Die bissig-clevere Horrorsatire „The Woman“ markiert die erste echte Zusammenarbeit von Independent-Filmer Lucky McKee und Kultautor Jack Ketchum.
Obwohl der Regisseur bereits zuvor die Ketchum-Adaption „The Lost“ (2006) in produzierender Funktion betreut hat und sogar einige Wochen an der Inszenierung von dessen Roman „Red“ (deutscher Titel: „Blutrot“) beteiligt gewesen ist, haben sich die beiden Kreativköpfe für diese Arbeit erstmalig gemeinsam an einen Tisch gesetzt, um ein weiteres Schreckensszenario zu entwerfen.
Dabei spinnt der Film, dessen Buchvorlage parallel veröffentlicht worden ist, im Prinzip eine Geschichte weiter, die der Genre-Autor 1980 mit „Beutezeit“ initiiert und 1991 mit „Beutegier“ fortgesetzt hat.
Beide Werke erzählen von einem mysteriösen Kannibalenstamm, welcher die Bewohner einer friedlichen Gemeinde in Maine grausam dezimiert.
Am Ende des Sequels, das inzwischen auch als
Verfilmung vorliegt, gelingt nur einer Angehörigen der wilden Horde verletzt die Flucht in den Wald.
Diese Frau (erneut dargestellt von Pollyanna McIntosh) ist nun die Titelfigur in „The Woman“
Passender wäre es vielleicht gewesen, das Schauderstück gleich „The Wo
men“ zu nennen.
Denn eigentlich geht es im Kern der neuen Geschichte generell um die ignoranten, kleinen wie großen, Grausamkeiten, die leider immer noch in vielen Hinterzimmern unserer Gesellschaft von Männern an Frauen verübt werden.
McKee und Ketchum fuchteln hier aber zum Glück nicht nur plump mit dem erhobenen Zeigefinger herum – sie drücken diesen munter und ohne Umwege in eine klaffende Wunde.
Im Gegensatz zu den konsequent düsteren und ultrabrutalen Vorgänger-Vorlagen wird die Darstellung in „The Woman“ stets von einer schwarzhumorigen Note begleitet.
Aber Vorsicht: Der Film ist keine Komödie!
Der zynische Witz ist viel eher notwendig, um die inhaltliche wie grafische Gewalt ein wenig zu kompensieren und einen gewissen Abstand zu den Vorgängen auf der Leinwand herzustellen.
Dass das Werk trotz seiner ironischen Inszenierung noch schwere Kost ist, und in manchem deshalb gar den Wunsch hervorruft, es verbrennen zu lassen, beweist ja nicht zuletzt eine recht prominente
Zuschauerreaktion nach der Premiere auf dem diesjährigen
Sundance Film Festival...
Die Familie Cleek könnte auf den ersten Blick direkt aus einem Bilderbuch stammen.
Vater Chris (Sean Bridgers) ist ein erfolgreicher Anwalt.
Seine Frau Belle (Angela Bettis, „Toolbox Murders“) steht hinter dem Herd und kümmert sich um die drei Kinder.
Die Kinder, das sind die Teenagerin Peggy (Lauren Ashley Carter), die kurz vor ihrem Highschool-Abschluss steht, das Nesthäkchen Darlin' (Shyla Molhusen) und der freche Brian (Zach Rand), welcher mit seinen Attitüden direkt nach seinem Vater kommt.
„Tu nichts, was ich nicht auch tun würde“, zwinkert Chris Brian zu Beginn der Schulferien zu.
Doch der Sohnemann ist ein aufmerksamer Beobachter und der gutgemeinte Rat lässt eine schreckliche Tat nach sich folgen.
So weit sind wir allerdings noch nicht.
Während der Jagd entdeckt Papa Cleek im Wald eine Frau, die wie ein Tier in einer Höhle haust und auch sonst nicht gerade zivilisierte Manieren an den Tag legt.
Der pathologisch selbstbewusste Kontrollfreak entschließt sich deshalb, das arme Geschöpf einzufangen und es zusammen mit seiner Familie zu zähmen.
Er legt die wilde Unbekannte in seinem Keller in Ketten und bekommt als Dankeschön erst einmal den Ringfinger abgeknabbert. So ein Biest!
Um seinen Kindern Verantwortung beizubringen, weist er jedem eine feste Aufgabe bei der Haltung der Frau zu.
Zunächst scheint das Konzept zur Zufriedenheit (fast) aller aufzugehen, bis ein innerer Drang Chris zu etwas treibt, was nicht ungesehen bleiben soll...
Es ist wohl meist eine positive Anmerkung, wenn man darauf verweist, dass sich die Handschrift des betreffenden Regisseurs direkt an den ersten Bildern seines vorliegenden Werkes erkennen lässt.
Bei Lucky McKee, der 2002 mit „May“ ein vortreffliches Spielfilmdebüt vorgelegt hat, und „The Woman“ verhält sich das nicht anders:
Auch wenn der grimmige Geist von Ko-Schöpfer Ketchum ebenfalls klar auszumachen ist, darf man die markante Verquirlung von schrägem Popcorn-Kino mit dramatisch-bedrohlichen Elementen wohl sehr eindeutig dem inszenatorischen Talent McKees zuschreiben.
Allein die Untermalung von selbst unangenehmsten Szenarien mit beschwingten Indie-Songs, so als würde man gerade die neueste Teenie-Komödie aus Übersee begutachten, verleiht dem Werk eine sehr eigene Stimmung.
Man bekommt das seltsame Gefühl vermittelt, dass doch eigentlich alles schön und gut ist, auch wenn die gezeigten Bilder eine deutlich andere Sprache sprechen.
„The Woman“ manipuliert unser sauberes Bild einer typischen US-Kleinfamilie, indem er uns unter der freundlichen Oberfläche Dinge offenbart, die wir am liebsten nicht sehen würden, oder vor denen wir unsere Augen gerne verschließen.
Die Haltung eines Menschen als eine Art Nutztier ist dabei nur die comichaft-übersteigerte Spitze eines Eisbergs physischer und psychischer Greueltaten.
Das erschreckend kühle Machtspiel der männlichen Protagonisen geht unter die Haut.
Auch in kurzen Szenen, wo der Film einen privaten Blick auf die streng patriarchalische Familienordnung gewährt.
Eine beiläufig ausgeteilte Backpfeife an die vermeintlich aufmüpfige Ehefrau führt bereits vor Augen, dass ihre Meinung in diesem Haushalt wohl nicht zählt.
Es kommt allerdings noch viel, viel schlimmer.
Nun liegt es Lucky McKee aber auch mehr als fern, die Frauen in seinem Werk als schwache, willenlose Opfer darzustellen. Im Gegenteil.
Im Prinzip blickt man von deren Position auf die testosterongesteuerten, unberechenbaren Männer herab, die in Wirklichkeit diejenigen sind, die noch eine Lektion in Sachen „zivilisiertes Verhalten“ lernen müssten.
Wer „The Woman“ mysogynische Tendenzen unterstellt, hat den Film ganz einfach nicht verstanden - oder hat sich möglicherweise gar von der unbeschwerten, männlichen Lebensweise in der ersten Hälfte einlullen lassen und sieht sich schließlich von dem düsteren, aber kraftvollen, Finale innerlich überrumpelt.
Stoßen könnten sich einige Zuschauer verständlicherweise an der teils doch expliziten Gewaltdarstellung.
Als stupider Splatterstreifen lässt sich das Ganze jedoch keineswegs zusammenfassen.
Hier werden nicht zum puren Selbstzweck irgendwelche Grenzen überschritten.
Mehr, als nur mit seinen Bildern zu verstören, möchte das Werk nämlich inhaltlich wahrgenommen werden.
Viele interessante Horrorgeschichten verfügen über einen provokanten, sozialkritischen Ansatz.
„The Woman“ ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Und obendrein eine echte Genre-Perle.