Als Person mit zumindest in Ansätzen vorhandenem Kunstverständnis ist es mir durchaus bewusst, dass sich einem ein Werk nicht immer auf den ersten Blick erschließt. Intensivere Beschäftigung mag in einem solchen Fall zu vollkommen neuen, unerwarteten Einsichten führen, vielleicht ändert man seine ursprüngliche Meinung völlig. Wenn ich jetzt
A Hole in My Heart von Lukas Moodyson – ein Film, welcher offensichtlich den Anspruch erhebt Kunst zu sein - nach einmaligem Ansehen verreiße, stellt sich da natürlich eine Frage: Darf der denn das? Meine Antwort: Hindern sie mich daran, Mr. Moodyson.
Der Film beginnt wie eines dieser Flash-Videos, die einen erschrecken sollen: Eine junge Frau und ein Jugendlicher liegen im Bett, sie flüstert ein paar kaum verständliche Worte... und dann taucht ein Auge mitten im Bild auf, unterlegt von plötzlich einsetzender, lauter Noise-Musik. Es folgen rasch geschnittene Aufnahmen, unter anderem von diversen Operationen. Dann sehen wir nackte Menschen in einem Raum sitzen: zuerst Tess, dann Rickard, schließlich Geko. Zusammen mit Eric, dem Knaben aus der ersten Einstellung, sind dies unsere Protagonisten, und im Laufe der nächsten eineinhalb Stunden wird uns jede/r von ihnen seine/ihre Geschichte erzählen.
Erzählen ist hier nicht als Floskel, sondern durchaus wörtlich zu verstehen: Entweder die Charaktere tragen sich gegenseitig ihre Lebensgeschichten und Gedanken dazu vor, oder sie halten schl
ichtweg Monologe. Die Aufnahmen der Selbstgespräche erinnern vom Stil her an Reality Shows wie
Big Brother und bieten häufig noch Spielraum für Experimente, wie den Einsatz verschiedener Filter und Effekte. Einen tieferen Sinn hinter diesen Spielereien konnte ich allerdings nicht erkennen, die Medienkritik war auch so schon offensichtlich. Im Endeffekt will man damit wohl suggerieren, dass es sich bei dem Film um Kunst handelt. Als würde man alle zwei Minuten „Sieh mich an, ich bin ein Kunstfilm!“ einblenden.
Aber was sind das nun für Menschen, die da von sich erzählen? Da wäre als erstes Rickard zu nennen, der Vater von Eric. Ein älterer, fetter Mann mit verdammt starker Körperbehaarung und einem Hang zum Alkoholismus. Gleich zu Beginn ist er so besoffen, dass er nichtmal mehr aus dem „Bett“ - eine Ausziehcouch – kommt. Außerdem vermutet Eric, dass sein Vater sich im Schlaf angepisst hat. Dass Rickard sich dann noch fragt, wieso sein Sohn keinen Respekt vor ihm hat, zeigt zwei Dinge: Erstens, dass er sich zumindest um die Beziehung zu seinem Stammhalter kümmert, und zweitens, dass er vollkommen bescheuert ist.
Sein Freund Geko steht ihm in puncto Intelligenz in nichts nach, empfiehlt er Rickard doch einmal mit Eric einen Schießstand zu besuchen. Immerhin hat er eine Talkshow gesehen, in der solches Vorgehen die Vater-Sohn Beziehung gekittet hat. Als sie dann wirklich mit Luftdruckpistolen schießen ist das Ziel das Bild einer nackten Frau, und die Kugeln schlagen bevorzugt im Genitalbereich ein. Freude haben daran nur Rickard und Geko, Eric ist weniger begeistert und weigert sich zur Waffe zu greifen. Man soll halt doch nicht alles glauben, was man im Fernsehen sieht.
Zu den beiden gesellt sich Tess, die mit fünf Modell und mit zwölf Porno-Darstellerin werden wollte. Jetzt ist es für sie Zeit sich diesen Traum zu verwirklichen, zusammen mit den beiden ekligen Kerlen will sie ein richtig schmuddeliges Sexfilmchen drehen und ist dabei auch noch naiv genug zu glauben, dass sie ihr zu einer Karriere verhelfen können.
Damit bleibt eigentlich nur noch Eric. Er will an dem ganzen Geschehen nicht teil haben, sperrt sich in sein Zimmer und flüchtet sich in seine eigene Welt. Wir alle wissen, was das letztlich bedeutet: zugezogene Vorhänge, schwarze Klamotten, künstliche Vampirzähne (!) und düstere Musik. Dass Eric auch gerne vor sich hin philosophiert überrascht da nicht mehr.
Man merkt es vielleicht schon beim Lesen: Diese Charaktere sind nicht wirklich interessant. Und bei weitem nicht faszinierend genug, dass es spannend wäre, wenn nun 1 ½ Stunden lang ihre Psyche erforscht wird. Natürlich haben sie alle ihre kleinen Geheimnisse, diese entsprechen aber weitgehend gängigen Klischees. Beispielsweise ist der Macho Geko latent homosexuell und Erics Mutter in einem tragischen Unfall ums Leben gekommen. Einziges Highlight bleibt Gekos Traum von Außerirdischen entführt und in eine bessere Welt gebracht zu werden.
Zusammengehalten werden diese Seelen-Striptease, deren therapeutischer Charakter durch gelegentliche Puppen-Spiele unterstrichen wird, durch die Handlung, d.h. den Porno-Dreh bzw. das Verhältnis von Tess zu den Männern. Dieses gestaltet sich immer extremer: Da wird sie geschlagen, dann frisst und säuft man bis zum Kotzen und am Ende übergibt sich Geko in ihren Mund. Essen sollte man während diesem Film wahrlich nicht.
Solche Szenen können nun als Kritik an der Porno-Industrie verstanden werden, die schonungslose Darstellung soll letztlich zur Katharsis führen. Persönlich stelle ich mir nur die Frage, ob man dieses Ziel nicht auch ohne derartige Sauereien hätte erreichen können. Denn so läuft der Film in Gefahr gerade wegen seiner schockierenden Szenen an Popularität zu gewinnen, wie all jene „Anti-Kriegsfilme“, die man sich eigentlich nur wegen den Schlachten ansieht. Das würde vielleicht Herrn Moodysons Konto gut tun, die medienkritische Botschaft aber ad absurdum führen. Besser man macht es wie Michael Haneke mit seinem
Funny Games: Hier wird die eigentliche Gewalt bewusst ausgeblendet, zumindest weitgehend.
Aber genug der moralischen Kritik, kann man doch auf der Ebene der Unterhaltung viel leichter auf den Film einprügeln. Eineinhalb Stunden lang derart langweilige Charaktere zu analysieren ist einfach eine besch...eidene Idee, und die mittelmäßigen SchauspielerInnen machen die Sache nicht besser. Zu keinem der Charaktere konnte ich eine emotionale Bindung aufbauen, dementsprechend betrachtete ich das Geschehen stets aus großer Distanz. Die Effekte, die irgendwann nur noch nervig sind, tun ihr Übriges. Die harten Szenen sind natürlich eklig und schockierend, aber wirklich unter die Haut gehen sie nicht – zu weit ist das alles von mir entfernt. Und daher ist
A Hole in My Heart schlicht und ergreifend zum Gähnen. Ob er letztlich vielleicht doch Kunst ist – was ich persönlich bezweifle – oder nicht, die Entscheidung überlasse ich Anderen. Denn freiwillig ziehe ich mir das Teil nicht noch mal rein, ignorantes Arschloch das ich bin.