Wir schreiben das Jahr 1999: Der noch relativ unbekannte Inder M. Night Shyamalan liefert mit seinem spiritistischen Mystery-Drama „The Sixth Sense“ einen Film ab, der nicht nur einen unglaublichen kommerziellen Erfolg zu verzeichnen hatte, sondern auch in kürzester Zeit einen schier unglaublichen Kultstatus aneignet bekam, was nicht zuletzt auf seinen sagenhaften Twist zurückzuführen ist, der dem Publikum in den Kinosälen die Kinnlade auf den Boden knallen ließ. „The Sixth Sense“ ist mit Sicherheit einer der meistgespoilerten Filme aller Zeiten; „The Sixth Sense“ aber wird auch vollkommen zu Unrecht auf seinen allseits bekannten Twist reduziert, obwohl Shyamalan einen Film geschrieben hat, der offenkundig nicht mit Biegen und Brechen auf diese so berauschende „Wendung“ hin inszeniert wurde. Danach, längst zum Wunderkind avanciert und von dort an mit einer Erwartungshaltung belegt, der kein Mensch gerecht werden konnte, ging es für Shyamalan bergab – bis er mit dem Scientology-Sci-Fi-Dung „
After Earth“ endgültig auf dem morschen Boden der Tatsachen aufschlug.
Allerdings können derlei Rückschläge, wie sie Shyamalan etwa mit „Das Mädchen im Wasser“, „
The Happening“, oder „Die Legende von Aaang“ erlebt hatte, nicht nur fundamental demotivieren. Sie können einen Künstler auch anspornen, sich z
urück auf seine Wurzeln zu besinnen und einstige, ihn so auszeichnende Stärken zu vergegenwärtigen. Wer bereits mit M. Night Shyamalan und seinem Talent als Filmemacher abgeschlossen hatte (und wer hat das insgeheim nicht?), der wird nun mit seinem neusten Streich, dem auf den Fantasy Filmfest in München uraufgeführten „The Visit“, sein blaues Wunder erleben, denn: Shyamalan ist wieder zurück! Sicherlich muss man sagen, dass seine Found-Footage-Melange nicht an die „The Sixth Sense“-Hochzeit heranreicht, allerdings ist Shyamalan mit „The Visit“ wieder in den ihn inspirierenden, dem Kanon zufolge aber auch reichlich abgeschmackten Genre-Gefilden angelangt, in denen er sich schon immer sichtlich am wohlsten gefühlt hat. Natürlich reden wir hier nun vom Mystery-Horror, wenngleich Shyamalan die Basiskoordinaten seines Twistorama-Schemas neu anordnet an.
Tatsächlich möchte man „The Visit“ eine gewisse Frische attestieren, die nicht zuletzt daher rühren könnte, dass Shyamalan nicht mehr der Druck eines vermögenden Studios im Nacken hängt, sondern das ökonomische intelligent agierende Unternehmen der Blumhouse-Productions, die für ihr günstiges Wirtschaften bekannt sind und mit „
Paranormal Activity“ sowie „
Insidious“ bereits zwei Franchises aus den Boden gestampft haben, die bekanntlich reichlich Kasse machten – mit vergleichsweise geringen Kosten. „The Visit“ knüpft dort an, hat seine Produktionskosten selbstredend unlängst eingespielt und darf sich nunmehr mal wieder als ein von M. Night Shyamalan in Szene gegossener Film bezeichnen, der nicht als astreiner Katastrophalflop das Gespött der Massen auf sich zieht. Um einen Zugang zu „The Visit“ zu finden, ist es zu Anfang erst einmal vonnöten, die abenteuerliche Prämisse zu akzeptieren. Im Mittelpunkt nämlich stehen die beiden Geschwister Rebecca (Olivia DeJonge) und Tyler (Ed Oxenbould), die ihre Großeltern besuchen möchten, obwohl sich ihre Mutter (Kathryn Hahn) bereits vor 15 Jahren mit diesen überworfen hat.
Welche Mutter würde es unter diesen Umständen ohne großen Widerspruch erlauben, dass ihre Kinder die Reise ins schneebedeckte Provinzkaff auf sich nehmen dürfen? Nun denn. Rebecca jedenfalls hat sich vorgenommen, die Woche bei ihren Großeltern mit der Handkamera aufzunehmen, um erste Gehversuche im Milieu des Dokumentarfilms zu sammeln, und nachdem die lieben Alten beim ersten Kontakt einen recht liebenswerten Eindruck gemacht haben, sind Rebecca und Tyler gerne bereit, die sieben Tage in Angriff zu nehmen. Es dauert jedoch nicht lange, bis sich die ersten Merkwürdigkeiten im Hause von Oma und Opa zuspielen, die auch damit zusammenhängen, dass Rebecca und Tyler das Zimmer nicht mehr nach 21:30 Uhr verlassen dürfen. Was man zu Anfang noch auf eine gewisse altersbedingte Tüdeligkeit schieben möchte, ein Magen-Darm-Infekt, die senile Bettflucht, die Inkontinenz, nutzt Shyamalan aus, um das Spannungsszenario graduell zu steigern und zu intensivieren: Das Stirnrunzeln, aber eben auch das Hinnehmen, wird irgendwann zur rigorosen Anspannung, um letztlich in Todesängste auszubrechen.
M. Night Shyamalan aber distanziert von seinen bedeutungsschwangeren Mystery-Szenarien, möchte nicht jedem Aspekt eine tiefergehende Bedeutung einräumen, sondern macht sich auch ein Stück weit über sich selbst lustig, wenn er dann auch mal eines der Mysterien dahingehend auflöst, dass hinter diesem nur ein kräftig muffelnder Haufen Scheiße wartet. Ebenso dürfen die Seitenhiebe auf das Erfolgsformat Reality TV nicht fehlen, die quasi wie ein Meta-Boomerang zurückschwingen und an der (pseudo-)amateurfilmischen Oberfläche der Found-Footage-Optik konkreten Anklang finden. Ja, Shyamalan ist nun auch in der Lage, seinen eigenen Ruf zu ironisieren – und nur weil etwas dämlich anmutet, muss es noch lange nicht dämlich sein. Ohnehin ist „The Visit“ nicht nur die packende multigenerationelle Konfrontation, die von Minute zu Minute stärker ausartet, sondern auch mit einem luftigen Jugendhumor gesegnet, der das engmaschige Konzept des eigentlichen Horrors immer wieder angenehm auflockert. Zum Ende, und da kommt der alte Shyamalan wieder durch, muss das konservative Ideal der Familie (samt Vergebung) wieder herhalten. So viel Spaß indes hatte man trotzdem seit drei Ewigkeiten nicht mehr mit dem Inder.
Cover & Szenenbilder: © 2015 Universal Pictures.