Maßgebende 27 Millionen Kinobesucher kann der ewige Disney-Klassiker „Das Dschungelbuch“ aus dem Jahre 1967 für sich verbuchen. 27 Millionen – allein in Deutschland, wohlgemerkt. Selbstverständlich ist die allseits bekannte und auf dem gleichnamigen Roman des Nobelpreisträgers Rudyard Kipling basierende Geschichte um Findelkind Mogli, seinen treuen Gefährten Baghira und Balu, sowie seinem ärgsten Widersacher Shir Khan, für viele Menschen ein wesentlicher Bestandteil ihrer filmischen Sozialisation. Man ist mit diesen ikonischen (Trick-)Figuren aufgewachsen, hat sich ihrem Dschungel-Abenteuer immer und immer wieder angenommen, durfte lachen, mitfiebern und innehalten. Dementsprechend knifflig gestaltet sich der Umstand, wenn ein Projekt es anschließend wagt, aus dem Fundus nostalgischer Reminiszenzen zu zehren und Liebgewonnenes in neuer Modifikation aufzubereiten: Auf Sentimentalitäten lässt man bekanntlich nur ungern etwas kommen. Und dass die Fortsetzung zu „Das Dschungelbuch“, nämlich „Das Dschungelbuch 2“ von 2003, Lichtjahre davon entfernt war, die Magie des Originals hervorzubringen, stiftete nachhaltig Missmut für die Zukunft.
Doch allen, die ihr Herz bereits vor Dekaden zum ersten Mal an „Das Dschungelbuch“ verloren haben, kann nun Entwarnung gegeben werden: „
Iron Man“-Regisseur Jon Favreau beweist mit „The Jungle Book“ nicht nur, dass Kipling Urheber eines ganz un
d gar zeitlosen Stoffes ist, sondern auch, dass die kontemporäre Blockbuster-Landschaft noch lange nicht im Schutt anonymer Zerstörungsorgien vergraben wurde. Dramaturgisch wagt sich „The Jungle Book“ selbstredend nicht aus dem Schatten der Vorlage(n) und empfindet sie noch einmal nach, die Identitätssuche des heranwachsenden Mogli (Neel Sethi), in dessen Brust sich eine Zwienatur entdecken lässt, die ihn sowohl in den Dschungel, wie sie ihn auch in den Schoß seinesgleichen zieht. Favreau aber entfaltet diesen von elementarer Bedeutsamkeit signierten Topos weit weniger locker und ungezwungen wie Wolfgang Reithermans Meisterwerk, sondern orientiert sich angenehmerweise an Kiplings Düsternis, ohne sich natürlich die bleierne Schwere eines, sagen wir, Christopher Nolan („
Interstellar“) oder Zack Snyder („
Batman v Superman: Dawn of Justice“) zu imprägnieren.
„The Jungle Book“ ist ohne Zweifel immer noch darauf ausgelegt, Kurzweil zu generieren und den Zuschauer in eine wundersame Geschichte zu entführen, wie sie nur der Dschungel in sich tragen kann. Es wird nur deutlich, dass die Fallhöhe hier eine andere ist, weil die Gefahren, die von Shir Khan (Idris Elba), Kaa (Scarlett Johansson) oder King Louie (Christopher Walken) ausgehen, einfach unvermittelter, greifbarer wirken. Gerade beim nahezu brillanten Auftritt von King Louie, der in einer bedrückenden „Apocalypse Now“-Referenz eingeführt wird, macht der Film endgültig ersichtlich, wie überraschend schmal der Grat zwischen Spaß und Ernst in diesem Fall doch ausfällt. Beinahe antiklimatisch ist es da zu werten, wenn der einschüchternde Gigantopithecus erst das schmissige „Ich wäre gerne wie Du“ intoniert, um die Ruinenstadt, in der die Affenbande haust, im nächsten Moment zum unerbittlichen Schlachtfeld zu erklären. Und hinsichtlich dieses Aspekts lässt sich in „The Jungle Book“ auch ein Kritikpunkt anbringen, vollbringt die Inszenierung es doch nicht immer, die jeweiligen Stimmungslagen sauber miteinander zu verknüpften.
Nichtsdestotrotz darf sich „The Jungle Book“ als beispielhaftes Erzählkino definieren lassen. Es ist schlichtweg erstaunlich, wie schnell es Jon Favreau gelingt, den Zuschauer für sich und seine Konstruktion einzunehmen und den Dschungel, diesen sich selbst regulierenden Organismus, sowie seine Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien innerhalb des filmischen Kosmos authentisch zu etablieren. Ohnehin ist „The Jungle Book“ ein durch und durch liebevolles Erlebnis, in dem man sich nur zu gerne verliert, was eben auch den brillanten Computereffekten anzurechnen ist: Selten war ein derartiger Detailreichtum in den digitalen Visualisierungen auf der Leinwand zu bestaunen. All die Lebewesen, vom quirligen Stachelschwein zum imposanten Dickhäuter, sowie die exotischen Pflanzen im verwinkelten Geäst, evozieren eine wunderbar pittoreske Natürlichkeit. Da verstummen auch die Diskussionen, die sich mit Sinn und Unsinn, mit Notwendigkeit und Entbehrlichkeit dieser Produktion befassen, denn wenn Coming-of-Age und Integration schon so inspiriert und begeistert im Kinosaal erfahrbar sind, dann sollte man sich einfach fallen lassen.
Cover & Szenenbilder: ©Walt Disney Studios Motion Pictures 2016