Das letzte Einhorn (Mia Farrow/Traudel Haas) lebt in einem Zauberwald und hütet dort Natur und Tiere. Nachdem es erfahren musste, dass alle anderen Einhörner vom Roten Stier ins Meer getrieben wurden und nun vom habgierigen König Haggard (Christopher Lee) gefangen gehalten werden, macht es sich auf den Weg, um seine Gefährten zu befreien. Es wird jedoch eine mühsame Reise, denn es lernt nicht nur freundlich gesinnte Weggefährten kennen, sondern muss auch große Prüfungen bestehen. Schließlich wird das Einhorn sogar Mensch. Da es sich al hübsche junge Frau Amalthea in Prinz Lir (Jeff Bridges/Joachim Tennstedt) verliebt und Mitgefühl, Kummer und Liebe kennen lernt, droht es seine Herkunft zunehmend zu vergessen.
„Das letzte Einhorn“ beruht auf der gleichnamigen Romanvorlage von Peter S. Beagle, der auch für den Animationsfilm das Drehbuch schrieb. Der Film gestaltet sich dabei anspruchsvoller und auch für Erwachsene interessanter als viele andere Märchen- und Fantasyzeichentrickfilme.
Das zeigt sich bereits bei den Charakteren, die weniger den Stereotypen des Zeichentrickfilms entsprechen und alle ihre guten Seiten, aber auch ihre Fehler und Macken haben. Das Einhorn ist manchmal ziemlich egoistisch, versinkt in Menschengestalt immer wieder in Selbstmitleid und gibt sich immer mehr auf. Prinz Lir versucht zunächst den heldenhaften Macho hervorzukehren, erkennt jedoch, dass er, um die Gunst seiner Angebeteten zu erlangen, sich etwas
anderes einfallen lassen muss. Somit entwickelt er sich weiter und beginnt Gedichte zu schreiben und Lieder vorzutragen. Auch Haggard ist nicht vollkommen böse, sonst könnte er sich ja nicht an den Einhörnern erfreuen und ihre Schönheit erkennen. Er ist lediglich ein deprimierter und unzufriedener alter Mann, der alles besitzen und beherrschen möchte, ein Materialist sozusagen, der immer mehr konsumieren muss und damit hofft Zufriedenheit zu erlangen. Die verhärmte Molly Grue (Tammy Grimes/Barbara Ratthey) hingegen erweist sich als die wahre Heldin der Geschichte, da sie nie die Hoffnung aufgibt und immer wieder das Einhorn antreibt und ihm Stärke gibt. Am meisten passt noch der tollpatschige Zauberer Schmendrick (Alan Arkin/Torsten Sense) ins Animationsfilmklischee, da er etwas zu eindimensional gezeichnet ist.
Einzigartig in diesem Genre sind die nachdenklichen und mehrdeutigen Dialoge, die über die Phantasie, die Wahrnehmung der Wirklichkeit, die oberflächliche Betrachtung der Welt, Glaube und Leben philosophieren. Dabei gibt es einige traurige und rührende Szenen, wie jene, in der Molly als gebrochene alte Frau zum ersten Mal dem Einhorn begegnet, das sie schon ihr ganzes Leben lang sucht, es zuerst ausschielt (Zitat: „Wo bist du gewesen?“) und ihm dann verzeiht. Aber auch die Gespräche zwischen Haggard und Lady Amalthea haben es in sich.
Außerdem gibt es viele Anspielungen und übernommene Elemente aus Märchen, Sagen, Legenden und Folklore (das Motiv von Prinz und Prinzessin, Midgardschlange, Satyr, Harpyie, Nymphe, Drache, …) und Anachronismen (der Schmetterling [Robert Klein], der „See You Later Alligator“ singt, Robbin Hood und Maid Marianne), die aber zur Gattung des Märchens gehören wie das A und O und von Beagle auch bewusst und reflektiert eingesetzt werden.
Der Film hat einiges an Gewalt und Gruselelementen zu bieten und ist deswegen nicht für Kinder unter sechs Jahren freigegeben. Der Rückblick auf den roten Stier, der den Einhörner hinterher jagt, die Monstershow Mommy Fortunas (Angela Lansbury/Tilly Lauenstein), die Harpie, welche Fortuna zerhackt, nicht zu vergessen das Schloss Haggards und seine unheimlich makabere Architektur und das sprechende Skelett werden auch so manchem Erwachsenen eine Gänsehaut über den Rücken jagen.
Das Ende ist schön, bittersüß und ganz anders als erwartet. Denn Prinz Lir kann seine Lady Amalthea, die die Menschenhaut abstreift und wieder zum Einhorn wird, nicht für sich gewinnen. Beide haben jedoch zum Schluss gewonnen und sind gereift, geht doch auch das Fabelwesen ganz verändert und mit menschlichen Zügen behaftet aus seinem Abenteuer hervor.
Obwohl häufig kritisiert, hebt sich der Zeichentrickstil positiv von der amerikanischen Massenware ab. Die japanischen Einflüsse auf die Animationen verleihen dem Film einen einzigartigen Look, der im Vergleich zu anderen Trickfilmen dieser Zeit ganz anders ist. Sehr überzeugend sind auch die spitzen Formen, die vielen Schattierungen und sehr dreidimensionalen Bilder und Landschaftszeichnungen. Lediglich die Backgrounds sind manches Mal etwas zu bunt und strahlend.
Für ein anspruchsvolles Märchen wie „Das letzte Einhorn“ ist Zeichentrick gewiss die klügste Form und die beste Möglichkeit der Umsetzung, sähe eine Realverfilmung mit einem sprechendem Einhorn als Computeranimation (was damals ja ohnedies noch nicht möglich war) lächerlich aus.
Die Filmmusik ist im Großen und Ganzen recht zufrieden stellend . Vor allem die melancholischen Songs von Amerika mit ihren anspruchsvollen Texten werden gut ins Geschehen integriert, denn im Gegensatz zu anderen Zeichentrickfilmen kommen hier die Lieder fast immer aus dem Off, was der Geschichte keinen Musical Charakter verleiht, wie das in den meisten Disney Produktionen der Fall ist.
Ein Schwachpunkt ist allerdings der Score von Jimmy Webb. Zwar wissen seine mittelalterlichen Melodien und Kläne, die gut zur Märchenwelt von „Das letzte Einhorn“ passen, durchaus zu überzeugen, doch setzt er das Piano ein paar Mal zu oft ein, was die Musik dann und wann viel zu schön und lieblich werden lässt. Etwas düstere Themen mit einer anderen Instrumentalisierung hätten hier nicht geschadet.
FAZIT: Mit „Das letzte Einhorn“ liegt ein geradezu phantastischer und ausgereifter Zeichentrickfilm vor, der sowohl märchenbegeisterte Kinder als auch Erwachsene, die den Film ganz anders erleben werden, mitreißen wird, ist er doch einer der besten und anspruchvollsten Zeichentrickfilme der Fantasywelle der 8oer Jahre (wenn nicht überhaupt!), der sämtliche glatte, politisch korrekte und klischeehafte Disneyfilme – ich denke hier vor allem an „Arielle die Meerjungrau“, „Die Schöne und das Biest“, „Aladdin“ sowie den etwas gelungeneren „Taran und der Zauberkessel“ – in den Schatten stellt. Die Romanverfilmung versucht dabei nicht süß und niedlich zu sein, sondern hat den Mut auch ein älteres Publikum anzusprechen.