "sexhungrigen Praktikantin" geschrieben)?
Argumentiert man vom klassizistischen Standpunkt aus, ist er gar kein Bond. Broccoli und Wilson haben aus dem smarten Alleskönner einen stinknormalen Haudrauf aus dem Action-Bilderbuch gemacht. Ein Hafenarbeiter im Anzug, mit dem Habitus einer ständig einsatzbereiten Kampfmaschine. Er prügelt und prustet, schnaubt und schießt sich durch alle Herren Länder, ohne dabei auch nur einen Mine zu verziehen. Dabei entsteht eine Chronik der Verwüstung, die sogar die Body Counts der früheren Filme in den Schatten stellt. Natürlich starben die Menschen auch da wie die Fliegen. Und das mit einer Eiseskälte, die nicht immer sympathisch war. Aber das ist nichts gegen diese Orgie.
Prolog in Italien mit viel kaputtem Autoblech. Dann: Schießerei und Auf-die-Fresse in der Toskana, kurze Ruhepause in London. Kaputtes Autoblech und Auf-die-Fresse in Mexiko, Schießerei und Auf-die-Fresse in Bregenz, Österreich. Luftkämpfe im bolivianischen Luftraum, noch mehr Schießerei und Auf-die-Fresse und Kleinholz auf festem bolivianischen Boden. Zum Schluss: ganz viel Schießerei und Auf-die-Fresse mit vielen Explosionen und zwangsläufigem Kleinholz. Epilog in Russland, wo Bond endlich den Mörder seiner Geliebten stellt. Keine Schießerei, kein Auf-die-Fresse, aber finstere Genugtuung. Kalte Rache. Aber Trost?
Insgesamt 200.000 Platzpatronen sind in Test und Dreharbeiten draufgegangen. Aber: FSK 12! (Das mag verstehen wer will.)
Der Film hätte auch „Mit 200.000 Kugeln um die Welt“ heißen können. Oder „Rauchende Colts Reloaded“.
Der deutsch-amerikanische Regisseur Marc Forster wollte es dabei besonders schnell haben, vor allem: schnell geschnitten. Fast ist es, als ob die Bilder ganz hinter der Geschwindigkeit verschwinden. Sollte der Erfolg die Bestätigung bringen, wird der nächste Bondfilm wohl nur noch eine Stunde dauern und im Zeitraffer präsentiert.
Emotionen? Staffage. Werden runtergeschluckt, bevor sie hochkochen können. Sind in diesem Erzähluniversum nur als Triebmotor der Rachegelüste zu gebrauchen. Den Tag, an dem Daniel Craig mit seinen eineinhalb Gesichtsausdrücken im Repertoire Emotionen ausdrücken vermag, diesen Tag müsste man sich dick im Kalender anstreichen. Der Versuch, ihn zum tragischen Helden zu machen, dem alles unter den Händen wegstirbt was er anfasst, der an seiner Bestimmung fast zerbricht, misslingt gründlich. Weil man ihm nichts dergleichen abkauft. Er hat nicht die Zerknirschtheit eines Christian Bale alias Batman. Er ist auch kein Tobey Maguire alias Spider-Man, der schon durch sein Äußeres einen Kontrapunkt setzt zum monströsen Schicksal, ein Held sein zu müssen. Eine Aufgabe, die einsam macht. Craig ist einfach nur ein übellauniges, maulfaules Raubein, das lieber schießt als seinen Grips anzustrengen und nur durch Zufall in einem Maßanzug steckt. In diesem Lichte war
Casino Royale anscheinend nicht der Beginn einer Genese, sondern der Ausruf eines Neuprogramms. Aus dem Azubi ist nicht der Bond geworden, den die Welt kannte, sondern ein ganz neuer Typus. Eine Kehrtwende.
Politik? Kinkerlitzchen. Das war, zugegeben, schon immer so bei Bond. Ein Rahmen, ein Hintergrund, wenn überhaupt. Bei Sean Connery war es der Kalte Krieg, bei Roger Moore die Energiekrise, bei Pierce Brosnan stand der Russe wieder auf, der der immer vor der Tür stand - auch nach dem Zusammenbruch des Sowjetsozialismus. Seit
Casino Royale sind es globalisierte Verbrecherbanden. Und in der Tat werden die großen Kriege wohl nicht mehr um Ideologien oder Territorien, sondern um essenzielle Rohstoffe und Ressourcen geführt werden. Und da kennen Westmächte weder Freund noch Feind, sondern nur noch Geschäftspartner.
Was man dem Drehbuch neben diesem Realismus zu Gute halten kann (wenn man wollte) ist, sich ein kleines bisschen von der Systemkonformität verabschiedet zu haben. Aber daraus machen Forster und Co. leider nichts. Ein Satz eines hohen britischen Abgeordneten, wie: „Wenn wir mit Schurken keine Geschäfte machen würden, hätten wir gar keine Handelspartner mehr“, sorgt schon lange nicht mehr für hochgezogene Augenbrauen. Beim Drehbuchautorengespann Robert Wade, Paul Haggis und Neal Purvis taugt das nicht mal als Gag.
Am Ende werden die Zuschauerzahlen entscheiden, ob die Neudefinition des Mythos, der Marke, auf Dauer funktionieren kann. Fakt ist, dass 007 nicht mehr der Alte ist. Die ganze Serie ist fast nicht wiederzuerkennen. Beim neuen Bond klingt nur der Filmtitel poetisch, wie ein Roman. Zu poetisch, für so eine grimmige, ironiefreie Vendetta-Oper.
Ich jedenfalls entscheide mich für:
BOND: „Erwarten Sie dass ich rede, Goldfinger?“
GOLDFINGER: „Nein, Mr. Bbbbond. Ich erwarte von Ihnen dass Sie sterben!“
Nach so einem Schlagabtausch kann man in
Quantum of Solace nicht einmal mit der Lupe suchen. Man braucht ein Mikroskop dafür. Und findet doch nur Schmauchspuren und Kleinholz.