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Die Klapperschlange

Die Klapperschlange

Ein Film von John Carpenter

(USA, 1981)



„Bad neighborhood… you don´t walk around here at night.”



Es ist ja irgendwie ein Witz. Seit Rudolph Giuliani Bürgermeister war, ist Manhatten sauberer und geleckter als jedes Medizinlabor oder eine Bloomingdale's-Parfümerie. In John Carpenters Escape from New York (Die Klapperschlange, 1981) war die Prunk- und Protzabteilung dieser Megacity ein großes Gefängnis mit drei Millionen Sträflingen. Carpenter hatte diese Idee schon länger, doch kurz nach dem Watergate-Skandal wollte kein Filmstudio so eine rabenschwarze Geschichte verfilmen. Anfang der 80er hatte er genug Einfluss um sich endlich ans Drehen zu machen. Das Ergebnis war eine schaurige Dystopie, noch heute beeindruckend und beklemmend.

Was sich der Regisseur da ausdachte, war keine Spinnerei. Er dachte nur konsequent zu Ende, was damals nicht weit hergeholt erschien. In den Siebzigerjahren war New York nicht nur die Hauptstadt des Universums, sondern vor allem des Verbrechens. Das war wenigstens in der öffentlichen Meinung sonnenklar. Sie war es ja eigentlich schon immer, schon in Batman-Comics der Vierzigerjahre, nur hieß sie da Gotham City. Doch zu keinem Zeitpunkt hatte diese Stadt ein so schlechtes Image wie in den 70ern.

Dieses Image verknüpfte sich mit einem Topos, der vom zeitgenössischen Kino ausgiebig gemolken wurde: Das Verbrechen als Systemkrankheit, als Virus in ei
ner Welt, der die moralische Ordnung abhanden gekommen ist. Unkraut im Garten, das rigoros ausgerupft gehört.

Zwei Paradebeispiele sind die Dirty Harry-Filme mit dem grimmigen Ein-Mann-Kommando Clint Eastwood, und Michael Winners Death Wish (Ein Mann sieht rot, 1974) mit dem Termintaor im Anzug, Charles Bronson. (Plus unzählige weitere Filme, in denen Bronson dasselbe machte, nämlich rot sehen und Wumme auspacken). Sie zeichnen ein gebrechliches Bild des Exekutive, gefesselt und geknebelt von einem verweichlichten Liberalismus, der das Gesindel am Ende eh laufen lässt. Da braucht es einen aufrechten Cop oder einen aufrechten Bürger, der das Gesetz in die Hand nimmt. Solche Filme spiegelten die (amerikanischen) Ideale von Wehrhaftigkeit, die noch aus der Pionierzeit übrig geblieben waren. Sie leben bis heute fort und sie kennen kein Pardon, wenn mal jemand schärfere Waffengesetze fordert.

In Walter Hills The Warriors (1979) sah der Kinozuschauer nur noch Gangs, die sich auf den nächtlichen Straßen duellieren. Eine Parallelgesellschaft, die unter und neben der normalen Gesellschaft lebt und kämpft.

Carpenter dachte bis zum Schluss und übertrieb nur ein bisschen, und seine Idee entsprach im Großen und Ganzen dem Image dieser Stadt. Er hatte mit Halloween (1978) und The Fog – Nebel des Grauens (1980) stilbildende Genreklassiker vorgelegt, wurde als neuer Hitchcock gefeiert. Er galt als Meister des Spannungsfilms und als Virtuose der stilvollen, lakonischen Reduktion. Keine Szene, kein Dialog zu viel. Selten verlassen seine Filme nennenswert die 90 Minuten-Schallmauer. (Und sein mit 112 Minuten längster Film, Starman (1984), ist eine Schnulze.)

Die KlapperschlangeDie KlapperschlangeDie Klapperschlange
Mit Escape from New York kehrte er aus dem Horrorland ins Actionland zurück, das er nach Assult on Precinct 13 (Assult – Anschlag bei Nacht, 1976) vorübergehend verließ. Kurt Russel spielt den ehemaligen Elitesoldaten und Sträfling ‚Snake’ Plissken, der mit sehr unsauberen Mitteln dazu gezwungen wird den amerikanischen Präsidenten (Donald Pleasence) zu retten. Sein Flugzeug ist über Manhattan abgeschossen worden, die mächtigste Gang hält ihn als Geisel.

In der Gefängnisstadt des fiktiven Jahres 1997 haben sich die lebenslänglich Verurteilten eine eigene Gesellschaft erschaffen, in die kein Arm des Gesetzes vordringt. Sie werden sich selbst überlassen. Plissken soll den Präsidenten und eine Kassette mit wichtigen Informationen zur Kernfusion in Sicherheit bringen. Der Erfolg seines Auftrages ist an sein eigenes Überleben gebunden, der Polizeichef Bob Hauk (Lee Van Cleef) hat ihn in der Hand. Und Snake ist ordentlich sauer: „When I come back, I´m going to kill you!“

Snake landet mit einem Segelflugzeug auf dem World Trade Center und kämpft sich seinen Weg durch eine surreales Sperrgebiet, das mal eine stolze Hochzivilisation war. Er trifft den kauzigen Taxifahrer Cabbie (Ernest Borgnine), die Pistolenbraut Maggie (Adrienne Barbeu) und den ‚Brain’ (Harry Dean Stanton), der in den Überresten der New York Libary residiert. Snakes Widersacher, der selbstherrliche Bandenchef Duke, wird gegeben von dem großartigen (und 2008 leider gen Himmel gefahrenen) Sänger Isaac Hayes, dem lüsternen Zuhälter des Funk. Geniale Wahl.

Am Ende rettet Snake den Präsidenten, doch der Mann entpuppt sich als 'unlikeable character' („God save me!”). Plissken regelt es auf seine Art.

Escape from New York ist durchaus ein Actionfilm. Viele Plakate sprechen eine ähnliche Sprache: Kurt Russel mit Augenklappe und Fluppe im Maul, eine überdimensionale Knarre wie ein Phallus. Doch so was kann täuschen. Carpenters sieben Millionen Dollar teuere Produktion (für ihn damals Rekord) ist vor allem eine beklemmende, gespenstische Odyssee. Ein Kino-Alptraum von der Zersplitterung der Welt in technisierte Gated Communities und verwilderte No-go-Areas.

Die Geschichte ist dabei fast Nebensache. Wirklich, selten war ein Plot in einem Carpenter-Film nebensächlicher. Dass er heute noch als Klassiker gilt ist vor allem der Glanzleistung von Produktionsdesigner Joe Alves zu verdanken. Er entwarf eine beeindruckende Geisterstadt, in der die Symbolwelt des urbanen Molochs überspitzt, mitunter von seinen Bewohnern neu angeordnet wird. Die verfallenen Gebäude, die Mülltonnen, das Graffiti an den Wänden, der Dreck, die marodierenden Banden. Dazwischen ein paar schräge Vögel die eher durch Pech hier gelandet sind, die sich irgendwie in dieser Hölle einrichten, Kulturrituale aufrecht erhalten so gut es geht. (Man denke an die morbide Theaterszene.) Das alles errichtet auf den Ruinen der einst so mächtigen Stadt, in der es nicht Tag werden will. Die Sonne ist in keiner einzigen Szene zu sehen.

Die Musik hat Carpenter wieder selbst und zusammen mit Alan Howarth komponiert und eingespielt. Seine sinistren Synthie-Scores erkennt man unter Tausenden. Eine bessere musikalische Begleitung durch dieses kafkaeske Kuriositätenkabinett gibt's nicht. Kaum auszudenken, ein Soundtrack-Ralph Siegel wie Jerry Goldsmith hätte sich darum gekümmert.

Die KlapperschlangeDie KlapperschlangeDie Klapperschlange
Die Stadtverwaltung New Yorks war mitnichten entsetzt als Carpenter diesen Film genau in der Stadt drehen wollte, die er in derart schlechtes Licht rückte. Sie ließen sogar zum ersten Mal ein Team auf Liberty Island drehen. Konnte man überhaupt noch zwischen Realität und Fiktion unterschieden? Andere Szenen wurden in St. Louis gedreht, weil dort laut Carpenter "so viele Bezirke verlassen und tot aussehen".

Kurt Russel spielt stoisch und routiniert die Rolle des grimmigen Helden wider Willen. Noch zerknirschter als Mel Gibson, der im selben Jahr in George Millers The Road Warrior (Mad Max 2) glänzte. Da schwingt viel vom Pessimismus der ausgeklungenen New Hollywood-Ära mit, in der Strahlemänner keinen Platz hatten. Beide Filme sind Anti-Utopien, die von gesellschaftlichen Zusammenbrüchen erzählen. Von Menschen die auf den darwinistischen Überlebenskampf zurückgeworfen werden. Das war kein Zufall, bei Carpenter schon gar nicht. In Amerika herrschte Ronald Reagan, und seine Politik war ausschließlich für Menschen mit vollem Bankkonto gedacht.

Trotz alldem. Am Ende ist Escape from New York noch mal ein Actionfilm. Wenn Snake Bob Hauk gegenübersteht, mit dem er ja eigentlich den Boden wischen wollte. Hauk fragt: „Wollten Sie mich nicht umbringen?“, und Snake antwortet, ohne das Gesicht zu verziehen: „Ich bin zu müde. Vielleicht später.“

Eine Rezension von Gordon Gernand
(23. Dezember 2008)
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Daten zum Film
Die Klapperschlange USA 1981
(Escape From New York)
Regie John Carpenter Drehbuch John Carpenter, Nick Castle
Produktion AVCO Embassy Pictures, International Film Investors, Goldcrest Film International Kamera Dean Cundey
Darsteller Kurt Russell, Lee Van Cleef, Ernest Borgnine, Adrienne Barbeau, Donald Pleasence, Isaac Hayes, Harry Dean Stanton
Länge 99 Min. FSK
Filmmusik John Carpenter, Alan Howarth
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