Film ist Krieg. Der logistische Alptraum, einen Spielfilm aus dem Boden zu stampfen, ist immer ein gewagtes Unterfangen, und bei all den kleineren und größeren Katastrophen, die über jede Produktion hereinbrechen und alle sorgsam geschmiedeten Pläne zunichte machen können, stellt eigentlich jeder vollendete und veröffentlichte Kinofilm ein kleines Wunder dar. Sicher, es gibt Drehs, die relativ reibungslos ablaufen – da helfen Fortuna und ein nervenstarkes Produktionsteam – und solche, die völlig aus dem Ruder laufen und von ihren Crews irgendwie trotzdem sicher in den Hafen gebracht werden müssen: Nicht bei jedem Film bricht der Irrsinn über ihre Macher herein wie bei APOCALYPSE NOW oder WATERWORLD. Dennoch hat jede noch so gemütliche oder wahnwitzige Produktionsdokumentation immer ein Happy End: Aus all der Ungewißheit und dem Chaos ist ein Film entstanden. LOST IN LA MANCHA dagegen erzählt von einem Dreh, der nie am Endpunkt angekommen ist.
Schon seit Anfang der Neunziger plante Terry Gilliam eine Verfilmung der Geschichte von Don Quixote. Weil er in Amerika dafür nicht das Budget zusammenbekam, versuchte er schließlich, das Projekt mit europäischem Geld auf die Beine zu stellen, und fand sich 2000 in Spanien wieder, wo der Film THE MAN WHO KILLED DON QUIXOTE mit umgerechnet 32 Mio. Dollar gedreht werden sollte (für europäische Verhältnis
se eine der teuersten Produktionen, für amerikanische Verhältnisse viel zu wenig). Für die Hauptrollen waren Johnny Depp, Vanessa Paradis und, als Don Quixote, Jean Rochefort vorgesehen – letzterer das Ergebnis einer langen Suche nach einem älteren Schauspieler, der der Figur ähnlich sah, reiten konnte, und den Film zu tragen vermochte. Gilliam heuerte Keith Fulton und Louis Pepe an, ein Making-of zur Produktion zu erstellen – die beiden hatten schon zu seinem Film 12 MONKEYS eine Dokumentation gedreht. Wie hätte er ahnen können, daß der Film, den die beiden erstellen, das einzige Dokument eines Desasters werden sollte, quasi das „nicht-Making-of“ seines langjähriges Wunschprojekts.
Die Ereignisse während der Vorbereitungen – die Doku beginnt 8 Wochen vor Drehstart – und zu Anfang der Produktion sind eigentlich "gewöhnliche" Probleme eines Filmdrehs: Es ist zu wenig Geld da, das reservierte Studio hat Akustikprobleme, weil es eigentlich kein richtiges Studio ist, die Darsteller sind noch an andere Projekte gebunden und stehen daher nicht für Kostümproben und Make-Up-Tests zur Verfügung. Dennoch sieht man während dieser Wochen, wie der Film nach und nach entsteht: Es werden Sets gebaut, Effekte geplant, Sequenzen skizziert, Kostüme gebastelt, Ideen diskutiert. Kurz vor Drehbeginn kommt dann Nachricht aus Paris, daß Hauptdarsteller Jean Rochefort eine Prostataentzündung hat und nur mit Verspätung kommen kann. Gilliam, der den problembehafteten Dreh seines Flops DIE ABENTEUER DES BARON MÜNCHHAUSEN noch im Hinterkopf hat, macht sich Sorgen, sieht aber trotzdem zu, daß er und seine Crew voranschreiten. "Bei MÜNCHHAUSEN hatten wir die Schauspieler, aber keine Kostüme und Sets. Jetzt haben wir Kostüme und Sets, aber keinen Schauspieler", lacht er und arbeitet weiter.
Am ersten Drehtag dann häufen sich die Probleme: Die geplante Sequenz kann nicht gedreht werden, weil der Ablauf nie mit den Statisten durchgesprochen und geprobt wurde. Gilliam weicht auf einen anderen Teil der Szene aus, aber dann beginnen Düsenjäger über dem Wüstengelände zu fliegen. Gilliam macht trotzdem weiter und hofft, den Ton nachträglich austauschen zu können. Am zweiten Tag ziehen dann nach kurzer Zeit dunkle Wolken am Himmel auf, und ein Unwetter bricht über die Crew herein. Zuerst will das Team noch das Ende des Hagelschauers abwarten und dann weiterdrehen – aber nach kurzer Zeit müssen sie zusehen, wie ihr Equipment von großen Wasserströmen davongetragen wird. Die nächsten beiden Tage ist die Crew damit beschäftigt, das entstandene Chaos wieder in den Griff zu kriegen; die Hoffnung, bald weiterdrehen zu können, wird schnell getrübt, als sich herausstellt, daß durch den Regen die Wüste nun einen anderen Farbton bekommen hat und das Bild somit nicht mehr an das bislang gedrehte Material paßt. Am fünften Drehtag wird weitergearbeitet, aber keinem entgeht der schmerzhafte Ausdruck auf dem Gesicht von Jean Rochefort, dem das Reiten sichtbar zusetzt. Nachdem er am Ende des Tage eine Stunde braucht, um vom Pferd zu kommen und ins Zelt gehen zu können, wird er in ein Flugzeug verfrachtet und nach Paris zu seinem Arzt geflogen.
Am Wochenende berät sich der Produktionsstab, wie es mit dem Film weitergehen soll und kann. Aus Paris kommt die Nachricht, daß Rochefort wegen eines Bandscheibenvorfalls für mindestens eine Woche nicht zurückkommen kann. Von Produktionsseite kommt der Vorschlag, den Regieassistenten zu feuern, weil er den Dreh schlecht organisiert habe, aber Gilliam setzt sich für seine rechte Hand ein und behält ihn an Bord. Niemand ist wirklich schuld an den Problemen. Bei den Crewleuten macht sich nach und nach Resignation breit. Ein zuständiger Bearbeiter der Versicherungsfirma kommt an, um zu prüfen, inwieweit die entstandenen Schäden finanziell abgedeckt werden können. Nach dem Wochenende inszenieren Gilliam und seine Leute einen weiteren Drehtag mit Johnny Depp für eine Reisegruppe von Investoren, die sehen wollen, wofür sie ihr Geld ausgeben. Hinter den Kulissen aber versucht der Produktionsstab, die Angelegenheit realistisch zu sehen: Selbst wenn Rochefort rechtzeitig wiederkommt – mittlerweile reden die Ärzte von weiteren 10 Tagen – wäre es völlig utopisch, ihn dann gleich wieder in den Sattel setzen zu können. "Ich ackere bei Problemen am liebsten einfach weiter", erklärt Gilliam, aber sein Regieassistent schüttelt den Kopf: "Das hier ist keine Situation, wo man weiterackern kann". Kurze Zeit darauf wird der Produktion der Stecker gezogen: Die Investoren ziehen sich zurück, der Dreh wird abgebrochen.
Es ist schmerzhaft, sich Gilliams Niederlage mitanzusehen. Während der Vorbereitung ist deutlich zu sehen, wieviel Leidenschaft er in den Film investiert: Die Geschichte von Don Quixote ist ein absolutes Herzblutprojekt für ihn. Er sprüht vor Ideen und Tatenkraft, und wenn ihm Entwürfe und Bauten präsentiert werden, freut er sich mitunter wie ein Kind über das, was da entsteht. Selbst bei allen Problemen behält er oft genug seinen Humor, aber irgendwann sickert doch die Realität ein. Als er während einer Ansprache an die Crew, die einer der Produzenten über die Situation hält, abseits in einer Ecke steht und vor sich hinbrütet, ist es schwer, seinem Gesicht abzulesen, was genau in ihm vorgeht. Wahrscheinlich sucht er selbst dann immer noch nach einer Möglichkeit, das Projekt fortführen zu können.
Es ist eine traurige Ironie, daß Gilliam ausgerechnet an der Geschichte von Don Quixote scheitert. Die Geschichte des alten Mannes, der die Phantasiewelt der Abenteuerromane in seine Wirklichkeit bringen möchte und sich daher zum tragischen Ritter wandelt, der im Kampf gegen die Windmühlen (die er für bedrohliche Riesen hält) schließlich an der Realität scheitert, scheint letzten Endes Gilliams eigene Geschichte zu werden. Schon Orson Welles führte lange einen aussichtslosen Kampf, die Geschichte auf die Leinwand zu bringen: 1957 begann er die Dreharbeiten zu einer Verfilmung, die er immer wieder aus Geldnot unterbrechen mußte und die er die nächsten zwei Jahrzehnte immer wieder fortzuführen versuchte – selbst als sein Hauptdarsteller schon verstorben war. Im Kontext von Gilliams anderen Filmen wird auch schnell klar, warum Don Quixote für ihn so wichtig ist: Die Geschichte vom verrückten Träumer, der gegen die nüchterne Wirklichkeit ankämpft, und die Reibung zwischen Wahnsinn und Vernunft bzw. Realität und Phantasie treibt letzten Endes alle seine Filme an.
Momentan sitzt Gilliam übrigens wieder in Madrid und unternimmt einen weiteren Anlauf, seinen Film umzusetzen – offenbar ohne Depp und ohne Rochefort. Es bleibt ihm zu wünschen, daß er diesmal Erfolg hat und der ernüchternde Schluß von LOST IN LA MANCHA seine Gültigkeit verliert. "Ich mag es nicht, nichts zu drehen", erklärt Gilliam in einer Sequenz des Films, als die Düsenjäger den Dreh verzögern. "Lieber drehe ich irgendwas, selbst, wenn es schlecht ist, um die ganze aufgewendete Zeit zu rechtfertigen." Vielleicht kann er diesmal einen eigenen Film vorzeigen. Allein sein neuerlicher Versuch läßt uns wieder hoffen, daß der alte Träumer Don Quixote doch noch die Wirklichkeit in die Knie zwingen kann.