von Asokan Nirmalarajah
Im Mainstreamkino, so zumindest die Regel, ist der Titel eines Films immer auch Programm. Als ein auf die kollektiven Vorlieben und Bedürfnisse eines möglichst breiten Massenpublikums abgestimmtes Fließbandprodukt hat ein High-Concept-Mainstreamfilm, der seine Zielgruppe nicht enttäuschen will, genau das zu liefern, was er im Titel verspricht. Der typische Arthouse-Film hingegen ist darauf bedacht, seinem sich anspruchsvoll gerierenden Publikum keinerlei unsinnige Versprechungen dieser Art zu machen und bereits im mehrdeutigen Titel von weit mehr herausfordernder Ambiguität zu künden. Auch das vielerorts bejubelte französisch-tschadische Familiendrama
Ein Mann, der schreit (2010, im französischen Original:
Un homme qui crie) hält nicht wirklich, was man sich auf dem ersten Blick vom Titel verspricht. Zwar ist der schweigsame, in sich gekehrte Protagonist der leisen, sensiblen Psychostudie durchaus „ein Mann, der schreit“, doch seine Schreie dringen nicht nach außen, sondern verhallen ungehört in seinem Inneren. In
A Screaming Man, so der internationale englische Titel des Films, für den Mahamat Saleh Haroun, ein in Frankreich lebender tschadischer Filmemacher, im letzten Jahr den Preis der Jury bei den 63. Internationalen Filmfestspielen von Cannes gewann, geben sich in einer d
ramatischen Vater-Sohn-Geschichte, die sich vor dem chaotischen Hintergrund des tschadischen Bürgerkriegs abspielt, die biblischen Geschichten von Hiob und Abraham die Hand, die ob der Willkürlichkeit Gottes zu verzweifeln drohen. Doch der unaufdringlich erzählte Generationenkonflikt, der zuweilen an eine moderne afrikanische Version von F.W. Murnaus Stummfilmklassiker
Der letzte Mann (1924) erinnert, scheitert an einer grobschlächtigen Symbolik und hölzernen Amateurschauspielern vor berauschender Sonnenkulisse.
Zu Anfang der gänzlich unspektakulär erzählten und leider sehr berechenbaren Geschichte ist Adam (Youssouf Djaoro) noch ein lächelnder, weil glücklicher Mann. Der ehemalige Wettkampfschwimmer arbeitet zusammen mit seinem erwachsenen Sohn Abdel (Diouc Koma) als Schwimmbadaufseher in einem luxuriösen Hotel, einer kleinen, weltfernen Oase, in die die schlimmen Nachrichten von der Kriegsfront sehr selten dringen. Unbeirrt vom Bürgerkrieg, der vor seiner Haustür tobt, genießt Adam sein Leben mit Frau und Sohn, und ausreichend gutem Essen. Doch dann wird sein bester Freund, der Koch des Hotels fristlos entlassen, und auch er gerät bald ins Visier der Hoteldirektion, die aufgrund des Krieges und der ausbleibenden Touristen Sparmaßnahmen vornehmen muss. Wegen seines hohen Alters wird Adam plötzlich auf die Stelle des Wachmannes am Hoteltor degradiert und sein Sohn erhält die Aufgabe, das Schwimmbad alleine zu verwalten. Enttäuscht zieht sich Adam zurück. Doch als er von einem lokalen Befehlshaber (Emile Abossolo M’Bo) unter Druck gesetzt wird, etwas für den Krieg zu tun und wie dieser seinen Sohn der Armee zu übergeben, willigt Adam ein und opfert Abdel dem Krieg. Während sein Sohn an der Front kämpft, übernimmt Adam wieder seine frühere Tätigkeit im Hotel. Doch das vorherige Glück will sich für ihn nicht wieder einfinden – nicht zuletzt weil Adams schwangere Freundin auf einmal vor dem Elternhaus steht und um Beistand bittet…
Wenn dann der von Schuldgefühlen geplagte, passive Adam schließlich handelt und gegen Ende des Films auf seinem Motorrad quer durchs verwahrloste Land tuckert, um von seinem verschollenen Sohn zu retten, was noch zu retten ist, kippt
Ein Mann, der schreit endgültig in ein plakatives, gleichnishaftes Drama um, in dem die jüngere, unschuldige Generation für die Sünden der älteren, verantwortungslosen Generation leiden oder sogar sterben muss. Der journalistisch geschulte Filmemacher Mahamat Saleh Haroun, der 1999 nach Kurz- und Dokumentarfilmen, mit dem halbdokumentarischen, autobiographischen Spielfilm
Bye Bye Africa viel Lob auf internationalen Filmfestivals erntete, erzählt diese gemächlich vor sich hin dümpelnde, spannungsarme Geschichte so dramaturgisch nüchtern wie visuell eindringlich. Die Kamera bleibt meist auf Distanz zu den Figuren, die sich in langen, statischen Einstellungen immer mehr ihrer Bitterkeit und Hoffnungslosigkeit hingeben. Doch leider können die Schauspieler ihre schablonenhaften Figuren nicht mit genug Leben ausfüllen, so dass die emotionale Kraft der Geschichte so schnell verpufft wie jeder Anspruch auf eine soziopolitische Momentaufnahme des afrikanischen Krisengebiets.
Im Ansatz findet sich hier die durchaus interessante Geschichte eines arroganten Mannes, der die Anerkennung, die er bei seinen ausländischen Geldgebern findet, mehr schätzt als sein eigen Fleisch und Blut und damit gegen die Zukunft seines Landes handelt. Denn das zweifelhafte Erbe, das der egoistische Vater dem lebensfreudigen, unbekümmerten Sohn vermacht, ist nicht etwa der berufliche Erfolg und der damit einhergehende soziale Status, sondern die Schrecken eines sinnlosen Krieges, in dem er selbst nicht zu kämpfen gedenkt und den er selbst nicht ganz versteht. Das Desinteresse des Protagonisten am tschadischen Bürgerkrieg bringt es auch mit sich, dass der bewaffnete Konflikt im Film nur eine abstrakte Gefahr in der Welt außerhalb des Hotelgeländes darstellt. Währenddessen kleidet sich der Afrikaner Adam in weißer Uniform und unterhält weiße Touristen, die ebenso wenig an der Armut und dem Krieg unmittelbar vor dem Hoteltor interessiert sind wie Adam. Hübsch und atmosphärisch fotografiert in den schwülen, golden glühenden Straßen der tschadischen Städte N’Djamena und Abéché, ist
Ein Mann, der schreit ein ambitionierter Film über geographische wie emotionale Isolation von der Welt, der aber mit seinen ausdrucksschwachen Hauptdarstellern, eindimensionalen Figuren und der krampfhaft didaktischen Inszenierung weit hinter seinen Möglichkeiten zurück bleibt.