von Asokan Nirmalarajah
2010 sollte das Jahr werden, in dem sich Mel Gibson nach mehrjähriger Abwesenheit wieder als Schauspieler auf der Leinwand zurückmelden wollte. Dabei lag der früher so populäre Hollywood-Star seit seiner Hauptrolle in
Signs - Zeichen (2002), seinem kommerziell erfolgreichsten Film, nicht gerade auf der faulen Haut. Neben vereinzelten Gastauftritten in Eigenproduktionen (
The Singing Detective, 2003;
Paparazzi, 2004) konnte er vor allem als Regisseur und Produzent kontroverser Kassenerfolge wie
Die Passion Christi (2004) und
Apocalypto (2006) begeistern. Von sich reden machte Gibson in dieser Zeit jedoch mehr mit seinen persönlichen Problemen, die von Zwischenfällen wie der antisemitischen Hasstirade, die er gegen einen jüdischen Streifenpolizisten richtete, als dieser ihn wegen Trunkenheit am Steuer inhaftieren wollte, bis zur Scheidung von seiner Ehefrau reichten. Nach einigen reumütigen Talkshow-Auftritten war ein kreativer Rundumschlag geplant: Eine Hauptrolle in Martin Campbells Rache-Thriller
Auftrag Rache, eine Regiearbeit über die Wikingerzeit mit Leonardo DiCaprio und ein Oscar-verdächtiger Part in dem Drama
Der Biber unter der Führung
von Jodie Foster.
Doch dann kam alles anders. Erst blieb der konventionelle Reißer
Auftrag Rache hinter den Erwartungen zurück und dann sorgte Mel Gibson erneut für unfreiwillige Schlagzeilen, als er sich von der russischen Musikerin Oksana Grigorieva trennte, mit der er kurz davor eine Tochter bekommen hatte. In dem schmutzigen Sorgerechtsstreit um ihr gemeinsames Kind wurde eine Tonbandaufnahme publik, auf der Gibson seiner Ex-Freundin mit Gewalt droht. Die öffentliche Empörung schlug so hohe Wellen, dass nicht nur der Schauspieler von seiner Agentur fallen gelassen wurde und vorläufig untertauchen musste, sondern auch die skurrile Tragikomödie
Der Biber mit Gibson in der Hauptrolle vom Verleih auf unbestimmte Zeit aufgeschoben wurde. Dabei wählten Industrie-Experten Kyle Killens Drehbuch zum Film 2008 noch auf die „black list“, einer jährlichen Auflistung der besten noch nicht produzierten Skripts, die sich in Hollywood im Umlauf befinden. Nun kommt Jodie Fosters dritte Spielfilm-Regiearbeit, ein durchwachsenes, konstruiertes Familiendrama mit einer glänzenden Besetzung, mit einiger Verspätung doch noch in die Kinos und überrascht mehr durch ihre konventionellen, als durch ihre schrulligen Momente.
Erzählt wird die Geschichte des Familienvaters Walter Black (Mel Gibson), dem Geschäftsführer einer Spielzeugfirma, der seit einiger Zeit unter schweren Depressionen leidet. Seine Midlife-Crisis wird vor allem für seine Familie immer mehr untragbar, bis sich seine Frau Meredith (Jodie Foster) dazu entschließt, ihn aus dem gemeinsamen Haus zu verbannen. Getrennt von der Familie, die ihn nicht mehr versteht und sich darin übt alleine zurechtzukommen, versucht sich Walter in seinem Hotelzimmer das Leben zu nehmen. Doch beim zweiten Versuch hört er plötzlich eine Stimme aus der Handpuppe, die er zuvor noch aus einem Müllcontainer gefischt hat. Der Biber auf seiner linken Hand erklärt sich bereit, ihm aus seiner Misere zu helfen. Zusammen kehren sie zu Walters Familie zurück und überzeugen Meredith, das psychotherapeutische Experiment zu wagen. Während sich sein jüngerer Sohn Henry (Riley Thomas Stewart) begeistert zeigt, ihn wieder daheim zu haben, ist der ältere Sohn Porter (Antony Yelchin), der sich zwanghaft vom Vater zu lösen versucht, entsetzt über Walters neuesten Spleen. Doch nach dem anfänglichen Erfolg im Berufs- und Privatleben, beginnt der Biber immer mehr Walters Glück zu behindern.
Was hier noch nach einem Re-imagining der Schwarzweiß-Komödie
Mein Freund Harvey (1950) klingt, in der ein exzentrischer Mann mittleren Alters (James Stewart) sein biederes Umfeld damit irritiert, dass er ihnen einen unsichtbaren weißen Riesenhasen vorstellt, der ihn überall hin begleite, ist im Film dann doch bemerkenswert realistisch umgesetzt. Der Handpuppe, dem Biber wird zwar ein drolliges bis beängstigendes Eigenleben zuerkannt, doch zentrales Thema bleiben Walter und seine Lebenskrise. Mel Gibson, der mit seinen melancholischen Augen und seinem gelegentlich irren Blick immer schon zu den interessanteren Schauspielern unter den Actionstars der 1980er und 90er Jahre zählte, geht in der Rolle des gestörten Familienvaters ebenso auf wie in der seines psychopathischen Alter Egos, des Bibers, den er mit einer rauen englischen Stimme spielt, die er von seinem früheren Co-Star Ray Winstone gestohlen zu haben scheint. Auch wenn seine privaten Probleme es dem Publikum schwer machen könnten, zwischen der Medienfigur Mel Gibson und der Filmfigur Walter Black zu trennen, vollbringt Gibson hier eine solide Gratwanderung zwischen absurder Komik und großen Gefühlen.
Diese prekäre Gratwanderung gelingt der Regisseurin Jodie Foster, die sich hier nach
Das Wunderkind Tate (1991) und
Familienfest und andere Schwierigkeiten (1995) wieder einmal einer dysfunktionalen Familieneinheit annimmt, allerdings nur halb so souverän. Überhaupt scheint sie zu Anfang des Films damit zu hadern, den richtigen Ton für die Geschichte zu finden, die selbst nicht so recht weiß, ob sie mehr in der Tradition von
American Beauty (1999) oder in der von
Fight Club (1999) steht. So pendelt der Film etwas unbeholfen zwischen einem subtilen Charakterdrama über die Zersetzung einer Upper-Middle-Class-Familie in einem amerikanischen Vorort, voller traumatisierter Figuren, deren ungeahntes kreatives Potential sich durch die Stereotypen schneiden, die sie für andere verkörpern, und einer schwarzen Komödie, in der statt Tyler Durden ein Biber den Protagonisten zu einem besseren Leben verhilft. Doch wie in
Fight Club und
American Beauty kommt es auch in Fosters stets ansprechenden, aber nur selten mitreißenden Film zu einem brutalen Finale, in der drastische Entscheidungen gefällt werden müssen, um die Intaktheit der (männlichen) Psyche und der All-American-Family zu bewahren.
Dass sich
Der Biber mit seinem nicht geringen Potential für eine Satire über amerikanische Institutionen wie die Familie, die Vorstadt, die Spielzeugindustrie sowie die Medien letztlich als eine angestrengt sentimentale Vater-Sohn-Geschichte entpuppt, in der zum Ende hin die männliche Genealogie durch eine Umarmung seelisch wie physisch versehrter Männer gesichert wird, ist wohl die größte Überraschung eines Films, von dessen herrlich schrägem Ausgangskonzept man sich ganz andere Überraschungen erhofft hatte.