Manche Dinge gehören einfach zusammen, sei es nun Dick, der ohne Doof ein gar doofes Duo abgegeben hätte, oder etwa Don Camillo und Peppone, deren Hassliebe uns anno dazumal wunderbar amüsante Filme beschert hat. Untrennbar verwachsen mit den Elementen, aus denen sie hervorgingen, entwickeln die „Früchte“ dieses gemeinsamen Handels (sprich: kommerzieller Erfolg und/oder die Betitelung als Kult) mitunter nicht selten erstaunliche Eigenkräfte, die in den meisten Fällen in einem resultieren: sie – die Dinge, die einfach zusammen gehören – kehren immer wieder, lassen sich nicht unterkriegen. Dieses Gesetz der Filmlandschaft gilt bis heute, und auch
„DER KLEINE LORD“ bildet hier keine Ausnahme, eher im Gegenteil.
Zwar ist es hier weniger ein Gespann, ein Duo, das sich prächtig entwickelt hat – wenngleich
Ricky Schroder und
Alec Guinness durchaus als ein solches durchgehen könnten –, nein, hier sind es eben gerade nicht zwei Faktoren, die unmittelbar, das heißt
im Film, miteinander ein einheitliches Ganzes bilden, sondern vielmehr auch äußere Einflüsse, welche auf den Film einwirken. Wie lässt es sich sonst erklären, dass jahrein, jahraus, kurz vor Weihnachten der kleine Lord Fauntleroy nun schon seit einem Vierteljahrhundert im Fernsehen Quoten vorlegt, die den Anschein erwecken, als handele es sich jedes Jahr aufs Neue um eine mit Spannung erwartete Free-TV-Premiere? Weihnachten, die Zeit der Liebe
und der Besinnlichkeit, und die Buchverfilmung des kleinen Lords haben sich gefunden, liebgewonnen, und – hier wird niemand widersprechen – dies wird auch bis auf Weiteres so bleiben.
Trotz des hohen Bekanntheitsgrades dieses Films soll es aus Gründen der Vollständigkeit nicht versäumt werden, eine – zumindest kurze – Inhaltsangabe des im englischsprachigen Raum berühmten Klassikers der Jugendliteratur zu geben. Der achtjährige Ceddie Errol (Ricky Schroeder) lebt in New York mit seiner verwitweten Mutter (Connie Booth) in eher ärmlichen Verhältnissen. Alles ändert sich schlagartig, als eines Tages Mr. Havisham (Eric Porter), ein Gesandter des Earl of Dorincourt (Alec Guinness) – Ceddies Großvater – mit einer Nachricht vor der Tür steht. Der kleine Ceddie kennt seinen Großvater nicht, da dieser es dereinst nie verkraftet hat, dass sein Sohn Cedric eine Amerikanerin geehelicht hat. Dieser Zeitpunkt markierte den Beginn des Lossagens von seinem eigenen Fleisch und Blut. Doch die Zeit wütete unerbärmlich. Mittlerweile sind alle Söhne des Earl tot, so dass dieser einen Abgesandten losschickte, seinen Enkel Ceddie nach Schloss Dorincourt zu bestellen, da er irgendwann einmal als rechtmäßiger Erbe in die Fußstapfen seines Großvaters treten soll. Dies, so der Abgesandte, setze nun einmal eine standesgemäße Erziehung vor Ort voraus.
Nur unter einer Bedingung willigt Mrs. Errol ein: dem kleinen Ceddie soll niemals zu Ohren kommen, welche Abneigung der Earl gegen sie hegt. Angekommen auf Schloss Dorincourt sieht Ceddie – nun Lord Fauntleroy – seinen Großvater (den Schwiegervater seiner Mutter) zum ersten Mal und bezeichnet ihn in seinen Kinderaugen trotz der offensichtlich alle andere Gefühle vereinnahmenden Härte und Grantigkeit als besten und liebsten Großvater der Welt. Schon bald obsiegt die Kraft, die Kindern innewohnt und lässt allmählich den aufgrund verletzten Stolzes um sich erbauten Schutzpanzer des alten Herrn zerbrechen. Der Earl beginnt, seinen Enkel und späteren Nachfolger richtig lieb zu gewinnen, so dass alles vorher Geschehene fast gänzlich von der neu aufkeimenden Freude in den Hintergrund gedrängt zu werden scheint. Fast. Denn als plötzlich eine Frau auftaucht, die behauptet, ihr eigener Sohn sei rechtmäßiger Erbe des Titels anstelle des kleinen Ceddie, ist der alte Earl of Dorincourt mehr als nur geschockt. Sollte die Freude wirklich nur von solch kurzer Dauer gewesen sein?
Parallelen zu Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte sind sicherlich nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Waren es bei Dickens drei Geister, die einen alten, griesgrämigen Mann läuterten und zu einem besseren Menschen machten, ist es in
Frances Hodgson Burnetts Kinderbuchklassiker einzig und allein ein Kind, das die Fesseln des verletzten Stolzes und aufgestauter Trotzigkeit zu durchbrechen in der Lage ist. Auch der Zuschauer kommt letztlich wie der alte Earl nicht umhin, die von Ricky Schroder grandios gespielte naive Gutherzigkeit des „Little Lord Fauntleroy“ einfach lieb zu gewinnen. Die im Buch beschriebene körperliche Schönheit und gesunde Ausstrahlung des kleinen Lords wirkt dem niedlichen Blondschopf (man kann dem Kind keinen anderen Namen geben!) mit seinem großen Lächeln und noch größerem Herzen regelrecht auf den kleinen Leib geschrieben. Tolle Leistung des damals erst knapp 10jährigen Jungen! Wieder einmal sind es also die Kinderaugen, in denen sich der wahre Kern des Gesehenen spiegelt; wieder einmal gewinnt kindliche Naivität über gespielte Härte und legt letztlich verborgen geglaubte Gefühle frei.
Diese beiden Facetten – Kälte und Grantigkeit auf der einen, neu aufkeimende Freude und Gutherzigkeit auf der anderen Seite – zeigen darüber hinaus, dass der große Sir Alec Guinness (1914 – 2000) einer der wandlungsfähigsten Schauspieler seiner Zeit war. Denn wohl kein anderer wäre in der Lage gewesen, die im (Kinder-)Buch recht klischeehaft gezeichnete Person des Earl of Dorincourt mit einerseits zunächst überzeugender, niemals übertriebener Kühle zu spielen und andererseits direkt im Anschluss die Rolle mit derart viel Wärme und Menschlichkeit zu füllen. Es ist das Spiel eines großartigen Künstlers, das den Zuschauer kurzzeitig durch die Augen eines Kindes – sprich: des kleinen Lords – sehen lässt, denn trotz aller an den Tag gelegter Härte des Earls schimmert in Guinness’ Interpretation immer noch etwas Sympathisches durch, ein kleiner Funke Menschlichkeit. Der beste Großvater der Welt. So erkennen auch wir schließlich, was sogenannte „naive Gutherzigkeit“ bewirken kann. Vieles, sicherlich. Vor allem dann, wenn es sich im Grunde gar nicht um Naivität, sondern um die Wahrheit, um nichts als die blanke Wahrheit handelt. „Kindermund tut Wahrheit kund'“, sagt man doch, und schlussendlich siegt diese Erkenntnis wenig überraschend über alte gehegte Gedanken und Vorstellungen.
„DER KLEINE LORD“ von
Jack Gold („
Der Schrecken der Medusa“ [1978]) ist und bleibt einfach ein zeitlos schöner, anrührend und unterhaltsam erzählter Klassiker, der trotz (oder gerade wegen?) der Kinderbuchvorlage mehr Tiefe und vor allem Gefühl als manch anderer Weihnachtsfilm besitzt, ohne jemals auch nur in die Nähe des Kitschigen zu kommen. Hierfür sorgen vor allem Alec Guinness und Ricky Schroder mit ihrer gelungenen und im Gedächtnis haften bleibenden Performance. Diese Schlussfolgerung stammt nun zwar von jemandem, der schon etwas älter ist, nichtsdestotrotz waren ja aber schließlich wir alle mal Kinder, und nicht selten haben wir uns auch etwas von der damals vorhandenen naiven Gutherzigkeit – die ja zumindest im Universum des kleinen Lords keine ist, wie wir nun wissen! – bewahrt.
Es hat sich also wieder bestätigt, dass
„DER KLEINE LORD“ ein toller Film für Alt und Jung ist, der an Weihnachten einfach nicht fehlen darf. Wie wahr, wie wahr, konstatieren wir alle einheitlich mit großen leuchtenden Augen. Augen, die manchmal auch unter die harte Oberfläche zu schauen in der Lage sind.