Online, your memories live forever... but so do your mistakes.
Mittlerweile sollte ja eigentlich jeder wissen, dass das Internet nichts vergisst. Und doch hinterlassen wir täglich auf mal mehr, mal weniger sinnvolle Weise weiter unsere digitalen Spuren im World Wide Web. Diese simple Ausgangslage genügt dem Low Budget-Horror
„UNKNOWN USER“ bereits, um in strammen 83 Minuten ein Szenario zu entwickeln, das einen Chatabend unter Freunden gehörig, weil tödlich eskalieren lässt.
Zunächst beginnt alles recht harmlos: Die sechs Highschool-Freunde Ken (Jacob Wysocki), Adam (Will Peltz), Mitch (Moses Storm), Jess (Renee Olstead), Blaire (Shelley Hennig) und Val (Courtney Halverson) treffen sich eines Abends online via Skype-Video-Chat. Es ist auf den Tag genau ein Jahr her, dass ihre Mitschülerin Laura Barns (Heather Sossaman) Selbstmord begangen hat. Wie wir alsbald erfahren, ist das Mädchen damals regelrecht in den Tod getrieben worden, nachdem auf ein anonym hochgeladenes Video, das sie in überaus peinlicher Lage nach einer Party zeigte, hämische User-Kommentare der fiesesten Sorte folgten. Mysteriöserweise klinkt sich in der Jetzt-Zeit plötzlich ein den Freunden unbekannter User namens billie227 in den Chat ein, der den Namen der Person fordert, welche damals das Video von Laura ins Internet gestellt hat. Sollten sich die Freunde weigern zu antworten, gibt es Tote. Ein schlechter Scherz? Die sechs Fr
eunde zweifeln, bis billie227 beginnt, seinen Drohungen blutige Taten folgen zu lassen.
Levan Gabriadzes Film braucht nicht viel mehr als nur einen einzigen Computerbildschirm (!), der die komplette Leinwand im Kino ausfüllt, um seine Geschichte zu erzählen. Einige bedrohlich wummernde Bässe zum Spannungsaufbau sowie den ein oder anderen Song aus der Playlist der skypenden Person (der wir hier gewissermaßen über die Schulter gucken) noch hinzugefügt, und fertig ist eine zweifellos ungewöhnlich umgesetzte Idee, die aber gewiss nicht ohne Reiz ist. Der Zuschauer ist als stiller Beobachter live dabei, wenn ein an sich alltägliches Geschehen wie Chatten in Quasi-Echtzeit urplötzlich aus dem Ruder läuft. Er sieht jeden getippten, jeden wieder gelöschten Buchstaben der skypenden Person (hier Blaire) und wird durch die auf ihrem Bildschirm nebeneinander drapierten Videofenster der anrufenden Skype-Freunde mitten hineingezogen in das bizarre Spiel, das allmählich in blanken Terror umschlägt.
Obwohl die Kamera durchgängig auf Blaires Bildschirm gerichtet ist, wirkt der Film erstaunlicherweise nie statisch, sondern nutzt diese bewusste Limitierung geschickt, um mit den Ängsten leicht erschreckbarer Kinogänger zu spielen. Als einem der Mit-Skyper plötzlich die Videoverbindung gekappt wird und sein Antlitz vom Bildschirm verschwindet, ahnt der Genrefreund freilich schon, dass soeben etwas passiert sein muss. Umso gruseliger wird es, wenn sich das Videofenster kurz danach ganz langsam wieder aufbaut, um für den Bruchteil einer Sekunde den Grund für den erfolgten „Rausschmiss“ zu visualisieren. Bildaussetzer als Zeichen einer schlechten Verbindung dürfen da natürlich nicht fehlen und untermauern immer wieder gekonnt den schleichend Einzug haltenden Horror, der dem mysteriösen Treiben erwächst. Wer steckt hinter dem unbekannten User und vor allem: Was bezweckt er mit der sich zuspitzenden Aktion? Fragen über Fragen...
... deren Beantwortung in Anbetracht der wahrlich originellen Inszenierung wahrscheinlich weitaus weniger überraschend als die Tatsache ausfällt, 83 Minuten lang wildfremden Menschen beim Chatten zuzusehen und dafür auch noch Eintritt zu zahlen. Doch genau das zeichnet
„UNKNOWN USER“ in gewisser Weise aus: Er bildet den von Social Media und sozialen Netzwerken dominierten Alltag im Jetzt ab, um einen wenig subtilen, aber ungemein bösen Kommentar auf das gängige Nutzungsverhalten im Internet und die damit einhergehenden Folgen abzugeben. Denn dass sich manch einer im Netz unter dem Deckmantel der vermeintlichen Anonymität alles erlaubt, ist keinesfalls der Fantasie eines findigen Drehbuchautors entsprungen, sondern bereits Teil unserer heutigen Gesellschaft geworden, in der teils jedes Fitzelchen Leben gleich geshared, geliked und kommentiert wird.
Leider vermag es der Film aber nicht, diese satirischen Spitzen während des immer bedrohlicher werdenden Chatabends aufrecht zu erhalten und verliert sich zusehends in berühmt-berüchtigten Standards. Plötzlich ist also das Gekreische groß und
„UNKNOWN USER“ somit doch wieder da angekommen, wo schon unzählige Vertreter seiner Zunft vor ihm waren. Das bürgt hier zwar immer noch für recht solide Unterhaltung, welche aber durch einige unschöne Anschlussfehler, die das vermittelte Echtzeitgefühl zunichte machen, torpediert wird. Was bleibt, ist ein zumindest von der Grundidee her origineller Horrorfilm für die moderne
YouTube-Generation, der seine guten Ideen somit nur zum Teil befriedigend umsetzt. Heraussticht aber in jedem Fall der Mut, im Zeitalter der Sequels und Effekte-Orgien einen bis zu einem gewissen Grad leisen Film zu kreieren, der das Publikum fordert (es muss viel gelesen werden!) und darüber hinaus zeigt, dass Hollywood die originären Ideen anscheinend doch noch nicht völlig ausgegangen sind. Dafür gebührt dem ominösen
„UNKNOWN USER“ in jedem Fall uneingeschränkt Dank!
Fazit: „UNKNOWN USER“ ist gewiss nicht perfekt und verzeichnet trotz einer kurzen Laufzeit von nur 83 Minuten gerade zu Beginn einige Längen. Der clever-originelle Ansatz und die Reduzierung des Schauplatzes auf einen einzigen Computerbildschirm wissen aber durch geschickte Kniffe und den Einsatz beliebt-berüchtigter Horror-Klischees, Spannung zu erzeugen. Fans ungewöhnlicher Ideen sollten also ruhig einen vorsichtigen Blick riskieren. Sie werden den nächsten Chatbesuch garantiert mit anderen Augen sehen.
Cover: © Universal Pictures