Zwar machen die untoten Blutsauger auch heuer noch in gesunden Zyklen die Leinwände unsicher, doch wirklich nennenswert Neues gab es in den letzten Jahren - den schwedischen Rohdiamant
Let the right one in - So finster die Nacht mal ausgeklammert - nicht von der transsylvanischen Front zu vermelden. Das war im Jahr 1987 noch anders, in dem gleich zwei moderne Vampirklassiker das Licht der Filmwelt erblickten: Während Joel Schumacher`s adoleszente “Lost Boys” mit großem kommerziellem Erfolg nach dem roten Lebenselixier der Sterblichen trachteten, mussten sich die nomadenhaft in einem abgedunkelten Van umherziehenden Fledermauswesen aus Kathryn Bigelow`s “Near Dark” mit einem stillen Nischendasein zufrieden geben. Ein Jammer, denn die zum Verlieben melancholische Melange aus Vampir-Romanze, Western und Road-Movie ist alles andere als schnöde Durchschnittskost.
Es scheint Liebe auf den ersten Blick zu sein, als der junge Cowboy Caleb (Adrian Pasdar) und die hübsche Mae (Jenny Wright) sich zu vorgerückter Stunde am Wegesrand unweit einer abseits vom Schlag gelegenen Bar begegnen. Gemeinsam durchstreifen die beiden Turteltäubchen in Caleb`s Wagen die staubigen Straßen des nächtlichen Oklahoma und genießen die Freiheit. Doch dann, als die Morgendämmerung über den kargen Landstrich hereinzieht, ist Mae von jetzt auf gleich wie vom Erdboden verschluckt. Cale
b ist entsetzt und macht sich, da sein Auto partout nicht anspringen will, per pedes auf die Suche nach seiner Freundin. Unterwegs wird es ihm jedoch plötzlich schwindelig und sein Körper beginnt in der Sonne zu qualmen. Mit einem Mal beschleicht Caleb das dumme Gefühl, dass Mae eine Vampirin gewesen sein und ihn ausgesaugt haben muss. Doch viel Zeit für weitere Überlegungen bleibt ihm nicht: Kurz bevor er die heimatliche Farm seines Vaters erreicht hat, braust ein finsteres Wohnmobil an ihm vorbei und einer der Insassen zerrt ihn dort hinein, woraufhin er ohnmächtig wird. Als er wieder zu sich kommt, sitzt er inmitten einer Bande dubioser Gestalten, die kurz darauf ihr Geheimnis preisgeben: Severen (Bill Paxton), Jesse (Lance Henriksen) und der kleinwüchsige Homer (Joshua John Miller) sind Vampire, die quer durch den Staat ziehen und nach menschlichen Opfern Ausschau halten, nach deren Blut sie gieren. Und dann sieht Caleb auch seine Mae wieder, die ihm versucht klar zu machen, dass er nun einer von ihnen ist…
Dass Regisseurin und Drebuchautorin Kathryn Bigelow, die in ihrer Vita mit der Zukunftsvision “Strange Days” und dem toughen Cop-Thriller “Blue Steel” mindestens zwei Arbeiten stehen hat, die nicht nur für den reinrassigen Cineasten interessant sind, eine Meisterin ihres Fachs ist, wird wohl kaum jemand leugnen können. Daher ist es ein Rätsel, wieso ihre herzergreifende Geschichte über eine Horde blutdurstiger Vampire auf Streife durch die amerikanische Prärie an den Kinokassen zum finanziellen Desaster wurde. Mit fünf Millionen US-Dollar spottbillig produziert, spielte der Film nur circa drei Millionen wieder ein. Die DVD - und Videoauswertung verlief zwar wesentlich einträglicher, dennoch kam das B-Movie niemals über einen Status als Insidertipp hinaus.
Dabei gelingt es Bigelow mit “Near Dark” vor allem exzellent, dem Vampirfilm ihren eigenen Stempel aufzudrücken. Gekonnt balanciert sie zwischen diversen Genres hin und her, verschmilzt Elemente des Roadmovies und des Western mit dem uralten Mythos vom zum ewigen Erddasein verdammten Überwesen und hüllt das Ganze in die unverkennbaren Atmosphäre der 80er Jahre, von der schon “The Lost Boys” zehrte. Die heillose Liebesgeschichte zwischen Caleb und Mae wird glaubhaft transportiert und erhält ihre tragische Dimension durch den Gewissenskonflikt des jungen Farmersohns, der eigentlich doch zu seiner Familie zurückkehren möchte, sich von der bunt zusammengewürfelten Blutsauger-Clique aber nicht lösen kann und obendrein von der aufreizenden Vampirin, in die er sich verliebt hat, bereits zu abhängig ist, um sein Leben als Unsterblicher aufgeben zu können und zu wollen. Er ist nun einer von ihnen - und das soll er tatkräftig unter Beweis stellen. Einer der Vampire provoziert eine Keilerei mit den Platzhirschen einer verkommenen Spelunke, die in ein Massaker ausartet. Caleb bekommt vorgeführt, wie man tötet, und wird dazu angehalten, das Gleiche zu tun. Töten bedeutet Leben, so lehren es ihn die Vampire. Aber er weigert sich.
SPOILER: Caleb, der erkennt, dass er nicht imstande ist, unschuldige Lebewesen umzubringen, wendet sich letztlich gegen seine Artgenossen und entscheidet sich für eine Bluttransfusion, mit deren Hilfe er nicht nur sich selbst, sondern auch Mae in die Welt der Sterblichen zurückholen kann. Oft schon wurde dieser Schlusspointe Unglaubwürdigkeit vorgehalten, in der Gesamtschau des Films ist sie jedoch maßlos schön.
SPOILER ENDE!
Den beiden perfekt aufeinander abgestimmten Hauptdarstellern Adrian Pasdar und Jenny Wright und den vorbildlich agierenden Nebendarstellern (u.a. Bill Paxton, Lance Henriksen,…) sowie der filigranen Regie von Bigelow ist es zu verdanken, dass “Near Dark” bis zum Ende an den Sitz fesselt. Kameramann Adam Greenberg gibt ebenfalls sein Bestes und schafft Bilder von rauer Schönheit, wie kleine Kunstwerke, die sich dem Zuschauer in`s Gedächtnis brennen. Begrüßenswert ist auch, dass herkömmliche Vampirklischees konsequent umschifft werden. Bewährte “Waffen” wie Kreuze oder Knoblauch finden hier erst gar keine Erwähnung, außerdem sind die Vampire zur Abwechslung mal nicht in spukigen Gemäuern zu Haus, sondern auf den unendlichen Highways von Amerika. Den plakativen Einsatz von äußeren Erkennungsmerkmalen wie unnatürlich lange Zähne oder bleiche Gesichter spart sich Bigelow Gott sei Dank auch - die Vampire sollten wie echte Menschen aussehen, nicht als kämen sie just vom Kinderfasching. Am unkonventionellsten: Das Wort “Vampir” fällt im Film tatsächlich kein einziges Mal - unglaublich, aber wahr!
Das alles macht “Near Dark” nicht nur zu einem der außergewöhnlichsten, sondern auch zu einem der besten Filme rund um die Abkömmlinge des berühmt-berüchtigten Grafen Dracula. Und wer je daran gezweifelt hat, dass auch das weibliche Geschlecht ab und an Filme der etwas härteren Gangart auf die Beine stellen kann, wird nach diesem Streifen automatisch umdenken müssen.
Chill-Skills:
Gänsehautgarantie: 8 (Die düsteren Bilder und die latent anklingende Vampirsymbolik [z. B. Pferde, die in Maes Gegenwart zu aufgescheuchten Hühnern mutieren] sorgen bei jedem Genrefan, dessen Ansprüche ein klein wenig über die handelsüblichen Splatterarien hinausgehen, für aufstehende Nackenhärchen!)
Make-up-Check: 5 (Weniger ist manchmal mehr: Ausgefallene Halloween-Maskeraden sollte man hier nicht erwarten...)
Blutsauger-Bonus: 9 (Caleb, Mae & Co. passen zwar nicht ins typische Vampirschema, gehören aber trotzdem zu den charismatischsten Wesen der Nacht, die sich jemals auf der Leinwand austoben durften!)
Guts`n`Gore-Anteil: 6 (Ok, hier und da wird schon etwas rumgekleckert, der Blutzoll bleibt aber im überschaubaren Rahmen und lässt der Geschichte den Vortritt!)