von Asokan Nirmalarajah
Auf die Frage, was sie dazu bewogen habe, in
Thor (2011), der jüngsten Comic-Verfilmung aus dem Hause Marvel, mitzuwirken, gibt die mitunter Oscar-prämierte Schauspieler-Riege des Films im dazugehörigen Presseheft die Antworten, die man immer wieder zu hören bekommt. Anstatt mal dass einer der geschätzten Künstler von den höheren Gagen spricht, die sich bei solchen Projekten in der Regel aufdrängen, bekommt man zu lesen, dass sie entweder immer schon große Fans der Comic-Vorlage waren, von der Komplexität und Resonanz des Drehbuchs überrascht wurden oder der zuständige Regisseur sie mit seiner einzigartigen Vision überzeugt habe. Zumindest war die Wahl des britischen Multitalents Kenneth Branagh als Regisseur eines 3D-Fantasy-Actionspektakels nach Stan Lees gleichnamigem Superhelden-Comic über den nordischen Donnergott Thor, der sich auf der Erde als Mensch bewähren muss, so überraschend wie konsequent. Denn
Thor wirkt über weite Strecken wie die gleichermaßen bildgewaltige wie dialogaffine Blockbuster-Version eines Shakespeareschen Königsdramas auf fernem Planeten. Doch die Befürchtung, der berühmte Shakespeare-Interpret Branagh könnte es dem feinsinnigen Ang Lee (
Hulk, 2003) gleichtun und in seinen Bemühungen den mythisch angehauchten Stoff anspruchsvoller zu gestalten
allen Sinn für Spaß und Abenteuer aus der poppigen Vorlage tilgen, erweist sich als unbegründet. Branaghs
Thor ist temporeich, effektvoll und nicht ohne ein Augenzwinkern.
Die Prinzen Thor (Chris Hemsworth) und Loki (Tom Hiddleston) rivalisieren bereits seit ihrer Kindheit um die Gunst ihres übermächtigen Vaters Odin (Anthony Hopkins), dem Herrscher des Königreichs von Asgard. Als sich Thor immer leichtsinniger und arroganter gebart und den schwer erkämpften Frieden auf dem Planeten des Vaters gefährdet, wird der potentielle Nachfolger auf den Thron von Odin seiner übermenschlichen Kräfte beraubt und auf die Erde verbannt. Die Lektion in Demut, die der enttäuschte Vater seinem aufmüpfigen Sohn lehren will, erweist sich jedoch als folgenschwerer als intendiert. Denn der benachteiligte, intrigante Bruder Loki hat auf diesen Moment nur gewartet und reißt in Folge eines Schwächeanfalls seines Vaters und zur Besorgnis seiner Mutter Frigga (Rene Russo) dessen Thron an sich. Indes wird Thor von der energischen Astrophysikerin Jane Foster (Natalie Portmann) angefahren und mit ihren Kollegen Prof. Andrews (Stellan Skarsgard) und Darcy (Kat Dennings) wieder gesund gepflegt. Als Loki schließlich eine Zerstörungsmaschine auf die Erde schickt, um sich endgültig seines Bruders zu entledigen, steht der nunmehr verletzliche Thor ohne seinen Hammer auf verlorenem Posten…
Obwohl es sich bei „The Mighty Thor“, der 1962 im sogenannten „Silbernen Zeitalter des Comics“ sein Heftdebüt gab, nie um einen Superhelden von der Popularität eines Superman, Batman oder Spiderman gehandelt hat, war in Hollywood schon lange eine Realverfilmung seiner phantastischen Abenteuer in Planung. Anfang der 1990er Jahre versuchte sich etwa Sam Raimi, der später
Spider-Man (2002) kinoreif machen würde, an einer Drehbuchadaption. Doch erst in den letzten Jahren konkretisierten sich die Pläne der in jüngster Zeit kommerziell sehr erfolgreichen Marvel Studios (
Iron Man 2, 2010) mit dem Skript von Mark Protosevich, das Regisseur Matthew Vaughn (
Kick-Ass, 2010) verfilmen wollte. Nach einigen ungünstigen Terminverschiebungen nahm schließlich Kenneth Branagh unerwartet Platz im Regiestuhl. Der angesehene Film- (
Operation Walküre - Das Stauffenberg Attentat, 2008) und Fernsehmime (
Wallander, 2008––) hatte sich als Regisseur von massentauglichen Bearbeitungen klassischer Shakespeare-Stücke (
Viel Lärm um nichts, 1993) über die Jahre leicht ins sperrige Kunstkino (
1 Mord für 2, 2007) manövriert. Umso auffallender erscheint diese radikale Kurswendung ins Special-Effects-Kino der Superlative.
Thor ist sowohl verglichen mit den früheren Regiearbeiten Branaghs, als auch den jüngeren Superheldenfilmen (
The Dark Knight, 2008;
Watchmen - Die Wächter, 2009) erfrischend unprätentiös und selbstironisch. Auch wenn der Regisseur in der Geschichte eines jungen Prinzen, der sich auf fremdem Terrain zurechtfinden und sich dort sein Anrecht auf die Krone erst einmal verdienen muss, Parallelen zwischen Thor und Shakespeares „Heinrich V.“ sieht und die erfahrenen Shakespeare-Mimen Hopkins und Hiddleston wohl gerade deshalb glänzen, weil sie so spielen, als handle es sich um ein Shakespeare-Stück, ist
Thor letztlich eine gefällige origin story, die wenig falsch macht. Der Handlungsverlauf ist zwar berechenbar, aber der Film bewegt sich so unterhaltsam und humorvoll voran, dass man gerne darüber hinwegsieht, dass der Film oft wie das erste Kapitel nicht nur einer
Thor-Filmreihe wirkt, sondern auch als ein weiterer Schritt hin zum mit Spannung erwarteten
The Avengers, der 2012 mehrere Marvel-Superhelden zusammenführen soll. Als die ‚Pilotfolge’ einer Kinoserie hat
Thor aber das Problem, dass die Figuren noch unterentwickelt bleiben, wenn auch die Besetzung recht aufgeweckt spielt.
Dass es sich bei
Thor letztlich um nicht viel mehr als eine aufwendigere Version von Gary Goddards He-Man-Realverfilmung
Masters of the Universe (1987) handelt, das in seiner gehetzten Romanze zwischen dem charismatischen Hemsworth und der hübschen Portman auch Märchen-Anklänge von „Die Schöne und das Biest“ einfließen lässt, macht den Film nur charmanter. Die dramatischen Palastszenen werden zwar mit aller Ernsthaftigkeit gegeben, doch die unfreiwillige Komik der Kostüme, Frisuren und Sprechweisen von Thors Herkunftswelt wird in seiner Gastwelt auch anhand von bewährter Fish-out-of-Water-Komik ausgestellt. Wenn der mächtige Thor auf Erden öfters angefahren und anstatt zu fliegen gehen muss, dann ist das ebenso drollig wie die vom Briten Branagh eingestreuten Karikaturen amerikanischer Rednecks, die sich einen Spaß daraus machen, Thors Hammer aus dem Boden zu ziehen.