MUSIK IST KOPFSACHE.
Der 1977 in Heidelberg geborene und seit seinem zweiten Lebensjahr in Irland lebende Charakterkopf und Kritiker-Liebling
Michael Fassbender („
Shame“ [2011]) beweist in
Leonard Abrahamsons skurriler Musik-Dramödie
„FRANK“ eindeutig Köpfchen:
Lose auf den Memoiren des englischen Musikers und Komikers
Chris Sievey basierend, erzählt
„FRANK“ die Geschichte des Tagträumers Jon (Domhnall Gleeson), der durch Zufall Bekanntschaft mit der experimentellen Band
Soronprfbs und ihrem exzentrischen Frontmann Frank (Michael Fassbender) schließt. Denn als der Keyboarder der Band kurzfristig ausfällt, holt der einen Pappmaché-Kopf tragende Kopf der Band Jon kurzerhand an Bord. Und dieser ist völlig aus dem Häuschen. Noch. Doch spätestens als er
in ein abgelegenes Häuschen in den irischen Wäldern verfrachtet wird, um über mehrere Monate hinweg mitsamt der Band ein neues Album aufzunehmen, ahnt Jon, dass dieser Trip kein leichter sein wird.
Herrje, worauf habe ich mich da nur eingelassen?, mag Jon mit zunehmender Laufzeit durch den Kopf schießen, und auch der unschuldige Rezipient der nun folgenden 90 Minuten dürfte wohl zunächst ähnlich denken. Es ist aber auch zu seltsam, dieses Bild eines wild durch den Schnee hüpfenden Pappmaché-Kopfes auf der Suche nach
Inspiration. Wenn dann noch Textzeilen dazu kommen, welche
galactic perimeters und
nuclear bombs aneinanderreihen, hüpft bald der eigene Verstand mit Frank um die Wette (und wird wohl nicht gewinnen). Schnell wird klar, dass unsereins nur erahnen kann, was in diesem Kopf wohl vor sich gehen mag. Genie und Wahnsinn lagen selten dichter beisammen.
Michael Fassbender als Frank gelingt dabei das einmalige Kunststück, diesen ambivalenten Charakter, der seinen Pappmaché-Kopf noch nicht einmal zum Duschen abnimmt (und darüber hinaus sogar ein Attest vorweisen kann), nur mittels Körpersprache und seiner Stimme glaubwürdig zum Leben zu erwecken, ohne ihn ins Lächerliche zu ziehen (was im Übrigen ein Leichtes wäre). Die Frage, warum Frank sich in dieser Form versteckt, wird zwar gestellt, erfährt jedoch keine Antwort, zumindest keine offensichtliche. Denn dieser Mann, der uns fortwährend seinen naturgegebenen Kopf vorenthält, ist bei genauerer Betrachtung weitaus weniger öffentlichkeitsscheu als vermutet, gehört doch ein gehöriges Quäntchen Mut dazu, sich überhaupt – und noch dazu dauerhaft – einen Pappmaché-Kopf überzustülpen. Der Mensch in dieser speziellen Ausgestaltung, das
ist schlichtweg Frank, wie er sein Leben bestreitet und somit dem legendären
Rocky Horror Picture Show-Motto
Do not dream it – be it! eindrucksvoll Ausdruck verleiht. Auch wenn er sicherlich einen an der Waffel hat.
Was hier, in den irischen Wäldern, zwischen schlecht gestutzten Männerbärten, kruden Texteinfällen und mehr oder minder sinnlichen Liebeleien im Dampfbad vor allem zählt, ist die Musik als Endprodukt, das Erreichen des künstlerischen Zenits. Und da sind die Vorlieben der einzelnen Musiker, von denen manch einer in der Vergangenheit schon einmal gerne den einseitigen Liebesakt mit Schaufensterpuppen praktiziert hat, eher nebensächlich. So sind diese immer neuen Einblicke in die verquere Gedankenwelt der Protagonisten auch nie mehr als Randnotizen auf einem Notenblatt, dessen Melodie (wenn man sie so nennen kann) die charakterbezogene Dunkelheit mit einem ohrenbetäubenden Crescendo menschlicher Kreativität wegfegt. Und diese ist nicht unbedingt für ein breites Publikum geeignet. Die leise Kritik am Social-Media-Wahn, die hier wiederholt anklingt, und die mit der von
Domhnall Gleeson verkörperten Rolle, welcher die illustre Truppe neu erfinden möchte, Hand und Fuß bekommt, ist diesbezüglich löblich. Denn es gilt in der Branche doch immer mehr der Grundsatz, dass du es nur dann weit bringen kannst, wenn es der Masse gefällt, auch wenn das Herz dabei immer öfters auf der Strecke bleibt. Hier sind es
YouTube-Klicks, die suggerieren, dass der Erfolg naht. Doch um welchen Preis?
Leider wird Abrahamsons Film seinen Charakteren und deren Problemen in der Kürze der Zeit (knapp 90 Minuten) nicht vollends habhaft und wirkt dadurch an einigen Stellen doch recht sprunghaft inszeniert respektive unentschlossen bezüglich der einzuschlagenden Marschrichtung. Mal sind die illustren Musiker genial-verschroben, die surreal-verquer anmutenden Textpassagen zum Niederknien, und plötzlich liegt eine fast schon störende Lethargie einem unsichtbaren Schleier gleich über dem Geschehen. Würde sich Abrahamson etwas expliziter für das eine oder andere entscheiden – sein Film wäre in seiner Wirkmächtigkeit um einiges deutlicher, vor allem aber kohärenter. Es lässt sich zwar fortwährend erahnen, wie der Regisseur die mitschwingende tragisch-persönliche Note inmitten des musikalischen Reigens hervorzuheben versucht, die Ursache derselben jedoch bleibt bis zum baldigen Ende nur vage Vermutung. Herunterbrechen kann man es wohl knapp auf Folgendes: Ein Querkopf lässt sich nicht verbiegen und hat immer noch seinen eigenen Kopf. Für viele Querköpfe gilt quasi dasselbe. Was zählt da am Ende noch der Erfolg?
This music is shit, bricht es einmal auf der Bühne gar aus einem fassungslosen Frank heraus, während die Festivalbesucher auf den ersten Song warten. Vergeblich. Denn Jons fixe Idee, Franks musikalischen Ergüsse eingängiger zu gestalten, erweist sich allzu schnell als nicht überlebensfähige Kopfgeburt, der die Masse keine Träne nachweint.
Fazit: Skurril, verschroben und trotz alledem irgendwie liebenswert:
„FRANK“ ist in seiner tragikomischen Ausrichtung vielleicht nicht immer leicht zu fassen, im Ergebnis aber weitaus weniger verkopft als vorab gedacht. Übrig bleibt solide Indie-Unterhaltung mit einem bestens aufgelegten Michael Fassbender, den man so wohl noch nie gesehen hat.
Der Film ist ab dem 27.08.2015 in ausgewählten Kinos in der OmU-Fassung zu sehen. Die DVD- und Blu-ray-Auswertung erfolgt dann ab dem 30.10.2015.
Cover: © Weltkino Filmverleih