Cinemascope-Quälereien, die Sechste: Wer ernsthaft geglaubt hat, die sadistischen Spielchen zum Nachweis der Wertschätzung des eigenen Lebens würden so langsam auf ihr Ende zusteuern, ist auf dem Holzweg: Immerhin hat sich Jigsaw, bevor er in “Saw 3” krepierte, einen todsicheren Masterplan zurechtgeschmiedet, den die darin involvierten Opfer vorzugsweise via Tonbandgerät mitgeteilt bekommen. Dazu hat er den FBI-Detective Mark Hoffman (Costas Mandylor) zu seinem würdigen Nachfolger anerzogen, der das blutige Handwerk des prinzipientreuen Foltermeisters in aller Grausamkeit fortsetzt. Eine Staffelholzübergabe hat derweil auch auf dem Regiestuhl stattgefunden: Nachdem Produktionsdesigner David Hackl den fünften Teil der Serie vergurkt hat, darf nun mit Cutter Kevin Greutert das nächste Stammmitglied aus der “Saw”-Innung ran. Dieser vermag dem Franchise keine eigene Duftmarke zu verpassen und bleibt ganz brav dem Trend der vorangegangenen Sequels treu, der da lautet: Je mehr Gekröse, desto weniger Grips!
“Saw 6” startet, ganz nach vertrautem Muster, mit einer wahrscheinlich tödlichen, bestenfalls extrem schmerzvollen Aufgabe, die eine clownsartige Porzellanpuppe über einen Monitor stellt. Demnach haben zwei Kredithaie, die in einem unterirdischen Kellergewölbe zu sich kommen, gerade sechzig Sekunden Zeit, um eine mit Schräubchen bestückte Apparatur von ihrem Kopf loszubekommen. Dazu müssen sie sich allerdings möglichst schwere Massen an
Fleisch aus ihrem Körper schneiden, um die vor ihnen angebrachte Waage zu ihren Gunsten zum Kippen zu bringen. Nur einer der beiden kann überleben. Aber das kennen wir ja schon - zumindest so in etwa.
Erst dann kommt die eigentliche “Handlung” in Gang: Das FBI verdächtigt auf der Suche nach dem Komplizen des Jigsaw-Killers John Kramer (Tobin Bell) noch immer den inzwischen zerquetschten Agent Strahm (Scott Patterson), während der wahre Übeltäter Lt. Hoffman von einem vermeintlich sicheren Standort aus weiter an der Umsetzung des mörderischen Puzzlespiels bastelt. Zu diesem Zweck hat er den Versicherungsmanager William (Peter Outerbridge) gekidnappt und lässt ihn auf einem verlassenen Zoogelände einen Parcours aus perversen Fallen durchlaufen, natürlich wieder im Rahmen eines festgelegten Zeitfensters, und zwar genau einer Stunde. Während William also den Torturen des perfiden Tests ausgesetzt ist, in den auch Frau und Sohn von einem seiner Krankenversicherten, der jüngst verstorben ist, verwickelt sind, kommt der Fallbeauftragte Detective Erickson (Mark Rolston) in seinen Ermittlungen dem Kollegen Hoffman gefährlich nahe, als er dessen verzerrte Stimme auf einem Diktiergerät genauer analysiert. Aber auch Jigsaws Witwe Jill Tuck (Betsy Russell), die von ihrem krebskranken Gatten vor dessen Tod sechs geheimnisvolle Briefumschläge überreicht bekommen hat, scheint irgendwie in der Sache drinzustecken…
Same procedure as every year: Jedes Jahr pünktlich zum Halloweenfest gibt es in den USA einen neuen “Saw”-Film auf den Leinwänden zu “bestaunen”. Dass die Firma Lions Gate das Folter-Franchise auf Gedeih und Verderb weitermelkt und die kontinuierlich sinkende Qualität der Filme billigend in Kauf nimmt, hat einen triftigen Grund: das liebe Geld! Schließlich haben sich die Hardcore-Thriller am amerikanischen Box Office bei sensationellen 30 Millionen Dollar pro Startwochenende eingependelt, womit “Saw” inzwischen - eine Seltenheit im Horrorgenre - ein waschechter Blockbuster ist. Dass es für Teil 6 mit vergleichsweise bescheidenen 14 Milliönchen nicht ganz so rosig aussah wie für die Vorgänger, muss damit zusammenhängen, dass den “Saw”-Spezis im Oktober der brennende Hype um Oren Pelis supergünstiges Grusel-Amatuervideo “Paranormal Activity” ins Gehege kam. Hierzulande kommt “Saw 6” nicht - wie sonst üblich - zur Monatswende Januar/Februar in die Kinos, sondern platzt geradewegs in die besinnliche und von potenziellen Megahits wie “Zweiohrküken” und “Avatar” bevölkerte Adventszeit hinein. Ob das ein so gescheiter Schachzug von den deutschen Marketingstrategen war, bleibt abzuwarten. Es scheint sich aber zumindest abzuzeichnen, dass selbst die härtesten “Saw”-Fetischisten langsam aber sicher den stillen Wunsch haben, der Fortsetzungskelch möge doch bitte an ihnen vorübergehen. Kein Wunder: Das althergebrachte Erfolgsrezept aus abstrakten Foltermethoden und grobschlächtigen Storytwists erschöpft sich immer mehr in einer billigen Karikatur seiner selbst.
Neben dem obligatorischen Folter-Einerlei kann sich nun auch “Saw 6” seine wüsten Sprünge in die Vergangenheit nicht verkneifen. Immer wieder wird die Kernhandlung um den mörderischen Contest des gefangenen William durch hektisch ineinander geschnittene Flashback-Schnipsel unterbrochen, die den Invaliden Jigsaw und seine Gehilfin, die Fixerin Amanda (Shawnee Smith), bei der Weichenstellung für den blutigen Plan zeigen. Die Integration alter Bekannter gehört eben zum guten Ton der Reihe, so störend sie auch manchmal ist. Wie es nun um die Position von Johns Ex Jill oder der sensationslüsternen Journalistin mit Gale Weathers-Attitüde, Pamela Jenkins (Samantha Lemole), in dem Treiben steht, ist leider vollkommen irrelevant und zu beliebig inszeniert, um den Zuschauer ernsthaft zu interessieren. Beim zwanghaften Bestreben, innerhalb von knapp 90 Minuten Zitate von allen fünf “Saw”-Teilen unter einen Hut zu bringen, verheddert sich die Dramaturgie des Films nicht nur einmal. Die Drehbuchautoren sind in solchen Fehlern Wiederholungstäter. Dazu ist das Ganze teils erbärmlich geschauspielert. Am besten kommt tatsächlich noch Costas Mandylor als Jigsaw-Erbe Hoffman weg, dem zum charismatischen Vollblut-Bösewicht zwar noch ein kleines Stückchen fehlt, der in Sachen diabolisch-kalte Ausstrahlung jedoch dazugelernt hat. Mit emotionslosem Blick fackelt Mandylor/Hoffman die Leichen seiner ihm auf die Schliche gekommenen Kollegen ab, bevor er die letzten Spuren vom Tatort verwischt. Als vermeintliches Zugpferd wird erneut Tobin Bell in den Plot gezwängt, was hier und da zu Lächerlichkeiten führt: In einer Szene erscheinen der Witwe Jill die Geister von John und Amanda, um ihr mitzuteilen, dass die Drogentherapie ihres verstorbenen Mannes doch etwas bewirkt habe. Übersinnlich-esoterische Rührseligkeiten im “Saw”-Franchise? Nein, danke!
Die Fallen, mit denen der Krankenkassenleiter William in dem leerstehenden Tiergarten konfrontiert wird, sind in ihrer menschenverachtenden Konzeption mal wieder höchst originell, sofern das für den Schöngeist kein Widerspruch in sich ist. Allerdings schlagen die Macher in ihrem Hang zu möglichst ausgefallenen Sado-Orgien etwas zu sehr über die Stränge, so dass einige von ihnen ins unfreiwillig Komische kippen. Stichwort Karussellszene: Sechs Mitarbeiter von William sind an im Kreis auf einer Drehscheibe festgemachte Stühle gefesselt. Nur zwei von ihnen kann William retten, wenn er einen bestimmten Knopf drückt - die anderen vier werden per Schrotflinte ins Jenseits befördert. Die Entscheidung über Leben und Tod liegt bei William. Anstatt starr vor Angst zu sein, haben die Todgeweihten nun nichts Besseres zu tun, als sich gegenseitig nach allen Regeln der Kunst zu beleidigen und die Schuld am Tod diverser Versicherter in die Schuhe zu schieben, denen die Zahlung verweigert wurde. Eine andere Szene zeigt die Anwältin der Krankenkasse, wie sie durch ein lebensgefährliches Käfigslabyrinth robbt, nur um hinterher doch das Zeitliche segnen zu dürfen. Hier kombiniert “Saw 6” die durchtrieben-verquere Gottesmoral Jigsaws
(“Cherish your life!”) mit kruder Kapitalismuskritik. Doch wurden die Bezüge zum Folterskandal Guantanamo den letzten Filmen lediglich angedichtet, sind jene Anspielungen auf skrupellose Banker und Versicherungsfirmen beabsichtigt. Das Ganze hat dabei in etwa so viel Brisanz wie die aktuellsten Shoppingfotos von Paris Hilton - nämlich überhaupt keine.
Paradoxerweise geht das Verfolgen der von Sequel zu Sequel abstruser werdenden Verschachtelungen in Jigsaws posthumem Folterplan mit einem gewissen Unterhaltungswert einher. Man darf stets auf`s Neue über die kranken Ideen der Macher staunen und rätseln, wen der Psycho denn zu seinem nächsten Erben auserkoren hat. Für die Antwort auf diese Frage müssen wir uns jedoch mindestens noch ein Jahr, nämlich bis zum Start von “Saw 7”, gedulden. Dass der erneute Nachklapp den Ruf des kultigen Originals, das sogar ärgsten Neohorror-Phobikern zusagte, eher schädigt als untermauert, ist so selbstverständlich wie die nächste Mondfinsternis: Schließlich hat beim sechsten Aufwärmen selbst die deftigste Schlachtplatte ihre Nährstoffe verloren…