Viel wurde in den letzten Wochen über „Fantastic Four“ geschrieben: Regisseur Josh Trank („
Chronicle - Wozu bist Du fähig?“) bezog öffentlich Stellung und rechtfertigte sich auf Twitter über die Qualität „seines“ Filmes, über die dann auch in so ziemlich jede Filmkritik im World Wide Web ausgelassen räsoniert wurde: Ein Debakel! Eine Katastrophe! Eine Beleidigung! Ein neuer Beweis dafür, warum wir dem kontemporären Superheldenhype so überdrüssig begegnen! Fakt ist, dass hinter den Kulissen der Dreharbeiten zu „Fantastic Four“ einiges gewaltig schiefgelaufen ist, wieso sich die Fronten zwischen Josh Trank und dem Komitee des Studio Fox allerdings so dermaßen verhärten konnten; wie viel Wahrheitsgehalt in den jeweiligen Stellungnahmen wirklich steckt, werden wir als Außenstehende nie ganz konkret in Erfahrung bringen können. Sieht man sich nun die finale, für kinotauglich erachtete Fassung von „Fantastic Four“ an, wird man schnell feststellen, dass hier eine sehr interessante künstlerische Vision von den Vorstellungen des Produktionsstudios (mehr oder weniger) plattgewalzt wurden.
Natürlich halten sich auch die Gerüchte standhaft, dass Josh Trank nicht unbedingt der liebenswerte Onkel aus dem Independent-Film-Jargon ist, den man gerne in ihm gesehen hätte. Man möchte sich aber auf die Seite des Filmemachers schlagen, dessen Ur-Drehbuch zu „Fant
astic Four“ unzählige Male überarbeitet wurde, was die künstlerischen Differenzen so richtig harsch ins Rollen gebracht hat. Man bemerkt es schon: Wenn man sich „Fantastic Four“ zu Gemüte führt, sieht man inzwischen beinahe schon nichts mehr von dem eigentlichen Film, sondern nur noch das unverhältnismäßige Tauziehen zwischen Trank und Fox, welches durch die täglich expandierenden Negativschlagzeilen medial natürlich süffisant aufgebauscht wird. Trotzdem: Wenn man es mit viel Willenskraft vollbringt, ein Stück weit die Diskrepanzen der Produktionsgeschichte hinter sich zu lassen (was schlichtweg unmöglich ist, weil sie in so gut wie jedem Frame präsent erscheinen), wird man in „Fantastic Four“ Ansätze erkennen, in denen sich der Geist Josh Tranks bemerkbar macht und einen Fingerzeig dahin gibt, was auf „Fantastic Four“ hätte werden können.
Worum es in „Fantastic Four“ geht, sollte inzwischen allseits bekannt sein, bekommt man es hier doch schließlich nunmehr mit der bereits dritten Origin Story des omnipotenten Quartetts zu tun, nachdem sich Bernd Eichinger bereits 1992 und 2005 dafür verantwortlich zeigte, die ersten beiden Adaptionen zu produzieren. Was in diesem Fall aber positiv auffällt, ist die Besetzung (um die sich natürlich auch spekulative Debatten ranken), die Josh Trank zur Verfügung gestellt wurde: Miles Teller („Whiplash“) fungiert als Hauptakteur Reed Richards, der später noch zum elastischen Mr. Fantastic werden darf, während sein bester Freund Ben Grimm aka The Thing von Jamie Bell („Nymphomaniac – Vol.2“) verkörpert wird. Schon hier bemerkt man, dass zwar durchaus bekannte Darsteller ins Boot geholt wurden, aber keine kommerziellen Zugpferde, deren Namen auf dem Poster allein schon den Box-Office-Hit garantiert. Mit Kate Mara („House of Cards“) als Sue Storm beziehungsweise Invisible Woman und Michael B. Jordan („Nächster Halt Fruitvale Station“) als Johnny Storm, der später als Human Torch in Flammen aufgehen darf, bestätigt sich dieser Eindruck.
Und das ist durchaus erfrischend, nicht nur unverbrauchte Gesichter in den ikonischen Figuren zu Gesicht zu bekommen, sondern auch Schauspieler, die in der Lage dazu sind, die tragischen Dimensionen dieser gekonnt nachzuempfinden – Das betrifft auch Toby Kebbell („
RocknRolla“), der hier den Antagonisten Doctor Doom gibt. Dass (und warum) „Fantastic Four“ aber niemals in die Tiefe dringt, seinen Charakteren niemals auf den innerlich zerrütteten Zahn fühlt, benötigt keiner weiteren Erklärung. Jedoch schimmert die Grundidee Tranks mal mehr, mal weniger ergiebig auf, der die Fantastischen Vier nicht zum selbstgefälligen Superheldenkommando stilisieren wollte, sondern sie als ängstliche Jugendliche definierte, die durch ihre Verwandlung einer gesellschaftlichen Unausweichlichkeit in die Arme gelaufen sind: Nämlich dem Umstand, dass jeder von uns irgendwann in eine Rolle gedrängt wird und wir uns schlagartig damit auseinandersetzen müssen, wie viel Verantwortung wir imstande sind zu stemmen. Das Superheldendasein ist in „Fantastic Four“ weniger als Segen vorgesehen worden, sondern als Fluch, als Bürde, als Krankheit, von der man unbedingt erlöst werden möchte.
Auch die gar düstere Transformation auf molekularer Ebene, bedingt durch die kosmische Strahlung, die auf das Heldenquartett einwirkt, versteht „Fantastic Four“ angenehmerweise nicht als beflügelnde Kraftinjektion. Womöglich hätte Josh Trank diesen Aspekt tatsächlich in Richtung Body-Horror gedrängt, wenn die Figuren ihre neuen Fähigkeiten entdecken und dadurch gnadenlos in eine Art gepeinigter Selbstentfremdung abrutschen. Der anfänglich geplante Charakter-Fokus und die überzeitliche Gültigkeit seiner kritischen Codierung jedenfalls hätte „Fantastic Four“ zu einem besonderen Film gemacht und mit Sicherheit ganz eindeutig von den inzwischen im Halbjahresturnus das Kinoprogramm flächendeckend verstopfenden Marvel-Serienproduktionen abgehoben. So aber bleibt die Enttäuschung auf der Seite des Publikums, die Scham auf der Seite Tranks, die Dementis auf der Seite des Studios und die schiere künstlerische Verwüstung in der Ganzheit: „Fantastic Four“ ist ein inkohärenter, unterentwickelter, nur schwer zu goutierender Film geworden. Tränen, die wissen, was hier möglich gewesen wäre, besiegeln das vernichtende Urteil und den zerbrochenen Traum.
Cover & Szenenbilder: © 2015 20th Century Fox.