Jacques Tati (1907-1982) zählt zu den wichtigsten Filmemachern Europas. Er führte nicht nur auf sehr eigenwillige Weise Regie, sondern spielte auch stets die Hauptrolle. Sein Film “Mein Onkel” zeigt ihn zum zweiten Mal in seiner Rolle als Monsieur Hulot, dem kauzigen Gentlemen.
Der Regisseur und Darsteller:
Jacques Tati, dessen Familienname eigentlich Tatischeff ist, wuchs in Le Pecq (Frankreich) in kühler Familienatmosphäre, die von seinem strengen Vater ausging, auf. Obwohl Tatis Eltern französisch-russischer und italienisch-holländischer Abstammung waren, lebte und arbeitete Tati nie ausserhalb Frankreichs. Tati konnte trotz aller Anstrengungen seiner Eltern keine gute Bildung aufweisen und ging ohne Abschluss von der Schule, um zu arbeiten. Er entdeckte allerdings sein komödiantisches Talent und versuchte sich – gegen den Willen seines Vaters - auf der Bühne. Seine Auftritte, bei denen er meistens verschiedene Sportler gab, machten ihn berühmt. 1934 begann Tati seinen ersten Film zu drehen, finanziert mit der Gage der Bühnenshows.
Tati drehte nur eine Hand voll Filme in Spielfilmlänge. Sein zweiter Spielfilm “Die Ferien des Monsieur Hulot” fand national und international große Anerkennung. Filmkritiker André Bazin und andere wegweisende Stimmen verfassten Essays, Interviews im wichtigsten Filmblatt Cahiers du Cinéma und eine Oscar-Nominierung für das beste Drehbuch folgten. Jacques Tati war ein eher unbelesener Mann
und überhaupt nicht intellektuell. Umso irrwitziger sind deshalb einige filmkritische Auseinandersetzungen, die seinen Stil mit Kafka oder Beckett zu erklären versuchen, obwohl Tati diese nie gelesen hatte.
Die Figur des Monsieur Hulot:
Monsieur Hulot ist eine von Tati erschaffene und gespielte Figur, die sofort ins Auge sticht: Ein großer Mann mit Schlapphut und Pfeife, hellem Trenchcoat, einer seltsamen Körperhaltung und wippendem Gang. Weiteres Merkmal: er hat keinen Vornamen und spricht kaum. Seine Gags bestechen also nicht durch Wortwitz, sondern vielmehr durch gepflegten Slapstick. Monsieur Hulot ist ungeschickt und chaotisch, doch niemals brutal oder bösartig. Es ist keine Figur der großen Emotionen und Gesten. Monsieur Hulot ist zwar eine irgendwie schrullige Persönlichkeit, kann sich aber an auferlegte Pflichten anpassen. In die Rolle des Monsieur Hulot schlüpfte Tati zum ersten Mal in “Die Ferien des Monsieur Hulot”. Mit “Mein Onkel” folgte der zweite Auftritt dieser Figur.
“Mein Onkel” – Die Handlung:
Gérard Arpel (Alain Bécourt) lebt mit seinen Eltern in einem neuen und ultramodernen Haus. Seine Mutter (Adrienne Servante) ist ein Putzteufel und hat für seine kindlichen Eskapaden, von denen er dreckbesudelt nach Hause kommt, nichts übrig. Sein Vater (Jean Pierre Zola) ist leitender Angestellter in einem Plastik-Unternehmen, das Plastikschläuche herstellt. Beide Eltern legen größten Wert auf Ansehen und gutes Benehmen.
Nur mit seinem Onkel Monsieur Hulot (Jacques Tati) hat Gérard Spaß. Nach der Schule streifen sie oft umher und während Gérard mit seinen Freunden Streiche spielt, versucht sein Onkel das verursachte Chaos in den Griff zu bekommen. Monsieur Hulot ist allerdings im Hause der Eltern nicht so gern gesehen. Nach deren Meinung sollte Monsieur Hulot ein geregeltes Leben führen, mit fester Anstellung und Ehefrau. Gérards Vater verschafft ihm deshalb ein Bewerbungsgespräch in seiner Plastik-Firma, doch Schwager Hulot hinterlässt im Warteraum mit seinen Schuhen, mit denen er unbemerkt in Farbe getreten ist, Abdrücke. Die Personalmitarbeiterin verdächtigt ihn, auf dem Tisch herumgeklettert zu sein, um durch eine Luke ins Nebenzimmer schielen zu können und gibt ihm die Anstellung nicht.
Gérards Mutter lädt zu einer kleinen Gartenparty: sie möchte ihren Bruder Hulot mit ihrer alleinstehenden Nachbarin verkuppeln. Der Plan schlägt wie erwartet fehl. Auch bei einem weiteren Versuch, Hulot in der Firma unterzubringen, stellt sich Hulot zu linkisch an, um bleiben zu können.
Als Monsieur Hulot eines Abends Gérard nach Hause bringt, dort Möbel verschiebt, es sich auf dem Sofa bequem macht und in vollständiger Kleidung einschläft, reicht es Gérards Vater. Hulot ist kein gutes Vorbild für seinen Sohn und muss fort. Gérards Vater verschafft ihm deshalb zum dritten Mal einen Job in seiner Firma: in einer Zweigstelle weit weg auf dem Land.
“Mein Onkel” – Die Umsetzung:
Besonders wichtig für die Wirkung des Films ist die gegensätzliche bildliche Darstellung der Schauplätze. Erstens gibt es das Haus der Arpels. Entworfen von Jacques Lagrange und als Studiobau aufgezogen. Es wirkt modern und sogar futuristisch, ist tatsächlich jedoch dem Baustil der 20er Jahre angepasst. Der Zuschauer wird nicht oft ins Haus hineingeführt, lernt aber die sterile, kalte weiße Küche (die an ein Zimmer im Krankenhaus erinnert) kennen. Die Möbel und das Putz-Outfit der Mutter sind hingegen knallig einfarbig. Der Garten ist ebenso gestylt wie das Interieur des Hauses und nicht überall begehbar, sondern nur auf den dafür vorgesehenen Wegen. Hier kann sich ein Kind gar nicht wohl fühlen. Zweitens gibt es die Plastik-Firma des Vaters. Diese ist in grau gehalten mit schnörkelloser Einrichtung und kalter Arbeitsatmosphäre. Nur die roten Schläuche heben sich farblich ab. Und drittens gibt es das Haus, in dem Monsieur Hulot lebt und die Straßen, in denen Gérard und sein Onkel dem Müßiggang frönen. Diese Locations vermitteln Menschlichkeit und zeigen das französische Alltagsleben, in dem Gérard und sein Onkel am glücklichsten sind.
In Tatis Filmen spielen Dialoge eine untergeordnete Rolle, so dass die Musik entsprechend Raum einnimmt. In “Mein Onkel” werden die Szenen im Haus der Arpels und in der Firma von Gérards Vater nicht mit Musik unterlegt. Dadurch treten die einzelnen Geräusche der Maschinen und Schritte besonders hervor und lassen diese Gebäude noch steriler und kälter wirken, als es die Bilder schon ausdrücken. Die übrigen Szenen sind im Gegensatz dazu mit einer sehr melodiösen und stimmungsvollen Musik untermalt.
Auffallend ist zudem die ruhige Kameraführung. Nahaufnahmen sind nie zu sehen, so dass der Zuschauer (leider) die Gesichter nicht wirklich erkennt. Der Ausdruck der Figuren erschließt sich eher durch die Bewegungen der Figuren.
“Mein Onkel” war ein weiterer großer (auch kommerzieller) Erfolg und Tati gewann u.a. den Spezialpreis der Jury in Cannes und den Oscar 1959 für den besten nicht englischsprachigen Film.
Fazit:
“Mein Onkel” ist eines der wenigen Werke des französischen Filmemachers Jacques Tati. Langsam erzählt und mit Liebe zum Detail vermittelt der Film Müßiggang als Lebensstil und Menschlichkeit als Wert - Karrieregeilheit und Streben nach Anerkennung hingegen werden karikiert. Mit Monsieur Hulot schuf Tati eine unverkennbare Figur, die einen festen Platz in der Welt der Komödien einnimmt.
Bemerkung zur DVD und FSK:
Auf der DVD befindet sich die original-französische Fassung mit deutschem Untertitel. Eine synchronisierte deutsche Fassung gibt es also NICHT, was für Kinder, die noch nicht so gut lesen können, ein Nachteil ist - allerdings kein schlimmer, denn Dialoge sind sowieso Nebensache. Der Film ist ab 6 Jahren freigegeben, kann aber bedenkenlos auch jüngeren Kindern gezeigt werden. Auf der DVD gibt es zudem die eigens gedrehte englische Version, die ein paar Minuten kürzer geraten ist (andere Takes, anderer Schnitt). Diese wurde angefertigt, um den Film auch dem US-amerikanischen Publikum zugänglich zu machen, das Untertiteln negativ gegenüberstand. Weiteres Zusatzmaterial ist der Kurzfilm “Achte auf deine Linke” (“Soigne ton gauche”, auf französisch, ca. 12 Min.) und eine Aufnahme des Tati Soirée der French Company Deschamps & Makeieff (ca. 30 Min.).