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Charlie Bartlett

Charlie Bartlett

Ein Film von Jon Poll

(USA, 2007)



„I´m head of the class, I´m popular. / I´m a quarterback, I´m popular”
(Nada Surf, 1996)



„Wir sind hier auf der High School. Hier hat man keine Freunde.“ So heißt es am Ende von Darren Steins Jawbreaker (1998), einer garstigen Secundary Education-Satire. Und dieser Satz sagt alles. Es ist kein Wunder, dass zum Beispiel in der Serie Buffy – Im Bann der Dämonen die Hölle direkt unter der örtlichen Penne liegt. Jeder amerikanische Jugendliche weiß: hier musst du kratzen und beißen. Wer pubertären Qualitätsmaßstäben nicht genügt, muss leiden. Es ist der soziale Fleischwolf, durch den jeder durch muss, und wer am Ende nicht fürs Leben gezeichnet ist, hat gut gekämpft.

Natürlich kennen wir das auch hier. Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir, aber ja doch. Und Leben heißt dann: Clique, Impression Management, für den einen oder anderen auch Dauerhänseleien, unfreiwillige oder aus Rebellion und Unangepasstsein geborene Abgeschiedenheit. (Hier und da mag auch Soziopathie im Spiel sein.)

Aber irgendwie scheint es nirgends so brutal zuzugehen wie da drüben. In Brian de Palmas Stephen King-Verfilmung Carrie (1976) versucht die telekinetisch begabte Außenseiterin Carrie White verzweifelt dazuzugehören. Und um ein Haar schafft sie es, sie steht schon in der großen Prom Night als Ballkönigin auf der Bühne.
Und alle bewundern sie. Bis ihr ihre biestige Widersacherin Chris einen Strich durch die Rechnung macht und sie bis aufs Blut demütigt. Zur Strafe lässt Carrie alles in Flammen aufgehen – und rechnet im selben Abwasch mit ihrer religiös-fanatischen Mutter ab. Am Schluss sind fast alle unter der Erde.

Seitdem ist die High School eine Folterkammer des amerikanischen Kinos, in der nur Image und Selbstbehauptung zählen. Charlie Bartlett, ein Film des Regieneulings Jon Poll (als Cutter und Produzent ist er schon länger im Geschäft), gibt sich mit dieser Prämisse aber nicht zufrieden. Und macht aus der Folterkammer einfach eine Therapieanstalt.

Am Anfang steht eine Traumsequenz. Ein Junge mit akkuratem Scheitel und smartem Lächeln (man vermutet richtig, dass es sich um den Charlie Bartlett aus dem Titel handelt) steht vor einem riesigen Konzertauditorium und wird bewundert, beklatsch, gefeiert. Charlie (Anton Yelchin) träumt den Traum, den fast jeder irgendwann einmal hatte. Er ist beliebt. In der Realität muss er hart arbeiten, um akzeptiert zu werden. Warum, erschließt sich nicht sofort. Schlecht sieht er wirklich nicht aus, schüchtern ist er schon gar nicht. Typischen ‚Nerd’-Hobbys frönt er auch nicht. Sein Humor ist außergewöhnlich geistreich, sein Wesen vereinnehmend, sein Gemüt unbedingt optimistisch. Ein besonderer Junge. Ein Individualist im besten Sinne. Fast.

Immerhin wissen wir um seine Hyperaktivität und die abstrusen Verhältnisse, in denen er lebt. Der Vater sitzt wegen Steuerhinterziehung im Knast, die Mutter, grandios gespielt von Hope Davis, ist liebevoll aber überfordert. Am Kühlschrank pappt manchmal ein Zettel, auf dem etwas steht wie: „Essen ist im Kühlschrank, Ritalin auf dem Nachttisch. Liebe dich, Mom.“

Charlie BartlettCharlie BartlettCharlie Bartlett
Die Aktionen, mit denen Charlie versucht, soziales Kapital zu mehren, enden regelmäßig in Schulverweisen. Nachdem er von der letzten Privatschule der Stadt fliegt (er verkaufte eigens gefälschte Führerscheine), muss man es wohl oder übel mit einer – igittigitt – staatlichen Schule versuchen. Dort wird der schöngeistige Sonderling erst mal ordentlich zusammengefaltet. Es dauert keinen Tag, und schon hängt er kopfüber in der Kloschüssel. Vor allem der Schulrowdy Murphey hat es auf ihn abgesehen (Tyler Hilton, der hier vom Aussehen her der Sohn von Morrissey sein könnte, wenn der einen hätte).

Doch Charlie ist Naturoptimist und Organisationstalent. Und obendrein mit viel Einfühlungsvermögen gesegnet. Das sind die Soft Skills, die er ins Spiel bringt. Und er wird gewinnen. Den Rowdy macht er sich zum Freund und Helfer. In der Schultoilette eröffnet er eine Praxis, sein psychologisches Talent spricht sich schnell rum. Charlie hat einen siebten Sinn und ein untrügliches Auge für die Probleme der anderen. Doch vor allem kommen sie wegen den Medikamenten, die er sich mit viel Chuzpe ergaunert. Sexuell aufmerksam wird bald Susan (Kat Dennings), die selbstbewusste Tochter des depressiven Schulrektors Nathan Gardner (Robert Downey Jr., den ich immer wieder mit Rob Lowe verwechsle).

Wenn man sich die ersten Minuten des Films so ansieht, wenn man ans Sujet denkt, könnte man Schlimmes ahnen. Man könnte an die frühen Neunziger und Parker Lewis denken, den Coolen von der Schule. Dieser ekelhafte, dauergrinsende, narzisstische Schulhofheld, dessen Gesicht man sich am liebsten in einer Schrottpresse vorstellen möchte. (Sorry Kollege Genzel, aber das musste mal raus. Ich glaube, keiner außer dir mag heute noch diese Serie. ;-)

Gott sei Dank löst sich das in Wohlgefallen auf. Charlie Bartlett will eine Mischung aus Komödie und Drama sein. Ersteres klappt prächtig, letzteres leider nur mit Abstrichen. Vielleicht, weil man sich die meiste Zeit einfach zu gut amüsiert, um dann in den entsprechenden Momenten bedrückt zu sein.

Immerhin nimmt dieser Film Jugendliche ernst und strahlt dabei eine wohlige menschliche Wärme aus. War es in den High School-Klamotten der seligen Achtziger doch noch Gang und Gebe, dass nur Anpassung das Überleben sichert. Dass nur der am Ende als Sieger dasteht, der eine astreine Assimilationsleistung abliefert und sich dem Ideal der Siegerkultur (vulgo: cool sein) anpasst. Nicht hier. Am Ende steht Susan auf der Bühne und singt die Cat Stevens-Hymne aus Hal Ashbys Harold and Maude (1971). „If you wanna be free, be free.” Die trotzigste, ungenierteste Liebeserklärung an das Du-kannst-alles-tun-wenn-du-willst. Ein Song von drei Minuten, der einem mehr lehren konnte, als man in der Schule je hätte lernen können. (Danke Mr. Springsteen, für diesen elegantesten aller Rock-Aphorismen.)

Wie in John Hughes Breakfast Club (1984), einem der wenigen Gegenentwürfe aus dem Ronald Reagan-Jahrzehnt, träumt man auch in Charlie Bartlett von Toleranz und Freundschaft über die Barrieren des Grüppchendenkens hinweg. Hinter so einer Gefühlsduselei steckt natürlich viel verschämte Sehnsucht nach mehr menschlichem Miteinander. Nicht nur in der Schule, eigentlich überall. Dieser Film meint es ernst. Das unterscheidet ihn von scheinheiligem Hochglanz-Rotz wie High School Musical (2006).

Trotzdem klingt es noch sehr bitter und wahr, wenn Rektor Gardner Charlie sagt, es gäbe wichtigere Dinge als beliebt zu sein, und dieser antwortet: „Und was? Ich bin 17, da ist Beliebtsein schon verdammt wichtig.“ Das ist ein Wiederspruch zwischen Ideal und Realität, die ein Film nur aufzeigen, aber nicht auflösen kann.

Eine Rezension von Gordon Gernand
(01. August 2008)
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Daten zum Film
Charlie Bartlett USA 2007
Regie Jon Poll Drehbuch Gustin Nash
Produktion Fox Searchlight Pictures, Everyman Pictures, Madacy Entertainment Group Inc., Permut Presentations Inc.
Darsteller Anton Yelchin, Kat Dennings, Robert Downey Jr., Mark Rendall, Tyler Hilton
Länge 97 Min. FSK ab 12
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