„It must be hard to love an adopted child as much as your own.“
Bösartige Kinder erleben offenbar derzeit im Horrorgenre einen kleinen Boom.
Egal ob noch im Säuglingsalter („
Grace“) oder schon ein Stückchen älter („
The Children“, „
Fall 39“) – die fiesen Racker springen momentan aus allen dunklen Ecken auf die Leinwände und quälen dort mit Vorliebe ihre Erzeuger oder andere nette Menschen, die sich ihnen angenommen haben.
Auch in „Orphan“, dem aktuellsten Output aus der
Dark Castle-Schmiede („13 Geister“, „
Ghost Ship“), geht es um ein Waisenmädchen, das mit ihrer neuen Adoptionsfamilie ein paar gar nicht schöne Dinge im Schilde führt.
Das wohlhabende Ehepaar Kate (Vera Farmiga, „
Departed - Unter Feinden“) und John Coleman (Peter Sarsgaard, „
Jarhead - Willkommen im Dreck“) führt nach außen hin ein sehr ansehnliches Leben: Sie haben zwei großartige Kinder, besitzen ein wunderschönes Haus und auch das Feuer zwischen ihnen scheint noch immer zu lodern. Doch hinter der Fassade türmen sich Probleme auf. Kates drittes Kind war eine Totgeburt, sie selbst hat dieses Ereignis nie richtig verarbeiten können und hat eine Zeit lang versucht, die wiederkehrenden Albträume daran in einem Meer aus Alkohol zu ertränken. Während eines Unfalls im betrunkenen Zustand hat sie sogar einmal das Leben ihrer stummen Tochter Max (Aryana Engineer) aufs Spiel gesetzt, weshalb sie nun mit psychologischer Hilfe versucht, ihr Leben wieder vollständig in den Griff zu bekommen.
Auch John hat dunkle Flecken in der Vergangenheit aufzuweisen, da er vor einigen Jahren eine Affäre mit einer anderen Frau gehabt hat.
Das Problemknäuel scheint sich nun jedoch langsam wieder zu entwirren, weshalb John es für eine gute Idee hält, den Traum vom dritten Kind doch noch wahr werden zu lassen, indem sie diesmal einem Waisenkind ein neues Zuhause schenken. Obwohl Kate sich bei dem Gedanken noch nicht ganz wohl in ihrer Haut fühlt, willigt sie in den nächsten Schritt für eine neue Zukunft ein.
Im Waisenhaus angekommen, wird das Paar sofort fündig, als es auf die neunjährige, hochintelligente Esther (großartig: Isabelle Fuhrman) trifft. Das zurückgezogene Mädchen schafft es auf Anhieb sogar, die Sympathie ihrer zuvor so skeptischen Adoptionsmutter für sich zu gewinnen und mit Ausnahme von dem jungen Sohnemann Daniel (Jimmy Bennett) von der gesamten Familie vorerst innig geliebt zu werden. Vorerst. Denn recht bald entsteht der Eindruck:
„There´s something wrong with Esther.“
Erst fällt etwas überraschend das berüchtigte „F-Wort“ aus dem Mund der doch eigentlich so anständig wirkenden Waisenkindes. Dann schubst sie ihre verhasste Klassenkameradin von einem Spielgerüst und bringt die kleine Max, die als einzige den Vorfall beobachtet hat, dazu, für sie zu lügen.
Als schließlich die Ordensschwester des Waisenhauses (CCH Pounder, „
Ritter der Dämonen“) bei den Colemans auf der Matte steht, und ihnen von weiteren zurückliegenden Zwischenfällen berichtet, die mit dem Mädchen in Verbindung zu stehen scheinen, spaltet sie damit unwissentlich das Ehepaar wieder in zwei Lager. Während John auf vermeintlich rationale Weise versucht, Esther zu verteidigen, erkennt Kate den teuflischen Einfluss der von dieser ausgeht.
Die psychisch angeschlagene Frau muss etwas unternehmen, um ihre Familie vor dem über Leichen gehenden Neuankömmling zu schützen – doch ist das gar nicht so einfach, da die raffinierte Göre ihre Schritte sorgfältig plant…
Nach dem äußerst mittelmäßigen Schocker „House Of Wax“ (2005) ist „Orphan“ nun die zweite Genrearbeit des in Spanien geborenen Regisseurs Jaume Collet-Serra. Im Gegensatz zum Vorgänger, der zwar Atmosphäre und einige splattrige Einschübe vorweisen konnte, aber ansonsten inhaltlich und schauspielerisch versagte, stellt sein neuer Film aus qualitativer Sicht nicht nur für ihn einen gewaltigen Sprung nach vorne dar – auch für
Dark Castle bedeutet „Orphan“ den nächsten Schritt aus der sonst so oberflächlichen, Effekte-beladenen Vergangenheit. Zwar besaß bereits der von Mathieu Kassovitz inszenierte Geister-Horror „Gothika“ (2003) seine Reize, aber das aktuelle Werk überzeugt nun erstmals auf ganzer Linie.
Die Schauspieler – allen voran Isabelle Fuhrman und Vera Farmiga – heben den Film durch ihre Leistungen bereits auf ein ganz anderes Niveau, als man es von einer Produktion der erwähnten Genre-Company normalerweise erwarten würde. Obwohl die Story dabei vom Grundgerüst her bereits vertraut wirkt, kommt es hier eher auf die kleinen psychologischen Feinheiten an - denn Esther ist ein richtig gemeines Miststück, das so ziemlich sämtliche Probleme der Familie geschickt ausnutzt, um an ihr Ziel zu gelangen. Welches das ist, soll jetzt natürlich nicht verraten werden. Nur eine Anmerkung dazu: In den USA ist „Orphan“ bereits mit einer Werbekampagne gestartet worden, die im Verlauf des Films einen nahezu unvorhersehbaren Twist verspricht. Nun, wer nur aus diesem Grund den Gang ins Kino antritt und auch nur ein ganz klein wenig über die übliche „Kinder-Horror“-Geschichte hinausdenken kann, wird am Ende enttäuscht sein - man kommt sehr schnell selbst hinter Esthers Geheimnis.
Tatsächlich schadet diese Vermarktung dem Werk, denn wenn man es sich ohne jegliches Wissen über eine spezielle „Auflösung“ anschauen würde, könnte man von der besagten, durchaus Gänsehaut erzeugenden Szene eiskalt erwischt werden. Diese wirkt übrigens zum Glück keineswegs aufgesetzt, sondern fügt sich harmonisch in den Fluss der Story ein.
Trotz seiner längeren Spieldauer von knapp über zwei Stunden wird „Orphan“ zu keinem Moment langweilig, er ist wirklich unglaublich straff erzählt, ohne dabei nur von einer blutigen Szene zu nächsten zu springen oder falsche Fährten zu legen. Und um jetzt einmal die Erwartungen auf einen beinharten Reißer zu entkräften:
Der Streifen ist viel eher ein fast schon subtiler, düsterer Psychothriller, als ein Horrorfilm mit bluttriefenden
Special Effects. Lediglich vereinzelte Schockmomente und das an den Nerven zerrende Finale lassen sich eindeutig dem letzteren Genre zuordnen. Oftmals fühlt sich das Werk wie eine wesentlich bessere Version von Joseph Rubens „Das zweite Gesicht“ (1993) an, die mit einigen fiesen Gewaltspitzen bedacht worden ist.
Sehr viel Wert wird hier vor allem auf die Zeichnung der Charaktere gelegt. Jede der Hauptfiguren hat ihre kleinen oder großen, physischen oder psychologisch begründeten Mäkel, die, wenn sie zum Vorschein kommen, von der teuflischen Esther sofort erkannt und gegen sie verwendet werden.
Obwohl man als Zuschauer die Taten des Mädchens mitverfolgt, und somit natürlich stets die Sicht der verzweifelten Kate teilt, sind auch Johns Argumente zugunsten von Esther theoretisch sehr nachvollziehbar – schließlich hat seine Frau in der Vergangenheit tatsächlich einige Dinge getan, die das Vertrauen in ihr Handeln auf eine schwere Probe stellt. Vor allem, da Esther ihre Adoptionsmutter wie ein offenes Buch liest und ihre nächsten Schritte stets vereiteln kann, so dass jene am Ende immer als unzurechnungsfähiges Wrack dasteht.
Kates einsamer Kampf um das Leben ihrer Familie ist damit das packende Kernstück dieses sehr gelungenen Werkes.
Sowohl Freunde härterer Thrillerkost, als auch Anhänger des eher unterschwelligen Horrors sollten sich den visuell sehr ansprechend umgesetzten „Orphan“ nicht entgehen lassen.