Dass es sich diverse Marvel-Helden nicht haben nehmen lassen, sich in so manch schwerwiegendem Kapitel der reellen Menschheitshistorie einzumischen, um in diesen dann nach Belieben herumzupfuschen, ist ja keine sonderliche Überraschung mehr. Da der Marvel-Kosmos doch geradewegs in unser Universum implementiert wurde, besteht eben beispielsweise auch die abstruse Möglichkeit, Magneto aus der „X-Men“-Saga konspirativ des Mordes an John F. Kennedy zu bezichtigen. Seltsam hingegen wird es, wenn wir uns auf einem Terrain bewegen, in dem es nicht mehr um den primär phantastischen Charakter der Comic-Vorlage geschert wird und das Wildern in den Geschichtsbüchern keiner handlungsorientierten Kontextualisierung unterliegt, sondern einer felsenfesten Ideologie Auftrieb zu verleihen glaubt. Mit „Captain America: The First Avenger“ bekommen wir es mit einem solch eher zwiespältig zu rezipierenden Fall zu tun. In den 1940er Jahren ins Leben gerufen, basiert die Figur von Captain America auf einer rein propagandistischen Absicht, was bezüglich einer zeitgemäßen Interpretation natürlich viele Fragen aufwirft.
Die entscheidendste davon ist wohl: Kann man diesen ungefilterten Nationalstolz wirklich immer noch so ungebremst auf ein im Hier und Jetzt angekommenen Massenpublikum eindreschen lassen, wenn man sich schon auf die Ursprünge der Figur rückbesinnen möchte? In dieser massiven Aufmachung, wie er noch im ersten Heft von 1941 in Erscheinung getreten ist,
sicherlich nicht. Überraschend aber ist, dass die Verantwortlichen hinter „Captain America: The First Avenger“ offensichtlich eine andere Meinung hatten. Captain Americas Funktion war es, dem Volk der Vereinigten Staaten Mut zu machen, was ja keineswegs verwerflich war, aber er war genauso dafür verantwortlich, die Aversionen gegenüber längst existenten und grundierten Feindbildern weiterhin zu schüren. Dass er als Personifizierung von amerikanischen Ideale auch äußerst effektiv zu Werke geschritten ist, muss hier wohl kaum noch bekundet werden. Und nun transferiere man diese Figur in die heutige Zeit und setze sie nicht der republikanischen Anhängerschaft, sondern dem deutschen Konsumenten vor die Augen - Eine gerümpfte Nase ist da wohl die noch mildeste Reaktion.
Wie würde man wohl reagieren, wenn Deutschland sich an die Arbeit macht, eine Comic-Figur jener Tage auf die Leinwand zu projizieren, die den Zweck erfüllen sollte, den von Adolf Hitler propagierten Antisemitismus zu potenzieren? Vielleicht mag der Vergleich in seiner Verhältnismäßigkeit etwas hinken, fragwürdig aber ist „Captain America: The First Avenger“ in seiner patriotischen Strahlkraft zweifelsohne. Es wäre die deutlich klügere Maßnahme gewesen, den kritischen Subtext der späteren Comics wohldosiert zu übernehmen. Oder das Gezeigte dann und wann mit einer klaren Selbstironie zu brechen. Dass Captain America (Chris Evans) es nicht schafft, ein Date mit seiner Flamme Peggy Carter (Hayley Atwell) klarzumachen, relativiert den florierenden Nationalismus wohl kaum. Es ist ja nicht so, als würde sich „Captain America: The First Avenger“ als handfeste Rekonstruktion damaliger Gegebenheiten definieren, doch er politisiert sein Szenario schon dadurch, wenn er die SS-Nebengruppierung „Hydra“ und ihren Anführer Johann Schmidt (Hugo Weaving) zum Feindbild erklärt. Mit dem lachhaften knallroten Totenkopf allerdings ist Schmidt ein wenig wirkungsvoller Antagonist.
Das Problem von „Captain America: The First Avenger“ liegt eben darin begraben, dass er es tunlichst vermeidet, den Personenkult samt Sinngehalt um seinen muskulösen Helden zu hinterfragen. Wenn Steve Rogers zu Anfang noch als der gebrechliche Hänfling auftritt und in seiner pathologischen vaterländischen Blindheit immerzu daran scheitert, sich in den Kriegsdienst einschreiben zu lassen, dann besitzt das eine gewisse Tragik. Einer solchen entbehrt sich der Film dann, wenn Steve zum Captain mutiert und sich in seinen angriffslustigen Handlungen permanent feiern lässt. Darüber hinaus leidet „Captain America - The First Avenger“ an einem mühseligen Pacing, versprüht dann und wann gekonnt seinen toll bebilderten Retro-Charme, muss sich aber gefallen lassen, als leidlich spannendes und wenig spektakuläres Unterfangen gewertet zu werden, egal wie exzessiv hier auch mit der Pyrotechnik hantiert wurde. Technisch größtenteils makellos, ist „Captain America: The First Avenger“ genau das propagandistischen Kaspertheater, das er zwischenzeitig in einem Anflug (selbst-)entlarvender Inkompetenz aufs Korn zu nehmen glaubt. Wer ideologische Fragwürdigkeiten ausblenden kann, der wird wohl zwei mehr oder wenige unterhaltsame Stunden mit dem
All-American-Dreamboy erleben.
Cover & Szenenbilder: © 2011 Paramount