„There are worse things than forgetting.”
Telly Parreta (Julianne Moore, „
Evolution”, „
Hannibal” [2001]) glaubt, allmählich den Verstand zu verlieren. In der festen Überzeugung, ihren neunjährigen Sohn Sam vor 14 Monaten bei einem Flugzeugabsturz verloren zu haben, suchen sie tagtäglich Erinnerungen an ihr scheinbar totes Kind – dessen Leiche nie gefunden wurde – heim. Die Lage verschlimmert sich bedrohlich, als plötzlich alle Erinnerungsstücke an Sam im Haus auf unerklärliche Weise verschwinden und ihr Mann (Anthony Edwards) sogar behauptet, sie beide hätten nie ein Kind gehabt.
In ihrer Not wendet sie sich an den Psychiater Dr. Munce („CSI”-Star Gary Sinise), doch auch dieser versucht ihr weiszumachen, dass Sam lediglich einer Wahnvorstellung, sprich: der Phantasie Tellys entsprungen ist. Völlig perplex und verstört, da scheinbar nur Telly selbst sich an Sam erinnern kann, droht die junge Frau allmählich wirklich dem Wahnsinn zu verfallen, wenn nicht die zufällige Begegnung mit Ash Correll (Dominic West, „
300” [2006], „
Hannibal Rising” [2007]) ein völlig neues Licht auf Tellys scheinbare Irrvorstellung wirft. Der junge, alkoholabhängige Mann ist – sofern man Tellys Er
innerung Glauben schenken kann – der Vater von Sams Freundin Lauren. Dumm nur, dass Ash bestreitet, jemals eine Tochter gehabt zu haben. Nachdem Telly aber durch puren Zufall hinter der Tapete in Ashs Arbeitszimmer Wandzeichnungen findet, die unzweifelhaft die eines Kindes sind, kehrt allmählich die Erinnerung zurück. Die beiden wissen nun, dass irgendwer ein perfides Spiel mit ihnen treibt, und begeben sich daher gemeinsam auf die abenteuerliche Suche nach Antworten. Die NSA, die unter allen Umständen zu verhindern versucht, dass Ash und Telly bei ihrer Suche Erfolg haben, ist dabei noch mit das kleinste Übel, dem sich die jungen Eltern ausgesetzt sehen. Wer hat ihnen ihre Kinder genommen und aus welchem Grund? Was soll verborgen werden?
Joseph Ruben stellt schon gleich zu Beginn seines Psycho-Thrillers die Tempo-Schraube bis zum Anschlag und lässt dem Zuschauer kaum Zeit zum Luftholen. Eine heile Welt existiert gar nicht erst in
„DIE VERGESSENEN”, die Story von Drehbuchautor
Gerald Di Pego hat bereits nach nicht einmal fünfzehn Minuten
Julianne Moores Charakter der Telly an den Rande des Wahnsinns gebracht. Scherbenhaufen. Alles Glückliche, Familiäre wird zum Hirngespinst einer jungen Frau degradiert, die von heute auf morgen den Alptraum ihres Lebens durchmacht. Und der Zuschauer kann nicht anders, als dieser Tour de Force mit gespannter Miene beizuwohnen. Der Film bemüht sich auch erst gar nicht, schnellstmöglich Antworten zu liefern, sondern bietet beinahe im Sekundentakt immer neue, immer mysteriösere Vorkommnisse, was serienerprobten Mystery-Fans spätestens seit der Kultserie „
Akte X” als geläufiges Stilmittel bekannt sein dürfte. So erweist sich die erste Hälfte des Films als spannungsgeladenes Psycho-Drama, in dem die Protagonisten mehr als nur einmal über ihr Leben und den Grund des Verschwindens ihrer Kinder philosophieren.
Auflösungstechnisch dreht sich die Geschichte hier aber zeitweise im Kreis, was der so temporeich begonnenen Odyssee leider zeitweise einigen Wind aus den Segeln nimmt und bestimmt den Einen oder Anderen zu der Fehleinschätzung verleitet, die Macher wollten die Story unnötig auf 90 Minuten aufblähen. Dass dem im Endeffekt nicht so ist, war den Mystery-Fans natürlich schon von Anfang an klar, alle anderen Filmbetrachter wird spätestens die letzte Hälfte hiervon überzeugen. Das anfängliche Psychodrama gewinnt hier nämlich mehr und mehr an Fahrt und steuert unaufhörlich auf den Höhepunkt zu, der – „Akte X” lässt grüßen – zumindest nicht an Einfallslosigkeit krankt, sondern mit einer gehörigen Portion übernatürlicher Sperenzchen aufwartet. Spätestens hier mutiert der Film vom Psycho-Thriller vollends zum leicht konstruiert wirkenden Mystery-Spektakel und präsentiert eine Antwort auf einige der zuvor so sorgfältig aufgeworfenen Fragen, ohne jedoch zur Gänze aufzulösen, was das Vorherige nun alles sollte. Mulder und Scully hätten ihre Freude daran, denn auch bei den unheimlichen Fällen des FBI waberte am Ende immer noch ein nebulöser Schleier mit Fragen über den Bildschirm. Die Wahrheit, die irgendwo da draußen ist...
Wie so häufig kommt es auch hier schlicht und ergreifend darauf an, was man vom Film erwartet. Wer einen ausnahmslos psychologisch angehauchten Thriller erwartet, sollte das Sehen nach ungefähr der Hälfte besser einstellen. Es sei denn, der Zuschauer deutet die Vorzeichen in der Geschichte richtig und zieht den einzig möglichen Schluss, dass die Auflösung, die Antwort auf alle aufgeworfenen Fragen, gar nicht ohne das Einfügen übernatürlicher Elemente befriedigend erfolgen könnte, respektive gar nicht
möglich ist. Fans der X-Akten sind hier ganz klar im Vorteil. Letztere werden wohl auch nur dem arg abstrusen Schluss etwas abgewinnen können, haben sie Ähnliches doch schon Dutzende Male in ihrer Lieblingsserie gesehen. Der Rest wird sich aller Voraussicht nach veralbert vorkommen und
„DIE VERGESSENEN” aufgrund des Schlusses als insgesamt schlechten oder hanebüchenen Film bezeichnen. Nicht ganz zu Unrecht, betrachtet man den finalen Story-Verlauf. Doch derart schlecht, wie er immer gemacht wird, ist der Film letztlich dann bei weitem nicht, entschuldigen doch die eingangs erwähnte starke erste Hälfte mit ihrer beeindruckenden Atmosphäre und durchweg exzellente Schauspieler so manche Drehbuchschwäche. Die Meinungen zum Film werden jedoch wohl trotzdem weiterhin auseinandergehen, obwohl es eigentlich so einfach ist, für einen zumindest soliden Eindruck zu sorgen. Erste Hälfte sehen – gut finden. Zweite Hälfte sehen – wundern, Kopf schütteln ... und einfach
vergessen.