von Asokan Nirmalarajah
Wenn ein ausgewiesener Kino-Connaisseur wie Quentin Tarantino einen Film zum Besten des Jahres erklärt, dann schaut man schon ein zweites Mal hin, um sich zu vergewissern, dass man auch nichts Wertvolles übersehen hat. Doch ganz gleich wie aufmerksam man Johnnie Tos von Kritik und Publikum respektvoll, wenn auch nicht wirklich enthusiastisch aufgenommenes Gangsterdrama
Election (2005) betrachtet, das stilsicher fotografierte und sehr selbstbewusst inszenierte Werk ist narrativ zu träge und inhaltlich zu klischeehaft, um zu überzeugen. So spricht es auch wohl mehr für die grundlegende Schwäche des Kinojahres 2005 in Hongkong, dass dieses mittelprächtige, einfallsarme Kriminaldrama über den alljährlichen, internen Machtkampf der chinesischen Mafia, den Triaden, Industrie- und Kritiker-Preise einfahren konnte, und im darauf folgenden Jahr eine noch weit populärere Fortsetzung folgen ließ:
Election 2 (2006).
Anhänger der Serie raten auch dazu, dieses Sequel unbedingt in der Wertschätzung des ersten Films einfließen zu lassen, da das Original in der Tat nur die Grundlage für die Geschehnisse des zweiten Teils legen würde und von den Überraschungen der Fortsetzung rückwirkend noch bereichert werden soll. Der hierfür häufig herangezogene Vergleich zu den ersten zwei T
eilen des augenscheinlichsten Genre-Vorbilds,
Der Pate – Teil I und II (1972-74), hinkt allerdings gewaltig:
Election verfügt weder über die erzählerische und atmosphärische Dichte, noch über die singulären Charaktere und mythisch überhöhten Schicksalsschläge. Stattdessen verliert sich Tos ambitioniertes Werk trotz einer handvoll kraftvoller Momente in einer akribischen, aber ermüdenden Milieu-Studie, in der Handlung, Figuren und Dialoge betont zweitrangig und leider auch zweitklassig sind.
Auf die Gefahr hin, der Xenophobie bezichtigt zu werden, muss doch bemerkt werden, dass für westliche Augen es mitunter schwer sein kann, die Masse an asiatischen Gesichtern, die in den ersten, atemlosen Minuten von
Election den Zuschauer überrollen, auseinander zu halten. Dies wird vor allem dadurch erschwert, dass die zwielichtigen Triaden-Mitglieder alle im Halbdunkel und stark verrauchten Hinterzimmern belichtet werden, wo sie ihren illegalen Geschäften nachgehen, als wären sie ein Verein von Senioren, die sich bloß die Zeit vertreibt. Die angespannte, konfuse Atmosphäre der Einleitung ist jedoch durchaus beabsichtigt. Denn die Triade der Wo Shing, der ältesten in Hongkong, hat alle zwei Jahre einen neuen Anführer zu wählen. Dies sollen die ältesten Mitglieder besorgen, indem sie dem neuen Oberhaupt der Bande ein traditionelles Zepter überreichen. Die Wahl besteht dieses Jahr zwischen dem sehr bedachten, ruhigen Lok (Simon Yam) und dem impulsiven, gewalttätigen Big D (Tony Leung Kai Fa), von denen letzterer schon öfters übergangen worden ist und nun mit aller Gewalt den Titel für sich beansprucht. Während zum Nachteil der Triaden-Geschäfte ein interner Kampf um das Zepter zwischen Lok und Big D entbrennt, versucht die Polizei das Chaos zu regeln…
Sobald sich nach der ersten packenden, von der bedrückend pulsierenden Musik von Tayu Lo getragenen Viertelstunde abgezeichnet hat, welche Richtung die Handlung einschlagen wird, hat
Election schon verloren. Denn dramaturgisch wird sich im Laufe des Films nichts weiteres mehr ergeben als der Wechselschnitt zwischen der zusehends brutal-absurden Jagd nach dem Zepter auf dem chinesischen Festland und den unzähligen Verhandlungen in einem hochmodern edlen, wie moralisch verkommenen Hongkong. Die penetrante Redseligkeit des Films mag man verschmerzen, wenn bloß die Dialoge nicht so bieder wären. Ob Polizist oder Gangster, alle reden und gehen sie wie unbeteiligte Statuen mit minimalistischem Ausdruck in Gestik, Mimik und Sprache. Identifikation und Empathie für diese dünn gezeichneten Figuren stellen sich nicht ein. Natürlich könnte man diese Kälte mit dem ausgewiesenen Anspruch der Filmemacher entschuldigen, die Gangster nicht zu glorifizieren und distanziert zu betrachten. Doch bei der Masse an Klischees kommt man hier nicht wirklich zu sonderlich neuen Genre- und Milieu-Erkenntnissen.
Die detailverliebte Schilderung und wiederholte Emphase der Triaden-Traditionen, und die damit verbundenen Wertvorstellungen von Ehre und Stolz werden zwar effektiv als bloßer Schein entlarvt, hinter dem Egomanie, Machthunger und Skrupellosigkeit lauern, aber diese Aspekte hat man so schon interessanter und spannender woanders gesehen. Die durchaus charismatischen Darsteller versauern in ihren eintönigen Charakteren, deren Aktionen man weit voraus erahnt. Weshalb auch das vermeintlich überraschende Ende keinen mehr überraschen kann, der sich im Gangstergenre auch nur rudimentär auskennt. So bleibt mit
Election ein saft- und kraftloser Gangsterfilm übrig, der gerne sein Genre dekonstruiert hätte, aber sich nicht einmal eines der besonderen Reize seiner betont männlichen Gattung bewusst ist: denn die im Genre so oft gefeierte wie dämonisierte homosoziale, von allerlei externen wie internen Faktoren gefährdete Verbrüderung von unsicheren, gewaltbereiten Männern wird nicht mal ansatzweise thematisiert. Wer das Gangstergenre dekonstruiert haben will, ohne sich dabei langweilen zu müssen, schaut sich die qualitativ wertvollere TV-Serie
The Sopranos (1999-2007) an. Alle anderen, inklusive Quentin Tarantino, können sich mit dem ermüdenden
Election zufrieden geben.