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von Patrick Horvath




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Wir sind was wir sind

Wir sind was wir sind

Ein Film von Jorge Michel Grau

Wenn der Begriff Kannibalismus im filmischen Kontext fällt, werden viele Leser vermutlich zuerst an beinharte Genre-Kost wie das „Texas Chainsaw Massacre“ (1974) oder Ruggero Deodatos „Cannibal Holocaust“ (1980) denken.

Der junge Regisseur Jorge Michel Grau betrachtet das Tabu-Thema in seinem Spielfilm-Debüt „Somos lo que hay“ allerdings von einem ganz anderen Blickwinkel.

Eine Familie von Anthropophagen lebt irgendwo mitten in Mexico-City.
Sie wartet auf die Wiederkehr des Vaters, um eine für den Fortbestand offensichtlich notwendige Opferungszeremonie durchführen zu können.

Doch der Vater kommt nicht - ihm hat seine Gier nach Prostituierten das Leben gekostet.
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Die übrige Familie – bestehend aus der ausgezehrten Mutter, zwei Jungen und einem Mädchen – ist außer sich vor Verzweiflung.
Was sollen sie tun, wer soll nun die notwendigen Entscheidungen fällen und Handlungen ausüben?

Während die Mutter das Geheimnis des Rituals nicht preisgibt und sich in ihrem Zimmer vom Rest abschottet, kommt es zwischen dem älteren Alfredo (Francisco Barreiro) und dem jüngeren, aufmüpfigen Julián (Alan Chávez) zu einem erbitterten Familien-Machtkampf.

Wem wird es letztlich gelingen, das ersehnte Opfer zu beschaffen, bis die unsichtbare Uhr abgelaufen oder die ermittelnde Polizei eingetroffen ist?

Mit „Somos lo que hay“ legt Grau ein äußerst stilles und zurückhaltendes Werk vor, das man nur schwerlich als waschechten Horrorfilm bezeichnen kann.

So dient die Kannibalen-Thematik auch eher sinnbildlich für die Wertlosigkeit eines einzelnen Lebens in einer Stadt, welche ohnehin in einer Flut von Gewalt und Mord unterzugehen droht.
Jeder versucht zu überleben, ohne Rücksicht auf Verluste.

Eingebettet worden ist die Geschichte dabei in ein nahezu klassisches Familien-Drama, welches den Zuschauern zunächst die Labilität des Geflechts nach dem Wegfall des patriarchischen Oberhauptes vor Augen führt.

Weder die strenge, aber zunächst wenig hilfreiche Mutter, noch die unerfahrenen Söhne schaffen es aus dem Stegreif, in die „Jäger und Sammler“-Rolle zu schlüpfen.
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Vor allem der von seiner Schwester Sabina (Paulina Gaitan, „Sin Nombre“) als Nachfolger angesehene Alfredo hadert mit seiner ungewollten Bestimmung, während Julián einen fast angenehmen Nervenkitzel bei den ersten Beutefang-Versuchen empfindet.

Die Handlungen der Beiden werden allerdings von der Mutter nachdrücklich abgelehnt, bis diese schließlich selbst in Aktion treten muss.

An diesem Punkt befindet sich die ohnehin wenig intakte Familie bereits auf ihrem Weg weiter nach unten, und nur das mysteriöse Ritual scheint nun noch über deren Weiterleben entscheiden zu können.

Die Wahl des Regisseurs, den Zuschauern eigentlich über die gesamte Spielzeit nur ein vages Konstrukt an die Hand zu geben und diese ansonsten, wie die beiden Brüder, über das doch so dringliche Ereignis im Dunkeln zu lassen, erweist sich als sehr effektiv.

Er mischt der eigentlich sehr überschaubaren Geschichte ein scheinbar extrem bedeutendes, übersinnliches Element unter, welches möglicherweise das elende Schicksal der Charaktere von einem Moment zum anderen vollkommen umkehren könnte.

Vermutlich aber werden die meisten Zuschauer, die eine Art „großen Knall“ erwarten, am Ende eher enttäuscht sein und sich mit einer auf einen kleinen Zettel geschriebenen, knappen aber wichtigen Botschaft konfrontiert sehen.

„Somos lo que hay“ ist ein kleines und sehr interessantes Werk, das bis auf wenige drastische Szenen eher ein Arthouse-Publikum ansprechen wird.
Lediglich die obligatorische, etwas unpassend-komödiantische Nebenhandlung mit den ermittelnden und natürlich bestechlichen Polizisten hätte nicht unbedingt sein müssen.

Dafür versetzt einen die letztliche, sehr atmosphärische Zeremonie-Szene in ihrer famosen Umsetzung gedanklich schon fast zu einem wilden Kannibalen-Stamm irgendwo im Herzen des Urwalds, wenn das schäbige Haus im rituellen Kerzenschein erstrahlt und die überall aufgehängten Uhren mit ihrem Ticken die hypnotischen Perkussionsklänge ersetzen.
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Hier lohnt es sich wirklich, ein wenig Geduld in das Betrachten des langsamen (aber nicht langweiligen) Films zu investieren, denn der Mehrwert steigt beim Zuschauer noch während des mit einem großartigen Soundtrack ausgestatteten Abspanns.

Eine Rezension von Bastian G.
(03. September 2010)
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Daten zum Film
Wir sind was wir sind Mexiko 2010
(Somos lo que hay)
Regie Jorge Michel Grau Drehbuch Jorge Michel Grau
Produktion Centro de Capacitación Cinematográfica (CCC), Fondo para la Producción Cinematográfica de Calidad (FOPROCINE) Kamera Santiago Sanchez
Darsteller Francisco Barreiro, Alan Chávez, Paulina Gaitan, Carmen Beato, Jorge Zárate, Esteban Soberanes, Adrián Aguirre, Miriam Balderas, Juan Carlos Colombo, Daniel Giménez Cacho, Miguel Ángel Hoppe, Raúl Kennedy, Octavio Michel, Humberto Yáñez
Länge 90 min. FSK ab 18 Jahren
http://wir-sind-was-wir-sind.de/
Filmmusik Enrico Chapela
Der Film wurde im Rahmen des "Fantasy-Filmfests 2010" in der spanischen OV mit englischen Untertiteln vorgeführt, der deutsche Kinostart erfolgte am 02.06.2011 / Die ungekürzte deutsche DVD & Blu-Ray sind ab 28.10.2011 erhältlich. Als Extras sind der Kurzfilm "Mi Hermano", ein "Making Of" und der Trailer darauf enthalten. (© Universum Film GmbH)
Kommentare zu dieser Kritik
Bastian TEAM sagte am 30.05.2011 um 10:44 Uhr

Der Film wird am 02.06.2011 in den folgenden Kinos starten:

Berlin, Central Kino

Berlin, Kino Eiszeit

Berlin, Moviemento

Rostock, Lichtspieltheater Wundervoll

Aachen, Apollo

Düsseldorf, Bambi-Filmstudio

Köln, Filmpalette

Münster/Westfalen, Cinema

Trier, Broadway

Aschaffenburg, Casino

Frankfurt/Main, Harmonie

Freiburg Im Breisgau, Friedrichsbau Apollo

Karlsruhe, Schauburg

Kassel, Filmladen

Sulzbach-Taunus, Kinopolis Main-Taunus

Hamburg, 3001

Hannover, Apollo Studio

Dresden, Schauburg

Jena, Kino im Schillerhof

Leipzig, Passage Kinos

München, Mathäser

München, Monopol

Nürnberg, Cinecitta

Stuttgart, EM /Gloria

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