(USA, 2007)
Jesus, is the circus in town?
Als John McClane zum ersten Mal einen echt miesen Tag hatte, schrieb man das Jahr 1988. Da musste er Gangster in einem Hochhaus zur Strecke bringen. Zwei Jahre darauf war es ein Flughafen, fünf Jahre danach schon ganz New York City. Bruce Willis verkörperte einen moderaten Gegenentwurf zu den protzigen Muskelpaketen, die in der Ronald Reagan-Ära die Leinwand ausfüllten und den Vietnamkrieg und andere Höllenschlachten im Alleingang gewannen. John McClane sollte ein normaler Typ sein. Verletzlich und verschroben, aber auch mit allem körperlichem Kapital ausgestattet, um eine zweistündige Auseinandersetzung mit professionellen Schurken überstehen zu können. Die Handlung wurde zum lieb gewonnenen Ritual. Am Anfang ist John nur ein normaler Cop, der bevorzugt an christlichen Feiertagen in den Schlamassel gerät. Dann treten die Bösewichter auf den Plan, stets glänzend organisierte und technisch hochgerüstete Terror-Teams, übernehmen die Gewalt über die Lokalität, legen falsche Fährten für die Polizei, um dann still und heimlich Banktresore zu plündern.
McClane macht das, was ein Kerl in so einer Situation verdammt noch mal tun muss. Er kämpft. Bleibt zunächst für seine Gegner nur ein Schatten, muss sich mit unfähigen und begriffsstutzigen Einsatzleitern rumärgern, die nicht begreifen, was gespielt wird. Und arbeitet sich dann Stück f
ür Stück an den Oberbösewicht heran.
Die besten von ihnen sprachen Deutsch. Im ersten Teil war es Hans Gruber, alias Alan Rickman, der selbst noch Rohrkrepierern wie „Robin Hood – König der Diebe“ zu etwas Glanz verhelfen konnte. Smart und böse, äußerlich ein Gentlemangangster, vom Benehmen her ein Psychopath mit Schnodderschnauze. Vielleicht einer der grandiosesten Bad Guys seit Gerd Fröbe als Goldfinger.
Im dritten Teil war es dann sinnigerweise Grubers Bruder, der DDR-Offizier Peter Krieg, gespielt von Jeremy Irons. Er hatte nicht die triebhafte Bösartigkeit von Rickman, dafür glänzte er mit lakonischem Understatement.
Alle „Stirb langsam“-Filme waren erstklassiges Popcorn-Blockbusterkino. Furios, spektakulär, animalisch. Was sie auch für diejenigen interessant machte, die Action-DVD´s nur mit spitzen Fingern anfassen, war nicht nur ihre außerordentliche Qualität. Im Vergleich zu den chauvinistisch-kraftmeierischen Vergleichsgrößen des Genres, verstanden sie es, ihren Patriotismus geschickt als martialisches Auge-um-Auge zu tarnen. Zum Schluss ging es nicht mehr darum, angekratztes Kollektivselbstbewusstsein wieder herzustellen, oder zu beweisen, wer hier Weltmacht ist. Zum Schluss ging es nur um das nackte Überleben, du oder ich. Natürlich kann man das politisch analogisieren. Man kann es aber auch bleiben lassen.
„Stirb langsam 4.0“ ist ein Film für Eingeweihte geworden, die mehr Spaß haben werden als die Jüngeren. Es ist rührend zu sehen, wie ehrfürchtig Regisseur Len Wiseman sich an die narrativen Spielregeln hält und dem Publikum ein durch und durch habitualisiertes Sehvergnügen schenkt. Dabei ist John McClane immer noch Cop, der sich mit seiner pubertierenden Tochter Lucy (Mary Elizabeth Winstead) herumschlagen muss. Die überhaupt nichts von ihrem Daddy hält, der sich so lange nicht um sie gekümmert hat, aber nun blöde Vorschriften macht. (Da sieht man es: dreimal schon Held gewesen, und nicht mal der eigene Nachwuchs respektiert einen.) John erhält den natürlich harmlos klingenden Auftrag, den jungen Hacker Matt Farrell (Justin Long) zu einem FBI-Verhör in Washington D.C. zu eskortieren. Dabei dauert es keine zwanzig Minuten, und McClane gerät unter Dauerbeschuss, denn ein Profikillerkommando trachtet Matt nach dem Leben. Warum, ist eine sehr gute Frage, die er sich noch nicht beantworten kann. Und John McClane hat wieder einmal einen miesen Tag.
Die Bösewichter in „Stirb langsam 4.0“ sind ebenfalls Hacker, die sich sämtlicher Datensicherungs- und Steuerungssysteme bemächtigen und die Infrastrukturen des Landes lahm legen. Es beginnt mit einer herbeigeführten Karambolage, mitten in der Hauptstadt. Wiseman präsentiert Chaosszenarien apokalyptischen Ausmaßes. Sie zeigen ein destabilisiertes System und die hilflosen Menschen in diesem System, denen man die Steuerungsgewalt über ihr Leben entrissen hat. Dieser „Stirb langsam“ hat, es überrascht wenig, eine gehörige Portion 9/11 abbekommen. In Amerika findet der Ausnahmezustand seit sechs Jahren ja auch mehr auf der Leinwand statt als im Leben. Diese latente Hysterie, permanent „under attac“ zu sein, kulminiert nun ersatzweise im Kino.
Neokonservative Konnotationen gibt es in „Stirb langsam 4.0“ also genug. Auch der Originaltitel „Live Free or Die Hard“ klingt wie ein Schlachtruf aus einer Bush-Rede. Trotzdem redet dieser Film plumpen Ideologismen nicht das Wort, dazu geht er doch zu sparsam mit nationaler Holzhammersymbolik um.
Kenner amüsieren sich trotzdem köstlich. Bruce Willis macht das, was die Leute erwarten und sehen wollen. Schießen, Kloppen, Heimat retten. Ein Retrovergnügen. Daran ändert auch die technizistische Visualität nichts, die sich sehr auf die kalte Ästhetik des Computerzeitalters konzentriert. Das soll vermutlich signalisieren, dass „Stirb langsam“ gut im Hier und Jetzt angekommen sei. Man könnte fast meinen, nicht Willis sei der Star, sondern die Computer und Laptops, auf denen es unaufhörlich blinkt und flimmert, auf denen ständig irgend etwas gedownloaded oder upgegraded wird. Aber dieser Firlefanz ist überflüssig. Die Qualitäten sind ganz im Klassizismus verortet, dessen Motto lautet: Keine Experimente. Sie halten sogar einen eher durchschnittlichen Oberschurken aus. Timothy Olyphant kann schön irre gucken, bis ihm fast die Augen aus den Höhlen quellen. Aber gegen Rickman und Irons bleibt er eine blasse Nummer. Interessanter ist da die heiße Asiatenlady Mai (Maggie Q), die sich mit Willis politisch unkorrekte Prügelorgien liefert.
„Stirb langsam 4.0“ befriedigt all die, die Sehnsucht haben. Nach einer kleinen Dosis guter alter Zeit. Und es ist zu drollig, dass Generationenfragen selbst Teil der Erzählung geworden sind. Es scheint fast so, als hätte man Justin Long Bruce Willis nicht nur als markttechnisches Korrektiv, dass jüngeres Publikum ansprechen soll, sondern auch als Diskurspartner zur Seite gestellt. Als McClane das Autoradio anmacht, spielen sie „Fortunate Son“ von Creedence Clearwater Revival. Classic Rock! Schon mal gehört? Nein, Matt kennt diese Dinosaurierbands nicht. Er kennt Pearl Jam, die in seiner Altersklasse schon als Altmeister durchgehen. Aber die gibt es erst seit fünfzehn Jahren. Für Menschen in McClanes Altersklasse heißt das: gefühlt gestern. Aber wer braucht die Segnungen der Moderne, wenn es die alten Tugenden genauso bringen. Das ist das Prinzip. Die Verbrecher von heute mögen sich mit diesem schrecklich-neumodischem Handy-PC-Internetgedöns auskennen. John McClane schießt einen Hubschrauber mit seinem über eine Rampe gejagten Auto ab, wenn die Kugeln alle sind. So einfach ist das. John McClane hört nicht nur Classic Rock, John McClane ist Classic Rock. Der beste Stoff, nach wie vor. Und wenn John einen miesen Tag hat, fühlen sich die nicht ganz so Jungen zu Hause. „Stirb langsam 4.0“ ist Classic Rock für die Augen, auch wenn der Titel es anders verkaufen will.
Zum Schluss rettet John die Heimat und seine Tochter, die wieder Daddy zu ihm sagen wird. Wir sagen einfach: Held, wir wünschen dir alle ein paar ruhigere Tage.