von Asokan Nirmalarajah
Nicht selten hört man in ausschließlich männlichen, aber rigoros homophoben Sozialgefügen bei überbordenden heterosexuellen Beziehungsnöten den ebenso erbärmlichen wie unsinnigen Aufschrei: „Mann, ich werd’ schwul!“ Das Denken, das diesem ironischen Spruch zu Grunde liegt, positioniert Homosexualität als einzigen Ausweg für den heterosexuellen Mann, der mit der vermeintlichen Flatterhaftigkeit und Irrationalität des weiblichen Geschlechts überfordert ist, und vermutet, bei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern denselben Halt und Zuspruch zu erhalten, ohne sich dabei in emotionale Verwicklungen mit dem anderen, fremden Geschlecht verrennen zu müssen. Zudem wird geglaubt, dass in der schwulen Subkultur der irreal große, idealisierte Grad der Promiskuität zu finden ist, den man sich in seinen sexuellen Phantasien schon oft ersehnt hat, aber nie gewagt hatte, in die Realität umzusetzen. Dieser ausschließlich heterosexuelle, utopische Außenseiterblick spricht somit gleichgeschlechtlichen Beziehungen die Sorte von sexueller Freiheit und Experimentierfreude zu, die man abseits patriarchalischer Werte und Verklemmungen erfahren kann. Nicht, dass dieses Bild ganz falsch wäre, nur ist es – wie jedes Bild – nur ein Ausschnitt realer Verhältnisse und lässt außer Acht, dass es sich bei diesen gre
llen Individuen trotz aller subversiver Sexualität und nonkonformer Körperlichkeit auch um stinknormale Menschen handelt, die nicht weniger inkonsequent und irrational handeln.
Bei homosexuellen Liebesgeschichten im Hollywood-Kino bestimmt die Spannung zwischen gleichgeschlechtlicher Liebe und den soziokulturellen Strukturen, die diese verurteilen und unmöglich machen, immer die Dramaturgie, wodurch Schwule (Lesben sind hier häufig wenig mehr als gern gesehen Randerscheinungen) ähnlich unantastbarer, todkranker Patienten als Außenseiter porträtiert werden, die an ihrer tragischen „Abnormalität“ letztendlich zu scheitern haben. Das allerorts für seinen vermeintlichen Wagemut gefeierte Rührstück
Brokeback Mountain (2005) ist hierfür exemplarisch, insofern als der inhaltlich seichte und emotional unfruchtbare Liebesfilm nichts Neues über schwule (oder in diesem Fall eher bisexuelle) Identität zu sagen hatte, und stattdessen die Geschichte der aufgrund sozialer Strukturen unglücklich Verliebten erneut durchexerziert, mit der im Grunde irrelevanten Besonderheit, dass es sich hier um die Liebe zwischen zwei Männern handelt. Weit überraschender als diese filmische Eintagsfliege, die zu einem Popkulturphänomen sondergleichen mutierte, war der Umstand, dass die plumpe Romanze zu einem grotesken Gradmesser der Toleranz gegenüber Homosexuellen für all jene wurde, die bis dato nur pseudo-liberales, arg plakatives Hollywood-Kino über Homosexualität gewohnt waren, von
Philadelphia (1993) bis
The Birdcage (1996). So wurde jeder kleine Schlag gegen Ang Lees enttäuschendem Film absurderweise zum Affront gegen Homosexuelle hochstilisiert.
Das wirklich interessante Schwulenkino, das sich ebenso ernsthaft wie komisch, bittersüß wie hysterisch mit nonkonformen Genderidentitäten inmitten und abseits homophober, normativer sozialer Strukturen auseinandersetzt, findet sich immer noch überwiegend in den radikaleren, provokanteren Exemplaren des
Queer Cinemas: sensible Regisseure wie Todd Haynes (
Far from Heaven, 2002), Gregg Araki (
Mysterious Skin, 2002) und Gus Van Sant (
My Own Private Idaho, 1991) beschäftigen sich oft mit schwulen Protagonisten, ohne sie direkt zu idealisieren, oder zu dämonisieren. Stattdessen umreißen sie kleine sexuelle Heterotopien, in denen ihre komplexen Figuren Sinn und Unsinn der sie umgebenden Gesellschaft verhandeln, indem sie an ihre psychischen und körperlichen Grenzen stoßen.
Eine solche Heterotopie im Sinne Michel Foucaults entwirft auch John Cameron Mitchell in
Shortbus (2006), seiner zweiten Regiearbeit nach dem grellen Musical
Hedwig and the Angry Inch (2001). Der titelgebende Ort inmitten New Yorks fungiert als eines jener Unorte, an dem die verlockende wie beängstigende Utopie sexueller Freiheit jenseits jeglicher normativer Vorgaben ihre Realisierung findet. Unter der Schirmherrschaft des Transsexuellen Justin Bond, der sich selbst spielt, finden sich die unterschiedlichsten Charaktere in der Zeit zwischen den 9/11-Terroranschlägen und dem großen US-Stromausfall von 2003 zusammen, um sich bedenkenlos und neugierig jeglichen Formen geschlechtlichen Verkehrs hinzugeben. Die zentrale Identifikationsfigur für den Zuschauer ist die sexuell frustrierte Sex-Therapeutin Sofia (Soon-Yik Lee), die zwar glücklich verheiratet ist mit Rob (Raphael Barker), aber noch keinen Orgasmus hatte. Durch das krisengeschüttelte schwule Pärchen Jamie (PJ DeBoy) und James (Paul Dawson) wird sie in den „Shortbus“-Club eingeführt, wo sie erstaunt wie interessiert den sonderbarsten Sex-Praktiken beiwohnt und sich auf ihrer Suche nach sexueller Erfüllung bald mit der zynischen FemDom Severin (Lindsay Beamish) anfreundet. Indes sind James und Jamie ganz fasziniert von Ceth (Jay Brannan), mit dem sie eine Dreiecksbeziehung starten, was von ihrem voyeuristischen Nachbar (Peter Stickles) eifersüchtig registriert wird…
Shortbus sorgte zunächst für viel Gesprächsstoff durch die Entscheidung Mitchells die zahlreichen Sexszenen des Films nicht wie üblich anzudeuten, sondern explizit zu zeigen. Die Vorwürfe der Pornographie verhallen allerdings angesichts der Tatsache, dass der hier real für die Kamera vollzogene Verkehr mit anderen und sich selbst nicht der Erregung der Zuschauer, sondern der authentischen Darstellung der Figuren und dem unverblümten Porträt einer Subkultur dient. So ist die Intention dieses US-Films nicht viel anders als die ähnlich expliziter europäischer Produktionen wie
Idioten (1998) oder
9 Songs (2004).
Durch ein düsteres wie romantisches New York, das in grellen Animationssequenzen belebt wird, irren die durchweg gefühlvoll und überzeugend gespielten, aber leider nicht ganz ausgereiften, schablonenhaften Underground-Künstlerfiguren von
Shortbus auf der Suche nach seelischer und körperlicher Erfüllung. Diese orientierungslose Sinnsuche hat zwar ebenso amüsante wie berührende Konsequenzen, will sich aber schwerlich zu einem vollends zufrieden stellenden Ganzen fügen. Witz und Pathos wechseln hier in kleinen, feinen Szenen, die allesamt gut geschrieben, atmosphärisch gefilmt und zuweilen superb gespielt sind. Doch mal abgesehen von manch erinnernswürdigen Momenten (die US-Nationalhymne hat man so wie hier noch nie gehört) und smarten wie sensiblen Reflektionen über die Dekonstruktion binärer Genderkategorien, bittersüßen Einsichten über Familie, Kindheit, Liebe und AIDS, hinterlässt
Shortbus "lediglich" einen uferlosen Reigen angefüllt mit hübschen Bildern und Tönen, der ebenso unterhalten wie aufklären mag, aber zu unausgegoren und speziell für das
Queer Cinema zu altbacken ist, um wirklich etwas zu bewegen. Allzu liberalen
Brokeback Mountain-Anhängern ist er aber besonders empfohlen, da er trotz eigener Indie-Klischees intelligent genug ist, um mit den schwulen Stereotypen zu brechen, die erstere aus dem Mainstream-Kino gewohnt sind.