Die Wachowski-Brüder, immer noch auf der Suche nach der Muse, nach dem Zeitgeist, nach Relevanz, haben sich wieder einem Stoff zugewandt, an dem sie schon vor ihrem Durchbruch mit
The Matrix (1999) gearbeitet hatten. Für
V wie Vendetta haben sie das Drehbuch geschrieben und produziert, unter anderem zusammen mit Joel Silver (der seit Mitte der 80er alles produziert, was Bruckheimer liegen lässt und John Rhys-Davies immer ähnlicher sieht).
Die ursprüngliche Graphic Novel, gezeichnet von David Lloyd, geschrieben von Alan Moore (
League of Extraordinary Gentlemen,
Watchmen,
From Hell), der sich wie immer nicht am Drehbuch beteiligte und auch nicht in den Credits erwähnt werden wollte, stammt aus dem England unter Thatcher. Also aus einer Zeit, in der es der Jugendkultur leicht gemacht wurde, "dagegen" zu sein. Glaubt man einigen kritischen Stimmen, ist es genau dieses Potential, was der heutigen Jugend fehlt, womit auch der relative Misserfolg des Films zu erklären sein könnte. Einen Nerv, wie noch bei
The Matrix, haben sie dieses Mal nicht getroffen. Allmachtsfantasien mit Sonnenbrille, Ledermantel, Kampfsport und Technopop ja, Revolution nein?
Wahrscheinlicher ist, dass
V wie Vendetta einfach etwas zu sehr "Thesenfilm" ist (freilich in sehr plakativer, undefinierter Auslegung des Wortes), um als reiner Blockbuster dem Mainstream zu gefallen, und dann doch zu inkonsequent, um sich eindeutig
von seinen Blockbuster-Ambitionen loszusagen.
Das England, gegen das der Protagonist hier rebelliert, ist nicht das Thatcher-England der 1980er, sondern ein mit den obligatorischen Pinselstrichen gezeichneter Orwellscher Überwachungsstaat im frühen 21. Jahrhundert. Ein Staat, in dem alle klassischen Institutionen gleichgeschaltet sind und Abweichler bei Nacht von Sonderkommandos abgeholt werden. Der Protagonist, V (Hugo Weaving), ist eine Ein-Mann-Revolution, eine Art moderner Zorro, in der Vorlage noch ein handfester Anarchist, hier zu einem Freiheitskämpfer umgedeutet. Er bekämpft das Regime, indem er Regierungsgebäude sprengt und Fernsehsender besetzt, um die Bürger da wachzurütteln, wo er sie erreichen kann: Vor dem Fernseher. Tatsächlich gibt es während des Films mehrere Schnitte zu den aus z.B.
Truman Show (Peter Weir, 1998) bekannten, demografisch repräsentativen "Durchschnittsbürgern", die natürlich zwar manipulierbar und passiv wie Rinder sind, aber eigentlich das Herz am rechten Fleck haben.
Die "Bösen" sitzen anderswo: In der Presse, in der Kirche, in der Wissenschaft und in der Regierung. Im Laufe des Films wird V aus jedem Bereich ein Opfer ganz persönliche besuchen, denn wie allen Revolutionären geht es ihm eigentlich um sein persönliches Schicksal. Er führt eine Blutrache, eben eine Vendetta gegen die, die ihm in der Vergangenheit grausames angetan haben. Und wenn er schonmal dabei ist, kann er auch gleich noch die Welt verändern. Das Feindbild des Films wird – bis auf bei dem Opfer aus der Wissenschaft, dem Sinead Cusack sogar etwas Wärme verleihen darf – mit dem Holzhammer aufgebaut: Der Priester vergeht sich natürlich an kleinen Mädchen, der Pressemann ist ein für den 5-Minuten-Hass zuständiger TV-Hassprediger und der Diktator "Kanzler" Suttler lässt Kommunistenjäger Joseph McCarthy wie einen buddhistischen Mönch aussehen. Fast den ganzen Film über sieht man ihn nur in den Sitzungen mit seinen Untergebenen, die winzig klein unter dem riesigen Bildschirm im War Room sitzen, von dem aus er in Nahaufnahme Befehle und Tiraden brüllt und spuckt, immer nur einen Schritt vom Infarkt entfernt. Dass ausgerechnet John Hurt diesen Suttler spielt, ist eine Anspielung auf Michael Radfords Verfilmung von George Orwells
1984, in dem Hurt noch Winston Smith spielte, den kleinen Mann, der sich ganz im Privaten gegen das System auflehnt und doch verlieren muss. Hier ist er nur eine Karikatur.
Das große Problem des Films, dass sich auf beinahe allen Ebenen zeigt: Er weiß nicht, wohin er will. Zu häufig konstruiert das Drehbuch einfache Auswege aus potentiell interessanten Situationen. Zu häufig geschehen Dinge nur, um sie in den Blockbuster-Rahmen zu zwängen, dessen Sprengung das Material hergäbe und die auch immer mal wieder angedeutet wird. Wenn Stephen Fry sich ausgerechnet, während er die meistgesuchte Person des Landes bei sich zu Hause versteckt, in seiner TV-Sendung mit dem Regime anlegt, ist das einfach nicht glaubwürdig für die zuvor präsentierte Welt. Es verkommt zu einem allzu bekannten Drehen an der Dramatik-Schraube, deren Mechanik schon immer sympathische Charaktere geopfert wurden, um die steigende Gefahr für den Protagonisten zu verdeutlichen.
Ein richtiges Gefühl für die Dystopie will sich nicht einstellen. Weil die Szenen, die die größeren Zusammenhänge innerhalb der Stadt zeigen, wie nachträglich aus Erklärungszwecken eingefügt wirken, zu sehr auf den einen Eindruck, den sie machen sollen, gestrickt, zu sauber abgeschlossen, zu eindeutig. Wenn man sehen will, wie elegant beiläufig man die Allgegenwart der Beschränkungen, den kulturellen Zerfall und die Menschenfeindlichkeit einer Dystopie in Szene setzen kann, muss man sich also weiterhin Alfonso Cuarons
Children of Men ansehen.
Die aktuellen Bezüge sind offensichtlich, meistens sogar ganz brav in Vs Revolutionsrhetorik ausformuliert:
"The building is a symbol, as is the act of destroying it. Symbols are given power by people. Alone a symbol is meaningless, but with enough people blowing up a building can change the world." An einer anderen Stelle fragt Stephen Rea (als Finch, der Ermittler, der von Suttler auf V angesetzt wird), was wäre, wenn ein Virusattentat, dem 100.000 Menschen zum Opfer fielen und für das Terroristen nach ihrem Geständnis hingerichtet wurden, in Wahrheit von der eigenen Regierung verursacht wurde. Würde man es wirklich wissen wollen? Bei Finch nämlich entsteht der Verdacht, dass genau das passiert sein könnte, als das Regime damals an die Macht kam. Wenn Panik der Grund ist, zu Wahlen zu gehen, wird der mit der "harten Hand" gewählt.
Die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt, stellt sich in diesem Film auch gleich nochmal: V setzt Evey (Natalie Portman) tagelang genau der Art Gefangenschaft und Folter aus, die das Regime bei Staatsfeinden anwendet und lässt sie glauben, sie werde eben nicht von ihm, sondern vom Regime gefoltert, um sie dazu zu bringen, V zu verraten. Er tut das, um ihr zu zeigen, wofür er kämpft und um sie, die sie zu diesem Zeitpunkt auch schon zum Staatsfeind geworden ist, zu "erziehen". Wieder hat der Film dafür einen Merksatz:
"Our integrity sells for so little, but it is all we really have. It is the very last inch of us. But within that inch we are free."
Die Radikalität, mit der der Film V eine Lüge erschaffen lässt, um seine "Wahrheit" zu erreichen, ist in seiner Fragwürdigkeit schon wieder fast bewundernswert. Zumindest hier scheut man nicht davor zurück, die Ambivalenz zu zeigen, die entsteht, wenn jemand dieselben Mittel benutzt wie die, die er zu bekämpfen behauptet, eben weil sie diese Mittel benutzen.
Matrix war da anders. In
Matrix ging es - neben Lack und Leder und Feuerwaffen - wenn überhaupt um den guten alten Triumph des
human spirit. Hier geht es einige Momente lang genauso um Hass.
Schon die nächste Szene allerdings, in der Evey versteht, was mit ihr passierte, läuft über vor manipulativem Gefühlskino und Symbolismus-Einerlei. Sie stürmt nach ihrer Gefangenschaft nach draußen, weg von ihrem Peiniger, der ihr erzählt, er hätte es für das greater good getan. Natürlich regnet es, natürlich reicht der Regen, um sie verstehen zu lassen. Natürlich breitet sie die Arme aus, natürlich schwillt und schwillt die Musik an, während die Regentropfen auf ihr Gesicht prasseln. Und natürlich ist das alles genauso wie damals bei V. Nur war es bei ihm Feuer. Bei ihr ist es Wasser. Get it? Was eigentlich? Dass elementare Gegensätze immer gerne verwendet werden, wenn man einfach mal irgendein Symbol einbauen möchte, für was auch immer. Wie viel besser wäre da ein internalisierter Ansatz gewesen. In der politischen Dimension überdeutlich an den Holocaust und überhaupt jede Terrorherrschaft der letzten hundert Jahre erinnern, die Menschenversuche, die Massengräber zeigen, und es dann so platt aufzulösen, ist bedenklich. War das alles doch nur Effekthascherei?
John Hurt, dem man in seinem permanenten Skeptizismus immer so ungewöhnlich ehrliche Antworten gerade über seine eigenen Filme zutrauen darf, sagt es ganz simpel im Making-of:
"The themes are serious. I'm not quite sure that the treatment is as serious as that, but on the other hand, if it was as serious as that, I'm not sure that it would reach the amount of people that it's intended to reach." Damit fasst er das ganze Problem des Films zusammen.
Da ist es fast egal, dass sie V am Ende dieser Selbstfindung verlässt, weil das nur die schon aus Konventionen der romantischen Komödie bekannte Krise vor der Versöhnung ist. Denn auch das wird hier umgedeutet: Ist Evey in der Vorlage die Nachfolgerin des Revolutionärs, wird sie hier am Ende doch zur Geliebten, die zu Hause bangt und wartet und weint. Während ihr Auserwählter die Welt rettet.
Bis hierhin klingt der Text sehr negativ. Dabei hat
V wie Vendetta durchaus auch Qualitäten. Er ist geschmeidig an einem Stück anzusehen, ohne je wirklich langweilig zu werden. Der Funke ist da, wie gesagt, er entzündet sich nur zu selten. Die Ästhetik ist fast den ganzen Film über stimmig und hübsch anzusehen, das befürchtete, wahllose, effektüberladene Actionfeuerwerk bleibt zugunsten der Erzählung aus, die sich die Zeit nimmt, die sie braucht, weil sie sich ernst genug nimmt. Weaving schafft es tatsächlich allein durch Gestik und Stimme, seine Figur interessanter zu machen, als man erwarten konnte. Sein V ist zugleich wütender, hassender Fanatiker und enttäuschter Schöngeist, der sich selbst auch noch seiner potentiellen Lächerlichkeit bewusst ist, wenn er unter der Maske von Guy Fawkes Shakespeare rezitiert. Natalie Portmans Einsatz kann man, wenn man möchte, schon daran ablesen, dass sie sich eine Glatze rasieren ließ. Stephen Fry ist, wie immer, wenn er kauzig-komisch sein darf, ein Szenenklauer, ohne je albern oder affektiert zu sein. Dann wäre da noch Stephen Rea. Rea war schon immer ein wunderbarer Beobachter. Egal, auf welcher Seite er steht, er scheint immer in seinem Innern zu wissen, ob er das Richtige tut oder nicht. Er scheint immer zu zweifeln, ob das, was er weiß, ausreicht, um seine Aufgaben, seine Feigheit, seine Verantwortungen aufzuwiegen, um das Gegenteil von dem zu tun, was er jetzt gerade tut. Er weiß immer um die Implikationen und Konsequenzen dessen, was geschieht, und er trägt schwer daran. In Zeiten, in denen selbst der Film Noir zu einer von Teenagern nachgeäfften Pose der Coolness verkommt (
Brick), die das Entscheidende, die bittere Erfahrung hinter dem Zynismus, per definitionem unmöglich einfangen können, ist Stephen Rea einer, der genau das immer mitschwingen lässt. Sein Gesicht kehrt sein Gewissen nach außen, mit allen guten und schlechten Entscheidungen, die er in seinem Leben getroffen hat. Rea sieht immer aus, als wäre er vor fünf Minuten von einem Anruf geweckt worden, und weil er eh in seinen Klamotten schläft und nichts hat, was er sonst tun könnte, ist er schon da. Und nimmt alles zur Kenntnis. Wirklich überrascht wirkt er nie.
Dass die Dinge passieren, scheint er zu wissen. Es ist eher, als hätte er nur nicht unbedingt damit gerechnet, dass diese bestimmte Sache gerade
jetzt passiert. Als hätte er wider besseren Wissens ein ganz kleines bisschen gehofft. Auch wenn er gegen Ende dann wieder zu sehr in die Rolle eines reinen Zeugen des Plots geschrieben wird, gehören seine doch zu den besten Szenen des Films. Ein bedauerlicherweise immer wieder unter seinen Möglichkeiten besetzter großartiger Charakterdarsteller.
Am Ende geht dann doch noch so ziemlich alles in dem Rausch unter, möglichst große Bilder zu basteln. Die "Mach kaputt, was dich kaputt macht" - Moral und die Idee, eine uniformierte Masse, die einen unterdrückt, in die Luft zu jagen, um eine eigene uniformierte Masse an deren Stelle zu setzen, wird durch den Trick, das quasi gewaltlos ablaufen zu lassen, nicht unbedingt besser.
Wie schrieb noch dieser Engländer?
"All sound and fury, signifying nothing."
Was
Fight Club in einem anderen Kontext noch kritisierte, auch wenn das Publikum das nicht mitkriegen musste, wird hier am Ende hemmungslos romantisiert. Niemand wird vergessen, was dieser Tag für das Land bedeutete, heißt es. Was das ist? Egal. Feuerwerk. Die Explosionen im Rhythmus von Tchaikovskys
1812. Wow-Finish. Einfach, weil man kann. Schade.