Filme abseits des Mainstreams haben mitunter keinen leichten Stand, sträuben sie sich doch vehement, in altbekannte Schubladen gesteckt zu werden.
Was der Mensch nicht kennt, isst er nicht: So könnte man die Krux, die damit einhergeht, grob zusammenfassen. Eine gleichsam wahre wie ungerechte Sichtweise, da
neu niemals zwangsläufig
unkonsumierbar bedeutet, wie einem jeder aufgeschlossene Freund bewegter Bilder ohne Umschweife bezeugen wird. Genaugenommen dürfte
„SLEEPING BEAUTY“, der vermutete Abgesang auf klassische Sehgewohnheiten, somit eigentlich keine Probleme bekommen, denn immerhin verweist er trotz äußerst sperrig anmutender Ausgangslage mit seinem Filmtitel auf ein klassisches Märchen. Und Märchen kennt wahrlich jeder. Doch manchmal sollte man es den Zweifeln einfach erlauben, die Überhand zu gewinnen, vor allem dann, wenn sie sich wie im vorliegenden Fall gegen Ende als berechtigt herausstellen.
Die von ihrem bisherigen Leben bereits mächtig angeödete Studentin Lucy (Emily Browning) ist bereit, zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts so gut wie alles zu tun. Neben der Teilnahme an Laborversuchen kann sie bereits auf diverse Nebenjobtätigkeiten als Kellnerin, Bürogehilfin und Prostituierte (!) zurückblicken. Und die junge Frau wird nicht müde, nach weiteren Verdienstmöglichkeiten egal welcher Art Ausschau zu halten. Über eine Zeitungsanzeige kommt sie so mit einem ominösen Exklusiv-Club in Kontakt
, in dem sie – nur in Dessous bekleidet – dekadente Altherren auf deren Dinnerpartys bedient. Doch wie sich schon bald zeigt, ist dieses Unterfangen noch vergleichsweise harmlos, betrachtet man das Angebot, das Lucy von der Chefin des Clubs unterbreitet wird: Sie soll als schlafende Schönheit, betäubt von einer Droge, ihren makellosen Körper in den Dienst einzelner Clubmitglieder stellen, damit diese – immerhin diskret und unter der Auflage, auf jegliche Penetration zu verzichten – ihre jeweiligen Sexphantasien an ihr ausleben können.
„SLEEPING BEAUTY“ ist ein Alptraum von einem Märchen, aus dem es einfach kein gutes Erwachen geben kann. Weder für die Protagonisten noch für diejenigen Zuschauer unter uns, die mit wenig bekömmlicher Kost etwas anzufangen wissen. Die Geschichte einer jungen Frau, die ihr Leben mehr als Qual denn als Geschenk betrachtet, erzählt auf schwer zugängliche Weise von Perspektivlosigkeit und dem verzweifelten Versuch, diesen Zustand umzukehren, egal zu welchem Preis. Konsequent nüchtern-distanziert und gleichzeitig mit unverhohlener Deutlichkeit führt die australische Regisseurin, Schriftstellerin und Drehbuchautorin
Julia Leigh in ihrem provokanten Spielfilmdebüt alle Beteiligten an den Rand des körperlich wie seelisch Verkraftbaren, was vor allem von der aufstrebenden Jungschauspielerin
Emily Browning („
Sucker Punch“ [2011]) viel Körpereinsatz verlangt. Überraschend hemmungslos, als wenn es das normalste auf der Welt wäre, lässt Browning immer wieder die Hüllen fallen, was jedoch trotz anrüchiger Grundthematik des Films stets im Rahmen bleibt. Fast wichtiger als dieser Umstand ist jedoch die Tatsache, dass es der jungen Frau eindrucksvoll gelingt, mittels nuancenreichen Spiels die zunächst eindimensionale Figur der Lucy, die mit ihrem Leben nicht allzu viel anzufangen weiß, um etliche Facetten zu erweitern. All ihre Probleme werden plötzlich in ihren Gesten spürbar, was keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass Browning mit das Beste ist, was der Film aufbieten kann. Leider, muss man hinzufügen. Denn daneben sieht es recht düster aus.
Das ist einem einfachen Grund geschuldet: Anstatt provokant zu sein, verzettelt sich
„SLEEPING BEAUTY“ zusehends in seinem eigenen Gesamtgeflecht, das niemals so recht weiß, in welche Richtung es sich nun gerne entwickeln will. Die seltsame Mischung aus aneinandergereihten Alltagssituationen und den späteren Sexphantasien ergibt zu keinem Zeitpunkt ein kohärentes Ganzes, sondern bleibt traurigerweise in ihren unzähligen Einzelteilen verhaftet, was den Film ungewollt episodenhaft erscheinen lässt. Auch wenn die durchaus originelle Grundintention stets über allem schwebt, hilft dies nicht, die leblosen Einzelhüllen mit derart viel Substanz zu füllen, dass sie eine längerfristige Daseinsberechtigung bekämen. So verpufft auch noch der kleinste Funke Provokation wirkungslos und lässt den Zuschauer am Ende ratlos zurück. Sicherlich kann man, wenn man will, alles in den versiert inszenierten, aber überraschend seelenlosen Film hineininterpretieren, und sicherlich verlangt niemand von einem Film, dass er sich im Grunde selbst erklärt – ganz im Gegenteil. Doch so leicht wie Leighs märchenhafter Alptraum, der sich voll und ganz darauf beschränkt, einfach nicht zusammenpassen zu wollen, sollte man es sich dann doch nicht machen. Macht das
„SLEEPING BEAUTY“ nun zu einem schlechten Film im herkömmlichen Sinne? Nicht direkt. Vielmehr verkommt er zu einem Paradebeispiel an verschenkten Möglichkeiten, woran auch eine wirklich, wirklich gute Emily Browning nichts zu ändern vermag. Und so bleibt eine gute Idee manchmal eben doch nur eine flüchtige Illusion, die einem Traum gleich vergessen ist, sobald man die Augen öffnet.
Fazit: Emily Browning spielt mit vollem Körpereinsatz, kann das wackelige Filmkonstrukt, das mehr zu sein vorgibt, als es dann letztlich sein kann, aber nicht allein schultern. Irgendwo zwischen Kunst und Provokation angesiedelt, ist
„SLEEPING BEAUTY“ zwar bis zu einem gewissen Grad recht interessant gestaltet, am Ende des Tages jedoch nicht einmal die Summe seiner einzelnen Teile, da selbige schlichtweg zu zusammenhanglos präsentiert werden. Was übrigbleibt, ist einmal mehr der gescheiterte Versuch, Aufsehen zu erregen. Trotz ansprechender Schauspielleistung. Trotz vorhandenen Potenzials. Oder anders ausgedrückt:
„SLEEPING BEAUTY“ wird leider zum Opfer seiner eigenen Zielsetzung, da er niemals so richtig aus seinem Dornröschenschlaf erwachen will. Irgendwie passend, aber auch irgendwie schade.