„Paura nella città dei morti viventi“ oder „Wie überstehe ich die Weihnachtsfeiertage im Kreise meiner Familie?“
Alle Jahre wieder kommen jene öden und überflüssigen Tage nach dem 24. Dezember. Die Geschenkorgie ist vorüber (immerhin der eigentliche Sinn von Weihnachten), der Braten gegessen, und eigentlich könnte sich jetzt ohne viel Aufsehen der gewohnte Alltagstrott wiedereinstellen, aber nein, es gibt da diesen lästigen 25. und 26. Dezember mit all seinen familiären Verpflichtungen. Auch die guten Freunde haben nun keine Zeit, weil sie entweder vor dem Fest der Feste in den Urlaub flüchten, oder diese Tage als zu heilig erachten, um sich mit meiner profanen Wenigkeit zu versündigen, und mein fieser Freund hat mich im Stich gelassen, weil er ebenfalls in der Ferne bei seiner Verwandtschaft weilt.
Nun ja, man soll ja bekanntlich das Leben so nehmen wie es kommt und das Beste daraus machen. Meine Familie hat dafür den hochprozentigen Alkohol, den mir Schwesterchen andrehen will (worauf ich dankend ablehne), und ich meine B-Movies. Ach, was für schöne Erinnerungen ich doch mit den vergangenen Weihnachtsfesten verbinde: mal stand es ganz unter dem guten Stern der „Tanz der Teufel“-Trilogie [1982-1993], dann wiederum war es eine sehr besinnliche Zeit mit Leatherface und seinem Clan. Also nehme ich die DVD „Paura nella città dei morti viventi“, mein Weihnachtsgeschenk an mich (auf Empfehlung des werten Kollegen Genzel, seine
Lordschaft vom üblen Geschmack und deshalb der ultimative Garant für Schrott), und ab in den DVD-Player damit.
Im amerikanischen Kleinstadtkaff Dunwich – nein, diese Bezeichnung ist kein Zufall, sondern von H. P. Lovecraft übernommen –, wagt es ein Priester, über dem geweihten Boden des Friedhofs Selbstmord zu begehen, indem er sich erhängt (von wegen Glockenseil!).
New York: das Medium Mary beobachtet während einer Seance den Suizid und verfällt in einen Scheintod, wird beinahe begraben, dann jedoch noch rechtzeitig ausgebuddelt und erzählt ihrem Retter Peter, dass ihr in einer Vision eine Prophezeiung, die in einem geheimnisvollen Buch nachzulesen ist, offenbart wurde: durch den Freitod des Gottesmannes werden die Toten in Dunwich, das noch dazu auf der alten Hexenstadt Salem errichtet wurde, auferstehen und die Lebenden heimsuchen. Irgendwie hängt das ganze auch noch mit Allerheiligen zusammen, weil an diesem Feiertag sich die Tore zur Hölle öffnen werden. Also machen sich Mary und Peter schleunigst auf die Reise in die verschlafene Ortschaft, um dem Fiasko entgegenzuwirken und die Menschheit zu retten. Unterdessen hat im verhängnisvollen Dörfchen das große Morden begonnen.
Hört sich schlimm an? Ist es auch! Denn das Script macht den Eindruck einer krakeligen Kritzelei, welche man am Vorabend des ersten Drehtages auf eine fettige Pizzaschachtel geschmiert hat, weil die Macher zu spät draufgekommen sind, dass ja morgen bereits die erste Klappe fallen soll. Nicht einmal diese Filmrezension könnte abgehackter und zerstückelter als der Erzählfluss von Lucio Fulcis Regiewerk sein. Der Plot hätte gut daran getan, den unnötigen Handlungsstrang mit der Seance, Marys Pseudotod und der Prophezeiung herauszustreichen und sich stattdessen ganz auf die Vorfälle in Dunwich zu konzentrieren. Aber vielleicht wollte Fulci ja einfach nur Zeit schinden, um die platte Story auf 90 Minuten aufzublähen. Zu spät fällt mir ein, dass das ja mit Fulci (im Gegensatz zu meinem Italotrash-Götzen Dario Argento) wie bei einem Dreh des Glücksrades ist: die meisten seiner Filme sind Nieten, nur ganz selten gewinnt man den Hauptpreis.
Aus der gesamten Cast sticht nur Catriona MacColl mit ein wenig mehr Präsenz hervor, nicht dass sie talentiert wäre. Aber die übrigen Schauspieler inklusive Christopher George spielen mit so wenig Enthusiasmus und Mimik, sprechen ihre Dialoge so auswendig aufgesagt, als wären sie kleine, sich sträubende Kinder, die auf Druck ihrer Eltern der Großtante ein Gedicht zum Geburtstag vortragen müssen.
Zurück nach Dunwich: Der hochtalentierte Priester scheint über ungeahnte Fähigkeiten zu verfügen, da er mit PSI-Kräften eine junge Frau dazu bringt, erst Blut zu weinen und anschließend ihre eigenen Gedärme sowie sämtliche Innereien zu kotzen. Ihr Liebhaber sieht unterdessen tatenlos zu, bis ihm der Unhold mit leichter Hand die Schädeldecke zertrümmert und ihm sein Gehirn herausreißt. Hier beweist Fulci mit großem Erfolg, was er am besten kann, nämlich Splatter und Gore, die wieder einmal vom Feinsten sind und auch heute noch funktionieren, exhibitionistisch zur Schau zu stellen.
PAUSE ---- Zumindest behauptet das die DVD, denn auf meinem alten Röhrenfernseher wird „INTERVALLO – PAURA NELLA CITTA’ DEI MORTI VIVENTI“ eingeblendet; also Zeit, um in die Küche zu gehen, mir einen Kaffee zu holen (denn so spannend ist der Trash nun wirklich nicht) und nachzusehen, ob Oma noch am Tische sitzt, oder bereits schnarchend darunter liegt. Aber nein, während ich mein Lebenselixier aufbrühe, muss ich vernehmen, wie Oma der Freundin meines Vaters (nicht zum ersten Mal) erzählt, was für ein schlimmer Lausbub ich doch war. Also geht es schnell wieder nach oben in mein beinahe schallisoliertes, hermetisch abgeriegeltes Heimkino – abgesehen vom erwähnten alten TV darf es sich so nennen – , bevor es peinlich wird.
In der Stadt der lebenden Toten indes stellt eine aufgebrachte Blondine, als sie im Nebenzimmer einen Leichnam findet, welchen sie wenige Stunden zuvor noch in der Leichenhalle aufgebahrt liegen sah, mit den intelligenten Worten fest, dass sie entweder nicht mehr alle Tassen im Schrank habe, oder etwas hier nicht mit rechten Dingen zugehe. Also geht die Dame schnell in die Küche, um sich einen Drink zu machen, und als sie zurückkommt ist die Tote wieder weg. Manche Probleme erledigen sich eben ganz von alleine.
Ein vor Wut schnaubender Tankwart verprügelt einen jungen, geistig zurückgebliebenen Mann und bohrt im anschließen mit einem überdimensionierten Schlagbohrer durch die linke Wange, bis der Stab auf der anderen Seite des Kopfes wieder heraustritt. Schließlich hat der Schändliche es ja gewagt, seine Tochter anzusehen und gar neben ihr zu sitzen – ein Mordmotiv, zumindest nach der Logik eines Italo-Horrors (der ehemalige Partisane Fulci interpretiert diese Szene übrigens ganz intellektuell, indem er in ihr „einen Aufschrei gegen den latenten Faschismus in Provinzstädten“ sieht).
Unterdessen hat auch die hysterische Blondine wenig Glück: eine Zombietussi reißt ihr die Haare samt Skalp von der Schädeldecke. Das macht aber nix, die Blonde wird wieder auferstehen, wenn auch ihre Frisur fortan nicht mehr so recht sitzen will.
Nun muss ich doch noch schnell eine Weihnachts-SMS, mit der mir die Akte EX meine Konzentration auf dieses anspruchsvolle Meisterwerk gebrochen hat, zynisch beantworten und ihm mitteilen, mit welch ekeliger Kunst und Kultur ich die ach so heiligen Feiertage totschlage, worauf dieser erbost zurück schreibt, ich solle lieber, so wie er dies gerade tue, „Narziß und Goldmund“ lesen. Narziss bin ich ohnehin selber, Goldmund ganz gewiss nicht, und über Geschmäcker ließe sich bekanntlich ewig streiten. Außerdem fülle ich hier eine Bildungslücke, da ich mir schließlich einen der viel zitiertesten und zensiertesten Filme des Zombie-Genres reinziehe! „Basta adesso!“, genug geärgert; es kann weitergehen…
Endlich haben unsere beiden Protagonisten und ein überflüssiger Nebencharakter die Gruft des bösen Paters gefunden, wo bereits andere Zombies auf sie warten. Hier überrascht der Film mit einem gewaltigen, verstaubten, Spinnweben überladenen Set sowie vielen Skeletten, und es ist immer wieder eine Freude mit anzusehen, wie langsam und wenig bewegend sich Fulcis Kreaturen durch die Gegend schleppen (meinen Brüdern nach ihren allwochenendlichen Sauftouren nicht unähnlich) – ganz real, wie wirkliche lebende Tote eben. Zudem scheinen die Monstren sich mit Captain Kirk gut gestellt zu haben, da sie sich überall hinbeamen können, und mal hier, mal dort im Raume stehen bzw. aufflackern, um ihre Opfer schneller in die mordgierigen Krallen zu kriegen. Wieder macht der Oberschurke den Trick mit dem Hirn, nur dass diesmal die elenden Gruftratten in den aufgeplatzten Schädel des (wirklich und endgültig) Toten kraxeln dürfen, um sich dort an den Köstlichkeiten zu erlaben und ein Festmahl zu halten.
Unser bedauernswerter Priester bekommt schließlich von Mary ein hölzernes Kreuz in den Leib gestochen. Vielleicht ähnelt der Schauspieler deswegen so sehr Christoper Lee, während dieser allerdings mehr Glück im Unglück hatte und den Pflock lediglich ins Herz gestoßen bekam, nicht direkt in die Genitalien. Autsch! Auch ein Untoter hat schließlich ein ausgeprägtes Schmerzempfinden!
Gut war der Film nicht, denn Fulci hat das im Jahr darauf in „Die Geisterstadt der Zombies“ (1981) und „Das Haus an der Friedhofsmauer“ (1981) weit besser hingekriegt, indem er soliden Horror und enorm viel Splatter mit einer düsteren, bedrohlichen Atmosphäre zu verbinden vermochte, was man von dem unterdurchschnittlichen, allerdings wenig konventionellen „Ein Zombie hing am Glockenseil“ nun wirklich nicht behaupten kann. Aber als ich die Treppe hinunterklettere, um die Kaffeetasse in der Küche zu deponieren, sind bereits alle im Bett oder kullern sonst irgendwo rum, sodass der Film zumindest seinen Zweck samt Daseinsberechtigung erfüllt hat und noch dazu Sympathiepunkte erntet. Wieder gelang es mir, ein Weihnachtsfest im Hause Friedrich (mehr oder weniger) psychisch gesund, ohne bleibende Schäden und vor allem LEBEND (wie die Toten in Dunwich) zu überstehen.
Daher zum Abschluss mit den Worten von Fulcis Landsmännern: „VIVA L’ESCAPISMO!“ und „Frohe Weihnachten!“ an alle, die Deutsch sprechen und/oder verstehen.