Eun-Soo ist auf dem Weg zu seiner todkranken Mutter als er beim Autofahren auf einer Landstraße im Wald mit seiner schwangeren Freundin am Handy streitet. Es kommt wie es kommen muss: durch eine Unaufmerksamkeit verliert er die Kontrolle über seinen Wagen und wacht nach dem Unfall im Wald auf. Ein junges Mädchen steht vor ihm und führt den leicht verletzten Eun-Soon durch den tiefen Wald zu ihrem Elternhaus. Neben dem Mädchen Young-Hee leben dort ihre jüngere Schwester Jung-Soon, ihr älterer Bruder Manbok sowie ihre Eltern. Aber irgendwas scheint dort nicht ganz zu stimmen: das Telefon ist angeblich kaputt, die Eltern sind nervös aber freundlich, und als Eun-Soo am nächsten Tag gehen will, verläuft er sich und findet nur wieder zu dem Haus zurück. Nachts hört er Geräusche auf dem Dachboden, die Mutter verschwindet, und Eun-Soo sieht sich bald großen Gefahren ausgesetzt, als er versucht, hinter das Geheimnis der Kinder und des Hauses zu kommen...
„Hansel & Gretel“, der im koreanischen Original ebenfalls „Henjel gwa Geuretel“ heißt (somit handelt es sich nicht um eine neue Titelgebung internationaler Verleihe), ist keine Verfilmung des Grimm'schen Märchens, auch keine moderne Fassung davon. Viel mehr dreht er die Geschichte um und gibt ihr den interessanten Twist umgekehrter Vorzeichen, wobei er das Märchen sehr frei interpretiert und sich größtenteils an den Motiven bedient (und dabei auch gerne andere Märchen wie Rotkäppchen nutzt).
Nicht etwa die drei Kinder verlaufen sich im dunklen Wald und finden das Lebkuchenhäuschen der bösen, menschenfressenden Hexe; nein, Eun-Soo, der Erwachsene, kommt nicht mehr aus dem Haus fort. Dabei erfährt der Zuschauer nie mehr als Eun-Soo selbst, so dass das Mystery des Films zwar ganz gut funktioniert, in den ersten 45 Minuten jedoch auch absolut unaufgeklärt bleibt. Einziger Hinweis ist ein Buch namens „Hänsel und Gretel“, aber man darf ja mal davon ausgehen, dass der Zuschauer auch weiß, wie der Film heißt, den er gerade schaut. Dabei ist die Inszenierung des Films langsam und unaufgeregt (aber nicht langweilig), während das Pacing angemessen ist: wenn man nach 45 Minuten aufgrund des auf der Stelle tretenden Plots langsam genervt wird, baut Regisseur Lim Pil-Sung glücklicherweise gerade rechtzeitig etwas Exposition ein.
Allerdings ist das Geschehen über weite Strecken doch sehr repetitiv. Im Endeffekt weiß der Film nicht sonderlich während des eigentlichen Geschehens zu erzählen. Eun-Soo erforscht auf langsame Art und Weise das Haus, versucht hinter das Geheimnis der Kinder zu kommen, die ihrerseits die meiste Zeit mit Spielen oder Malen beschäftigt sind. Dies merkt der Film dann selbst irgendwann auch, und bringt letztendlich (wie es bei den meisten Filmen mit stark beschränktem Cast ist) dann doch noch zwei weitere Figuren aus heiterem Himmel in den Filmen. Aber auch dieses Ehepaar vermag dem Film kaum neue Aspekte hinzuzufügen und erst am Ende erfährt der Ehemann die Bedeutung, die ihm vorher noch abging. Dazu ist der Film auch noch locker 10 Minuten, wenn nicht sogar 20 Minuten zu lang. Mit dieser beschränkten Geschichte und dem äußerst übersichtlichen Cast lassen sich nunmal schwer die knapp 117 Minuten Laufzeit füllen. Das gemächliche Tempo lässt den Film dann auch sehr lange wirken, dazu kommt noch die umständliche Erzählweise, auf die ich gleich noch eingehen möchte. Dass der Film langsam und gemächlich ist, soll allerdings kein Kritikpunkt sein: immerhin ist er ein Märchen, eine düstere Erzählung für Erwachsene, wodurch ihm die träge Traumatmosphäre zugute kommt.
Am ehesten vergleichen, denkt man an westliche Filme, lässt sich „Hansel & Gretel“ wohl mit Werken von Terry Gilliam oder Tim Burton. Beide erzählen für ihr Leben gerne moderne Märchen mit düsteren Untertönen. Allerdings fehlt dem koreanischen Werk einerseits die groteske Skurrilität von Gilliams Filmen, andererseits die verspielte Bittersüße die sich häufig in Burtons Streifen finden lässt. „Hansel & Gretel“ wirkt über weite Strecken wie liebevolles Kino, dem aber irgendwie der bestimmte Kick, vielleicht die Ecken und Kanten von Gilliams Filmen fehlt; er wirkt zu geleckt und bewusst durchgestylt...schwer zu beschreiben.
Dabei ist der Erzählstil des Films wirklich erschreckend schwach. Das Drehbuch ist ziemlich straight-forward (soweit man das bei der wenig vorhandenen Aktion sagen kann), ohne dass das Geschehen per se wirklich das Interesse des Zuschauers aufrecht erhalten kann. Die Exposition ist zu weiten Teilen wirklich fast stümperhaft in den Film eingearbeitet und überhaupt nicht mit der Geschichte verwoben. Natürlich gibt es einen „Achtung-Exposition!“-Monolog, natürlich gibt es ein „Achtung-Hintergrund!“-Buch. Und am Ende kommt dann noch eine ewig lange Rückblende ins Spiel, die Gott sei Dank dann in einer Parallelmontage mit dem wirklichen Geschehen mündet. Sinn machen tut diese aber jetzt nicht unbedingt, und wirklich notwendig in dem Sinne, dass sie die Geschichte logisch verständlich macht, ist sie auch nicht.
Was man dem Film ebenso ankreiden kann ist die Tatsache, dass manche Dinge zu viel erklärt werden, manche andererseits wiederrum fast gar nicht. Das Motiv der Hasen, die quasi in fast jedem Bild vorkommen, wirkt irgendwie etwas willkürlich, oder ich habe etwas nicht mitbekommen. Allerdings ist es durchaus effektiv, da die überall vorhandenen Hasen überaus gruselig wirken, wie überhaupt einige Szenen absolut creepy sind. Dass dieses Motiv, das so übermächtig ist, nicht weiter erläutert wird, mag eigentlich nicht schlimm sein; es ist nur dann eine vergeben Chance, wenn der Film andere Dinge aufdröselt, die im Gegensatz dazu davon profitiert hätten, wären sie im Dunklen verblieben. So ist das Verbleiben des Familienvaters eigentlich in einer Sequenz schon angemessen angedeutet. Weniger wäre hier mehr gewesen, doch Regisseur Lim entscheidet sich dann, diese Sache deutlicher zu beleuchten, was dann die Wirkung nimmt und in seiner quasi offenen Darstellung schon zu schrill ist.
Nun mag man sich fragen: wie kommen nach all dieser Kritik eigentlich die vier Sterne zusammen?
Ganz einfach: die Fotografie des Films ist schlicht und ergreifend atemberaubend. Lim Pil-Sung kleidet seine Schauergeschichte in absolut fantastische Bilder! Leuchtende Farben, schräge aber gelungene Kameraeinstellungen, grandiose Bildkompositionen, wiederkehrende Motive, liebevolle Details: all das hat „Hansel & Gretel“ im absoluten Überfluss. Man vermag sich nicht satt zu sehen. Dazu tolles Sounddesign, kleinere CGI-Spielereien und fantasievolle Einfälle ergeben einen audiovisuellen Hochgenuss. Sicherlich, Style over Substance, aber das at its best. Die Inhaltsleere und holprige Erzählung wird durch die Optik locker wieder wett gemacht. Lässt man sich darauf ein, ist die Atmosphäre ganz ausgezeichnet, und wird durch das träumerische Tempo und der überragenden Gestaltung fast schon eingelullt. Womit wir wieder bei Märchen wären, die ja auch kaum aufgrund der logischen und realistischen Geschichten ihre Wirkung entfalten.
Die DVD ist technisch überaus angemessen. Glasklares Bild mit leuchtenden Farben harmoniert perfekt mit dem tollen Sound und der gelungenen Synchronisation (weshalb man den fehlenden O-Ton zwar ankreiden kann, aber selbst die Kinder sind gut synchronisiert). Dazu gibt es ein paar Extras sowie ein Wendecover, auch wenn das Covermotiv äußerst unglücklich ist. Wenigstens wird der Film als „Dark Fantasy“ beworben, was die Sache im Kern sogar trifft. Mal wieder vielen Dank für das Rezensionsexemplar!
Letzte Worte: Inhaltlich und erzählerisch nicht herausragend, dafür optisch überwältigend. Wer sich drauf einlässt, kann sich angenehm gruseln lassen, auch wenn das eher actionorientierte Finale nicht ganz um langsamen Tempo des Films passen möchte. Und – man kann es nicht oft genug wiederholen – allein aufgrund der Bildgewalt kann man dem Film durchaus eine Chance geben.