„Beware the stare of Mary Shaw / She had no children only dolls / And if you see her in your dreams / Be sure to never ever scream.“
Wie oft bekommt man heutzutage eigentlich einen wirklich guten Gruselfilm zu sehen? Wenn man mal an die letzten paar Jahre zurückdenkt, passiert das in der Tat recht selten und die Welle an Remakes von asiatischen Gänsehautattacken hat bereits vor einiger Zeit ihren Reiz verloren und mündet regelmäßig in einfallslosen
Rip-Offs eines x-beliebigen Vorgängers.
Der momentane Horror-Trend besteht dann auch eher darin, den Zuschauern wahre Schlachtplatten zu servieren, die man oft einfach als „Folter-Orgien“ oder
„Torture-Porns“ abtun kann. Das soll nicht heissen, dass Streifen wie „
Hostel“ oder „
Wolf Creek“ nicht das Genre mit guten Beiträgen haben bereichern können, aber auch bei dieser Erfolgsformel muss angemerkt werden, dass sie langsam aber sicher mit Nachahmer-Schund ins Leere läuft.
Als einer der Initiatoren dieser Welle muss eindeutig James Wans Megahit „
Saw“ (2004) genannt werden, der mit seinem äußerst bescheidenen Budget von etwa gerade mal einer Million US-Dollar am Eröffnungswochenende bereits fast das zwanzigfache eingespielt hat, und fast überall mit großartigen Kritiken versehen worden ist. Der mit einer durchaus intelligenten Story ausgestattete Film hat zudem ein bis dato seit den goldenen 80ern nicht mehr gesehenes Ausmaß an knüppelharten Splattereinlagen beinhaltet, welche danach fast jede folgende Horror-Produktion zu überbieten versucht hat – einschließlich der bisher entstandenen drei Fortsetzungen, die es alle auf Platz eins der amerikanischen Kinocharts geschafft haben.
Man durfte also gespannt sein, was der Exil-Australier Wan sich wohl mit seinem Drehbuchautor Leigh Whannell als nächstes Projekt vornehmen würde, und wurde mit dem vorliegenden „Dead Silence“ durchaus überrascht:
So mancher dürfte sich, als er von einem weiteren Horrorfilm des Regisseurs gehört hat, auf ein erneutes erbarmungsloses Gemetzel eingestellt haben - doch Fehlanzeige!
Bei Wans zweitem Streich handelt es sich um eine zwar nicht völlig unblutige, aber vergleichsweise zahme, klassische Gruselgeschichte, nach welcher sich die meisten Genre-Fans vor einigen Jahren vermutlich noch alle Finger geleckt hätten.
Leider kommt es heutzutage offensichtlich nicht mehr so sehr darauf an, den Zuschauern eine packende und dicht inszenierte Geschichte zu präsentieren, sondern einfach stumpf dem Zeitgeist zu folgen. Diese Vermutung wird mit der Tatsache unterstrichen, dass „Dead Silence“ in den USA tatsächlich gnadenlos an den Kinokassen gefloppt und hierzulange fast unbemerkt auf DVD erschienen ist.
Das ist schade, denn der Streifen hat auf jeden Fall einige Qualitäten aufzuweisen, die einem im Horrorbereich nicht mehr allzu oft auf der großen Leinwand begegnen.
Doch nun erstmal zur Story: Der junge Jamie (Ryan Kwanten) hatte eigentlich einen ruhigen und gemütlichen Abend mit seiner Frau Lisa (Laura Regan) geplant, als es auf einmal an der Tür klingelt und die beiden einen großen Karton davor finden. Als sie ihn öffnen, befindet sich darin eine Bauchredner-Puppe, die laut Aufdruck „Billy“ heisst. Zunächst hält das Paar das Geschenk für einen eigenartigen Scherz, doch als Jamie am Abend von einem Imbiss zurückkommt, findet er Lisa tot und mit herausgerissener Zunge auf dem Bett liegen.
Da es keine Andeutungen gibt, dass sich noch jemand in der Wohnung befunden hat, und Jamie schwört, Lisas Stimme noch gehört zu haben, kurz bevor er sie entdeckt hat, hält ihn der schmierige Detective Lipton (Donnie Wahlberg, „Saw 2“) natürlich zunächst für den Täter. Der junge Witwer erzählt ihm daraufhin, dass in der Kleinstadt, aus der er kommt, eine solche Puppe als böses Omen gilt. Dieser Mythos beruht auf einer alten Gruselgeschichte, die von der toten Bauchrednerin Mary Shaw (Judith Roberts) handelt, welche einen tödlichen Fluch über den Ort verhängt hat.
Noch auf freiem Fuß, macht sich Jamie nun mitsamt der Puppe in das verschlafene „Raven´s Fair“ auf, um das Geheimnis hinter Lindas Ermordung zu lüften…
Sehr viel mehr sollte der Zuschauer über „Dead Silence“ im Vorfeld nicht erfahren, denn was zunächst nach einem recht gut inszenierten „Chucky“-
Rip-Off aussieht, entwickelt sich zu einem wirklich sehr spannenden und äußerst atmosphärischen Horrorfilm, der manchmal sogar leichte Erinnerungen an das italienische Genie Mario Bava („
Blutige Seide“, „
Die toten Augen des Dr. Dracula“) wachruft. So gibt es im Verlauf der Handlung viele klassische Gänsehaut-Elemente wie scheinbar ständig präsenten Bodennebel, Friedhöfe bei Nacht oder gruselige alte Gebäude zu sehen, die das Werk aber nie überfrachten, sondern eine gelungene Grundstimmung erschaffen.
Ein weiterer Faktor, der viel zu selten Erwähnung findet, aber vor allem im Horrorgenre oft einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert beim Erschaffen der Atmosphäre einnimmt, ist der Soundtrack – und der ist bei „Dead Silence“ einfach nur fantastisch ausgefallen. Vielleicht mag es ein wenig übertrieben klingen, aber der betreffende Score von Charlie Clouser („
Saw“, „
Death Sentence - Todesurteil“) spielt in einer ähnlichen Liga wie andere legendäre Kompositionen, wie z.B. John Carpenters „
Halloween - Die Nacht des Grauens“-Thema oder der von der Band „Goblin“ performte Soundtrack zu Dario Argentos „
Suspiria“ - bereits während des Vorspanns wird der Zuschauer durch diese
fast-schon-Hymne sehr effektiv auf die folgende Geisterstunde eingestimmt.
Bei „Dead Silence“ sollen schließlich noch drei kleinere Mängel genannt werden, die das Sehvergnügen aber wirklich nur
sehr geringfügig trüben:
Zunächst wäre da der nahezu unbekannte Darsteller Ryan Kwanten, der zwar beileibe kein abgrundtief schlechter Schauspieler ist, aber der Aufgabe, eine Hauptrolle in einem Spielfilm zu übernehmen noch nicht recht gewachsen scheint - für eine Charakter-Performance in einem Drama wäre es zumindest definitiv zu früh...
Ansonsten sind wohl aus Budget-Gründen einige digitale Effekte verwendet worden, die teils sehr gelungen sind, aber an manchen Stellen (Stichwort: Zunge) ziemlich künstlich wirken und auf die man eventuell auch ganz hätte verzichten können.
Als letzten Kritikpunkt ist anzumerken, dass der Regisseur im Mittelteil des Films ganz kurz in den Leerlauf schaltet, was aber insofern bei Beginn des Abspanns wieder vergessen ist, da gerade das Ende von „Dead Silence“ ganz großartig geraten ist, und zudem über eine richtig schön fiese Schluss-Pointe verfügt, die der von „
Saw“ in nichts nachsteht.
Eigentlich sollte jeder echte Horror-Fan Wans Zweitwerk etwas abgewinnen können, da er wirklich alle Elemente aufzufahren vermag, die das Herz des Genre-Liebhabers höher schlagen lassen.
Da der Streifen leider nie in den deutschen Kinos zu sehen gewesen ist (die Ausnahme bildet natürlich das
Fantasy Filmfest), sei hiermit eine ausdrückliche Empfehlung ausgesprochen, den Weg in die Videothek anzutreten und das gute Stück für einen wohlig-schaurigen Abend mit ins traute, dunkle Heim zu holen...