(USA, 1989)
„Wird das Bedürfnis nach Gewalt nicht gestillt, sammelt sie sich weiterhin an, und zwar bis zu jenem Moment, wo sie überbordet und sich mit vernichtender Wirkung in ihre Umgebung ergießt.“
(René Girard, 'Das Heilige und die Gewalt')
„Who the heck ordered the blood shake?”
Ganz ehrlich: Wissen wir, wer unser Nachbar wirklich ist und was er so treibt? Oder der Typ ein Stockwerk über oder unter uns? Dem wir hin und wieder auf der Treppe im Hausflur mit Einkaufstüten in der Hand begegnen und dessen Wohnungstür direkt hinter ihm ins Schloss fällt? Was arbeitet er so? Was hat er für Hobbys? Interessiert er sich für Briefmarken oder Schwarzweißfotografie? Oder doch lieber für seine Kameras, die er an strategischen Stellen im ganzen Haus platziert hat? Schaut er sich Pornoseiten im Netz an? Sind die Protagonisten weiblich oder männlich, erwachsen oder viel zu jung? Haben sie zwei oder vier Beine? Träumt er davon, seinen Chef oder seine Exfrau zu zersägen und im örtlichen Fluss zu entsorgen? (Zusatzfrage: Kann Hitchcock einen so verderblichen Einfluss auf die soziale Wahrtnehmung ausüben?)
Mein Nachbar im Studentenwohnheim (länger ist es her) war ein netter Typ, aber das war auch alles, was ich wusste. Ein bisschen verhuscht schien er, mit leiser, seidiger Stimme hauchte er mir immer sein „Hi“ entgegen. Oder wirkte er auf m
ich nur genauso distanziert wie ich, eventuell, auf ihn? Aus seiner Wohnung wehte manchmal ein penetranter Erdbeerduft. Ich und ein Freund hatten öfters einen diebischen Spaß daran uns vorzustellen, dass von seiner Zimmerdecke lauter Duftbäumchen baumeln, wie in David Finchers
Sieben (1996). Um den Leichengeruch zu überdecken. Die Leichen seiner Professoren, die er in der Dusche mit Säure übergießt, weil sie ihm keine "1" gaben.
Im Ernst: Man denkt sich viel Mist aus, wenn der Tag lang ist. A priori gilt erst einmal die Beklopptheitsvermutung. Die Phantasie geht manchmal mit einem durch, wenn man durch die Vermischtenmeldungen der Zeitung blättert. Ein Mann vergewaltigt und tötet ein kleines Mädchen, die Leiche entsorgt er im See. So geschehen erst vor kurzem in Paderborn/Möhnesee. Man kennt Schlagzeilen und weiß, dass es wieder passieren wird. Ermordete Kinder im Sauerland, eingetopfte Säuglinge in der ostdeutschen Provinz, eingekerkerte Frauen in Österreich. Kranke Welt, was!?
Die Täter entsprechen selten dem gängigen Feindbild. Nachbarn vor der Fernsehkamera stutzen dann immer: Der war immer so nett und hilfsbereit. Aus dem Off säuselt es: "Niemand hätte sich jemals vorstellen können, dass XY zu so einer Tat fähig…" und so weiter. Man blickt zur Decke: Ist auch mein Nachbar bald im Fernsehen?
Auch Regisseur Joe Dante machte sich so seine Gedanken beim Zeitungslesen. Seine nimmermüde Phantasie spielte ihme eine obskure wie geniale Idee zu. Eine Geschichte über 'normale' Vorstadtmenschen, die eines Tages auf den Gedanken kommen, ihre neu zugezogenen, irgend wie komischen Nachbarn seien Teufelsanbeter.
Der Roger Corman-Lehrling, der Anfang der achtziger Jahre zuerst sein Talent als Popcorn-Horrorregisseur unter Beweis stellte (
Gremlins,
The Howling), und dann unter der Ägide von Steven Spielberg dessen Affinität zum orchestralen Abenteuer adaptierte (
Explorers,
Die Reise ins Ich), machte sich 1988 an diese geniale Horrorkomödie. Eine der besten, die es in diesem Jahrzehnt zu sehen gab. Tom Hanks hatte seinen Durchbruch kurz zuvor mit Richards Benjamins
Money Pit (
Geschenkt ist noch zu teuer, 1987), und dieser Film könnte fast wie auf ihn zugeschneidert wirken, wenn das ganze Ensemble nicht so knallig und köstlich wäre.
Auf der Suche nach dem ultimativen Ort des Grauens landet Dante mit seiner Kamera nicht in den maroden Problemvierteln der Großstadt, dort, wo das US-Kino der vergangenen Jahre mit Vorliebe gesellschaftliche Verrohung und moralischen Werteverfall verortete. Sondern in einem typischen Vorort, Suburbia. Eigentumshäuser, Vorgärten, abbezahlte Autos vor den Garagen. (Und das nicht zum ersten Mal, Kleinstädte haben in Dantes Universum einen festen Platz.)
Die Kamera schnüffelt wie ein streunender Hund an allen Protagonisten vorbei, scannt sie ab, und der Zuschauer weiß sofort, was für einen Spezi er vor sich hat. Wir sehen Tom Hanks als Ray Peterson, ein weißer Durchschnittsamerikaner im Morgenmantel am Küchentisch mit Gattin Carol (Carrie Fisher). Es sind die beiden normalsten Menschen, die man in diesem Film zu sehen bekommt. Der Rest der Vorstadttruppe hat einen veritablen Knall.
Allen voran Nachbar Art Weingartner, eine sabbelnde, tratschende Knalltüte (herrlich: Ray Ducommun). Der sitzt in der Küche der wenig begeisterten Petersons, mampft die Reste des Frühstücks und wirft dabei die Klatschmaschine an. Neue Nachbarn sind im Viertel, die Klopeks. Wer sind die wohl, warum zeigen sie sich nicht, die mähen ja nicht mal ihren Rasen. Rays Sohn erzählt, dass sie nachts im Garten graben. Wer ihm das gesteckt hat? Ricky Butler, der Zoten reißende Vorstadtrocker (wie immer herrlich: Corey Feldman, ich liebe diesen Kerl!). Auf der Straße, am helllichten Tag dann die erste Begegnung der dritten Art. Einer der Klopeks tritt aus dem Haus auf die Veranda, eine totenbleiche, stumme Gestalt. Und alle gucken: der schrullige, pensionierte Soldat Rumsfield (am aller herrlichsten: Bruce Dern) und seine blonde, piepsende, halb so alte Gattin Bonnie (herrlich, auch herrlich doof: Wendy Shaal), und der leicht versnobte Rentner Walter (Gale Gordon). Ray und Art versuchen eine Kontaktaufnahme, doch die scheitert kläglich.
Die Anzeichen scheinen sich zu verdichten: merkwürdige Geräusche aus dem Keller, leichengroße Plastiksäcke in der Mülltonne, verbuddelte (Menschen?)-Knochen. Glasklar, die Klopeks sind nicht koscher. Dann scheinen sie auch noch den armen, alten Walter entführt und unter die Erde gebracht zu haben. Da muss gehandelt werden.
The Burbs (
Meine teuflischen Nachbarn) scheint auf den ersten Blick nichts anderes zu sein als eine Horrorkomödie. Doch dahinter steckt Gesellschafts- und Medienkritik. Es sind die gelangweilten Vorstädter, die Dante aufs Korn nimmt, deren Verhalten an Paranoia und Sensationstollheit kaum zu toppen ist. Obsessiv spionieren sie die Eindringlinge aus – denn nichts anderes sind die Klopeks. Eindringlinge in der scheinbaren Wohlgeordnetheit des Vorstadtlebens, Fremde. (Rumsfield: „Klopek, ist das slawisch?“).
Es geht um die sozialen Mechanismen die greifen, wenn sich Einzelne der Aufnahme in die Gemeinschaft verweigern und unter sich bleiben wollen. Natürlich gibt es Stimmen der Vernunft, vor allem Carol und Anfangs auch Ray möchten den vermeintlichen Unsinn nicht glauben. Doch irgendwann ist auch er soweit. Es formen sich immer wildere Theorien über vermeintliche Satansanbetung. Vor allem Art erweist sich als nimmermüder Motor dieser hypernervösen Verdächtigungsdynamik. Eine interessante Variante der Freudschen Teufelsneurose.
Es kommt auch zur ersten richtigen, strategischen Kontaktaufnahme mit dem Feind in Form eines nicht ganz so zwanglosen Abendessens. Die Klopeks erweisen sich dabei als schrullige Figuren, aber Leichen scheinen sie trotzdem keine im Keller zu haben. Das Familienoberhaupt, der Oberarzt Werner Klopek (natürlich auch herrlich: Henry Gibson), ist in seiner zarten Freundlichkeit aber umso diabolischer. Ihren riesigen Dobermann nennen sie Landru, wie der französische Serienmörder Henri Landru. (In der Synchronisation heißt das Tierchen Killer. Na ja…) Doch dann scheint Ray den ultimativen Beweis für Walters Tod in Händen zu halten.
The Burbs ist auch ein Film über xenophobe Wahrnehmungen, die Allgegenwart der Gewalt und ihrer symbolischen und oralhistorischen Repräsentationen. Die von ihrem Leben zunehmend gelangweilten Vorstädter bewegen sich in einem Raum der permanenten Reizüberflutung, in dem die Zeichen immer nur in eine Richtung deuten. Fast jedes Mal, wenn die Glotze läuft, tropft der Horror in den Alltag. In einer Szene, in der sich Ray durch die Kanäle klickt, läuft:
Texas Chainsaw Massacre 2,
The Exorzist und
Race with the Devil. Als sie in das Haus ihres verschwundenen Nachbarn eindringen, um nach dem rechten zu sehen, läuft ebenfalls der Fernseher. Es sind nur vereinzelt verständliche Dialogschnipsel aus einem Krimi zu verstehen („…es geht um Mord…“). Und eines Nachts schlendern Ray, Art und Ricky durch die Straße, Ricky fängt an vom B-Movie
Hexensabbat zu faseln, über Tore zur Hölle. Art erzählt die Anekdote vom alten, netten Eisverkäufer Skip, der vor dreißig Jahren, in dieser Gegend, seine ganze Familie ermordete.
Es sind all diese Referenzen und Zeichen, welche die Atmosphäre aufladen und assoziativ ergänzen, den Verdacht und die Paranoia nähren, legitimieren und plausibel erscheinen lassen. Der Schrecken ist omnipräsent in dieser Wohlstandsburg, die Dante im Blick hatte. Das geht in der Übersetzung des Filmtitels leider etwas unter.
Es ist schön, dass Dante diesen Plot, aus dem man auch ein fieses Hexenjagd-Drama hätte machen können, mit erfrischendem Unernst behandelt. Eine knallige, köstliche, skurrile Komödie, in der er viele kleine Türen zu soziokulturellen und medialen Diskursen aufgestellt hat. Und die Hitchcocks Paradigma vom Kinogänger als involvierter Voyeur aufgreift. Ricky und seine Kumpels stehen immer wieder als Zuschauer am Rande und kommentieren die Aktionen ihrer Nachbarn, die schlussendlich in einer aberwitzigen Aktion versuchen, in das Haus der Klopeks einzudringen, um dort nach Leichen zu buddeln. Als Beweis. Am Ende explodiert das ganze Haus, das Chaos ist infernalisch. Ricky und die Clique stehen auf der Veranda, johlen und genießen „die Show“. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion gehen gänzlich zum Teufel, in den Achtzigern ist man eh nur noch Konsument.
Was aber zu denken gibt: Dante schafft es sogar, seine eigene Sozialkritik zu unterlaufen. Die Klopeks haben, so stellt es sich am Ende heraus, tatsächlich Menschen ermordet, nämlich ihre Vormieter. Sie sind letztendlich doch die teuflischen Nachbarn, für die man sie die ganze Zeit gehalten hat. Dabei hatte Tom Hanks doch keine fünf Minuten zuvor eine so schöne, energische, emphatische Brandrede gehalten, über Schuld und Sensationsgier. Und über die Verantwortung der Gemeinschaft gegenüber den Einzelnen - die auch darin bestehen kann, Menschen, die in Ruhe gelassen werden wollen, auch tatsächlich in Ruhe zu lassen. „Wir sind die Verrückten, nicht die!“
Das macht einen dann doch etwas baff. Macht das jetzt alles zunichte? Oder ist es ein Zugeständnis an das zahlende Publikum, das zum Schluss einen 'richtigen' Bösewicht braucht? Einen Bösewicht, der der eigenen sozialen Peer Group nicht all zu nahe steht? Es müsste eigentlich einen bitteren Beigeschmack haben, wenn Art zum Schluss, süffisant und siegesüberlegen in die Fernsehkameras trompetet: „Die Botschaft an alle Psychopathen, Mörder und Verrückte lautet: Legt euch bloß nicht mit Vorstadtbewohnern an. Wir wollen das nicht länger hinnehmen. Wir geben uns nicht länger damit zufrieden unseren Rasen zu pflegen, unsere Autos zu waschen und unsere Häuser zu streichen. Wir werden sie erwischen. Wir werden sie alle erwischen.“
Es ist nicht wirklich schlimm, es macht nicht alles kaputt. Wohl deshalb, weil Dante sich mit einer Komödie den richtigen Rahmen ausgesucht hatte, um diese Schlusspointe nicht allzu tendenziös erscheinen zu lassen. Die Komödie schafft genau die Distanz, die ein Drama nicht bietet. Es wäre sonst eine merkwürdige Botschaft.
Man kann es versteckten Konservatismus nennen. Man kann dabei auch an die eigene Sensationstollheit denken, die vom schützenden Raum der Fiktion aus genährt und befeuert wird. Man kann aber auch die Kirche im Dorf lassen. Eine Inkonsequenz, durchaus. Aber soll man sich einen der tollsten Komödien durch Konservatismus kaputt machen lassen?!