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9to5: Days in Porn

9to5: Days in Porn

Ein Film von Jens Hoffmann

Die amerikanische Pornoindustrie wirft jährlich weit mehr als 10 Milliarden Dollar ab, doch ein als Hardcore-Darsteller oder -Regisseur stigmatisierter Künstler genießt außerhalb der eigenen Branche nur selten Ansehen. Nicht selten werden alle Pornofilme in einen Topf geworfen, selbst künstlerisch ambitionierte Arbeiten werden von der seriösen Kritik nicht wahrgenommen. Seit die pornografische Ästhetik Einzug ins Autorenkino gefunden hat, ändert sich die Lage schleichend – die breite Öffentlichkeit hat aber nach wie vor nur selten Respekt über für jene Menschen, die ihre eigenen sexuelle Fantasien direkt auf den Bildschirm bringen. Den Stars und Sternchen der Industrie ist das herzlich egal, die Verkaufszahlen sprechen für sich. Gleichwohl der Pornokonsum sowohl in den USA als auch in Europa und dem Rest der Welt exponentiell zu wachsen scheint und ihre Arbeit somit in unzählbaren Haushalten zu finden ist, haben sich die Protagonisten der Branche eine hermetisch abgeschlossene Parallelwelt eingerichtet. Mit eigenen Preisverleihungen, eigenem Starkult und vor allem mit einem ganz eigenen Geschäfts- und Kunstverständnis.

9to5: DAYS IN PORN macht es sich indessen nicht zur Aufgabe, einen Überblick über die Geschichte seines Gegenstands zu illustrieren sondern entwirft eine originelle Studie darüber, wie die Menschen in der Branche ihren Beruf als normalen Alltag bestreiten. 9To5 eben – eine Floskel, die auf die Uhrzeit zwischen 9 Uhr
morgens und 17 Uhr am Nachmittag anspielt und in den USA als Synonym für die gewöhnlichen Arbeitszeiten im Büro verwendet wird. Der deutsche Dokumentarist Jens Hoffmann stellt einige schillernde Persönlichkeiten der Branche vor und reiste dafür eigens in das Porno-Hollywood San Fernando Valley, genannt “The Valley“. Einst hat es die findigen Produzenten hierher verschlagen, maßgeblich aufgrund der niedrigen Mietpreise. Das echte Hollywood mit all seinem Glanz befindet sich nur einige Autominuten entfernt und könnte doch nicht weiter weg sein. Markante, selbstbewusste Leute wie der Veteran John Stagliano (dessen Leben mit dem HI-Virus nicht erwähnt wird) akzeptieren diesen Außenseiterstatus nicht nur sondern genießen ihn regelrecht. Im Interview betont Stagliano, der mit seiner Produktionsfirma Evil Angel zu den angesehensten und erfolgreichsten Filmemachern des Genres gehört, das die Branche unangepasste Leute magisch anzieht – Menschen, sie sonst nirgendwo richtig reinpassen und nicht an gesellschaftlichen Normen interessiert sind. Und diese Menschen mag er ganz besonders.

Es ist jedoch keineswegs Hoffmanns Absicht, diese bekanntermaßen raue Branche als große Familie zu verklären. Nicht nur wenn beispielsweise die ehemalige Akteurin Dr. Sharon Mitchell (gründete mit AIM die erste offizielle Einrichtung, die sich um Hygiene, Aufklärung und gesundheitliche Beratung für die Darsteller kümmert) ihre wohl überlegten kritischen Ansichten äußert, werden die Schattenseiten des glitzernden Porn-Glamours offen gelegt. Niemand macht einen Hehl daraus, das häufig unseriöse Methoden angewendet werden, um Darstellerinnen zu besonders drastischen Praktiken zu nötigen. Diese sehen sich gerade zu Beginn ihrer Karriere oft dazu genötigt gegen ihren Willen zu agieren. In diesem Zuge kommt auch die allgemeine Verrohung der Filme zur Sprache, die zunehmend aggressive und erniedrigende Darstellungen pflegen.

Es ist interessant zu sehen, wie unterschiedlich die verschiedenen Darsteller/innen ihren extremen Beruf auffassen. So zum Beispiel die abgebrühte Sasha Grey, die mit gerade einmal 18 Jahren einstieg und in kürzester Zeit zum gefragten Star ohne Tabus aufgestiegen ist. In erstaunlich eloquenten und durchdacht klingenden Sätzen formuliert sie ihr Anliegen, eine sexuelle Ikone zu werden – bereits in ihrem Bewerbungsschreiben an den Agenten Mark Spiegler überzeugte die junge Frau durch reife klare Vorstellungen, Einsatzbereitschaft und unverblümte Sprache. Auf der anderen Seite gibt es Frauen wie Mia Rose: nur unwesentlich älter als Sasha Grey, erfreut sich das Starlet primär an materiellen Errungenschaften. Rose fährt ein teures Auto, bewohnt eine stilvolle kleine Villa, trägt Designer-Kleidung und edlen Schmuck. Ihre Vereinsamung räumt sie offen ein und als sie gegen Ende selbst von ihrer Schwester verlassen wird, die bis dahin treu an ihrer Seite blieb, dann wird die bittere Enttäuschung spürbar, die eine Karriere beim Porno mit sich bringen kann.

Aus diesem Grund rät Agent Mark Spiegler, der die bestmöglichen Kontakte pflegt und laufend neue Talente unter seine Fittiche nimmt, den Darstellern zu Bescheidenheit und Bodenständigkeit. Nach dem Dreh soll es ein Leben ohne Pornografie geben, statt in Luxus zu schwelgen soll das Geld vernünftig gespart werden – denn es gibt ein Leben nach dem Job. Und für Pornodarsteller gibt es nicht viele Chancen, in einem anderen Metier Fuß zu fassen. Spiegler scheint sich an seine eigenen Ratschläge zu halten, denn ungeachtet seiner hohen Gagen wohnt er in einer abgerissenen und unaufgeräumten Wohnung, die nicht viel vom Erfolg ihres Bewohners zu berichten hat. Doch auch die Protagonisten der Dokumentation werden in ein ambivalentes Licht gerückt – erkennbar an der Kritik, die die deutsche Darstellerin Katja Kassin (die im gegensatz zu Mia Rose wie das nette Mädel von nebenan wirkt) an Spiegler übt. Nach längerer Zusammenarbeit hat sich Kassin von Spiegler getrennt und kritisiert seine Leistungen als Agent, während Spiegler (ganz eindeutig ein routinierter Redner) auf seinen außergewöhnlichen Leistungen für die von ihm betreuten Talente beharrt. Grundsätzlich kommt 9to5:DAYS IN PORN aber ohne böses Blut aus und rückt niemanden in ein despektierliches Licht. Für kurze Statements versammeln sich vor der Kamera viele weitere Größen wie Altstar Nina Hartley oder der Art-Porn-Zauberer Andrew Blake.

Neben den bereits erwähnten Personen widmet sich der Film auch ausführlich dem “Porno-Pärchen“ Otto Bauer und Audrey Hollander, sowie der Koryphäe Belladonna. Letztere gehört aufgrund ihrer unangepassten, frechen Erscheinung und ihrer allseits anerkannten Professionalität zu den wichtigsten weiblichen Kreativköpfen der Branche. Als Darstellerin für besonders harte und ausdauernde Szenen bekannt, ist sie als Regisseurin und Produzentin ebenfalls seit einigen Jahren erfolgreich. Belladonna verkörpert alle gängigen Tugenden eines echten Porno-Stars: Ihr unverkrampftes und natürliches Auftreten zeugt von gesundem und bewusstem Umgang mit der eigenen Sexualität. Das gleiche lässt sich über das Paar Hollander/Bauer sagen, dem viel Screentime zugestanden wird – und das nicht ohne Grund, zeigen sich beide doch als verständige, offene und ehrliche Gesprächspartner. Auch mit drastischen Details wird nicht gegeizt, die aber zumeist in den Interviews Erwähnung finden, doch auch der visuelle Aspekt ist nicht gerade prüde ausgefallen. Zwar ist keine eigentliche Penetration zu sehen, sehr wohl aber viel nackte Haut, erigierte Penisse und Action am Set. Unterstützt von einem eindringlichen Soundtrack, der mit einer geschmackvollen und einfühlsamen Songauswahl brilliert, gelingt Jens Hoffmann ein bemerkenswert vorurteilsfreies und nüchternes Porträt, welches seine reichhaltigen Themen und Anekdoten profund verdichtet. Mit der nötigen Distanz inszeniert und gebührendem Respekt recherchiert, unabhängig in der Formulierung eigener Gedanken. So muss guter Journalismus aussehen.

Eine Rezension von Marco Siedelmann
(30. Oktober 2009)
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Daten zum Film
9to5: Days in Porn Deutschland 2008
(9to5: Days in Porn)
Regie Jens Hoffmann Drehbuch Jens Hoffmann
Produktion Cleonice Comino Kamera Jens Hoffmann
Darsteller Belladonna, Mark Spiegler, Sasha Grey, Otto Bauer, Audrey Hollander, Mia Rose, John Stagliano, Katja Kassin
Länge 95 Minuten FSK ab 18
http://www.9to5-themovie.com/
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