(UK / Frankreich, 1978)
"I will bring the whole edifice down on their unworthy heads."
Als Richard Burton
The Meudsa Touch (
Der Schrecken der Medusa, 1978) drehte, war er abgetakelt und alkoholabhängig. Also noch abgetakelter und alkoholabhängiger als sonst. Aber das ist genau die Frequenz, auf der Genies wie er am besten funktionieren. Und eigentlich spielt nicht er die Hauptrolle, sondern seine Augen. Es ist ein Film der wie gemacht zu sein scheint für seinen stierenden, bohrenden Blick. Auch wenn Jack Gold mit Lino Ventura, Lee Remick und Harry Andrews hochkarätiges Personal um den walisischen Exzentriker platzierte, ist
The Medusa Touch doch irgendwie ein Richard Burton Film geworden. Ein toller und atmosphärischer, aber ohne ihn würde er nicht funktionieren. Nicht so gut wie mit ihm.
Und es passt so gut dass Burton in diesem ganzen Film fast nur in der Rückblende existiert. Denn direkt am Anfang wird er, in der Rolle des verschrobenen Schriftstellers John Morlar, von einem Unbekannten in seiner Londoner Wohnung fast erschlagen. Im Krankenhaus weiß niemand, warum er bei diesen schweren Kopfverletzungen überhaupt noch leben kann. Den Fall übernimmt Inspektor Brunel (Lino Ventura), ein Austauschpolizist aus Paris, der sich auf Spurensuche begibt. Schnell stellt sich heraus, dass Morlar der Wahnvorstellung oblag, Kraft seines Willens Katastrophen auslösen zu kÃ
¶nnen. Natürlich erklärt die Rückblende dem Zuschauer schnell, was Brunel nur schwer glauben mag: Dass es sich nicht um Wahnvorstellungen handelt. Und während er immer tiefer in die Biographie und Psyche der Schriftstellers eintaucht, braut sich in der britischen Hauptstadt das Unheil zusammen.
Die Stationen in Morlars Leben fügen sich dabei zu einem Leichen-pflastern-seinen-Weg-Lebenslauf zusammen. Seine lieblosen Eltern lässt er die Klippe hinunterstürzen, den tyrannischen Pauker im Lehrerzimmer verbrennen. Das mischugge Kindermädchen, das ihn mit religiösen Untergangslitaneien traktiert, verreckt an Masern. Ein erzkonservativer Richter, der einen Pazifisten für viele Jahre wegsperrt, erleidet einen Herzinfarkt. Und seine giftige Ehefrau, die ihn für eine Fehlgeburt verantwortlich macht, verunglückt mit ihrem Lover auf der Autobahn. Jedes Todesurteil wird mit einem durchbohrenden Blick besiegelt. Ein Rachefeldzug, der seine Opfer zunächst nach moralischen oder wenigstens menschlich verstehbaren Kriterien auswählt. Doch irgendwann beginnt Morlar auch diese Grenze zu überschreiten.
Lino Ventura macht dabei einen Job, den er seit Luis Malles
Fahrstuhl zum Schafott (
Ascenseur pour l´echafaut, 1957) aus dem Effeff beherrscht: den lakonischen, zielstrebigen Bullen zu spielen. Seine Rolle muss aber zwangsläufig neben Richard Burtons erschlagender Präsenz verkümmern (genauso wie die von Lee Remick als Morlars Psychiaterin Dr. Zonefeld). Für den Part des mysteriösen Misanthrops, der einen ausgeprägten, aus enttäuschtem Humanismus geborenen Weltzorn in sich trägt, musste er sich vermutlich nicht mal großartig verstellen. Trotzdem schafft er es dieser Figur etwas zu verleihen, das den Zuschauer davon abhält ihn für ein absolutes Ungeheuer zu halten. Vermutlich, weil man seinen Zynismus mitunter verstehen und teilen mag. Ein bisschen wenigstens.
Doch Jack Gold hat neben einem glänzend aufspielenden Burton auch einen atmosphärisch intensiven Film zu bieten, der die Genrekreuzung von Krimi, übernatürlichem Thriller und Katastrophendrama wagt. Die Klärung der Täterfrage tut dabei wenig zur Sache. Telekinese und andere psychophysischen Phänomene waren ein Sujet, dass - verglichen mit anderen Horrorstreifen - eher subtile Genrevertreter hervorbrachte, wie
The Fury (
Teufelskreis Alpha, 1978 (OK, bis auf das Ende einmal abgesehen)) oder die Stephen King-Verfilmung
Carrie (1976, beide von Brian de Palma).
In
The Medusa Touch zeichnet Gold eine hauchdünne, aber schnurgerade Linie, die über die nur scheinbaren Umwege der Rückblende direkt zum apokalyptischen Höhepunkt weist. Dabei ist die Szenerie von Anfang an voll mit Zeichen: ein rauchendes Trümmerfeld und Flugzeugwrackteile mitten in London; Bilder einer Mondmission, die schief geht; und dann die bedrohlichen Risse in der Westfassade der neuen Kirche in Westminster, die mit viel Prunk und Protz auf ihre Einweihung wartet. Erst im Laufe des Films wird klar auf wessen Konto Flugzeugabsturz und Raumfahrtdesaster gehen, und dass in Westminster die nächste Hölle wartet. Und langsam begreift Brunel, warum sich Morlars Körper weigert zu sterben. Welthass und Telekinese sind keine gute Kombination: „Ich habe einen Weg gefunden, Gott die Drecksarbeit abzunehmen.“
Zum Schluss überschlagen sich die Ereignisse in einem Finale, das keiner vergisst, der es einmal gesehen hat. Mustergültiger Spannungsaufbau, treibende, dräuende Streicher im Hintergrund. Die Evakuierung kommt zu spät, die Kathedrale stürzt ein. Brunel rast zum Krankenhaus, reißt Morlar die Schläuche raus. Im Fernsehen fallen die letzten Brocken auf ein Meer von Toten herab. Es ist kein Zufall, dass sich seine Zerstörungswut auf dieses Zentralsymbol der britischen Monarchie stürzt. Und wenn seine zitternde Hand dann zum Notizblock greift und den Namen eines Atomkraftwerkes auf das Papier kritzelt, wenn er trotz Herzstillstand die Augen wieder aufschlägt und das EKG ausschlägt, mit Brunels fassungslosem Gesicht auf dem Monitor, und wenn dann der Bildschirm zum Abspann einfriert, dann hat das mehr als nur einen Hauch von Weltuntergang. Intensiver und beklemmender hat ihn kaum einer mehr auf Zelluloid bekommen. Ein schönes, derbes, geniales Anti-Happy End, wie es in Siebzigern fast üblich war. Auch die Musik von Michael J. Lewis ist exquisit, aller beste Spannungsmusik aus dieser goldenen Zeit. Es mag routiniert abwertend oder kokett übellaunig klingen, aber so einen Score hört man heute leider nicht mehr so oft. In Horrorstreifen schon gar nicht.
Es gehört zum Selbstverständnis des Katastrophenfilms, dass Katastrophen ein Grundprinzip der Moderne darstellen - genauso wie die stillschweigende Akzeptanz des Risikos zum Wohle des Fortschritts. Es ist seit dem Untergang der Titanic das gleiche Prinzip, bei dem der Mensch in seinem emanzipatorischen Schöpfungsdrang den Hals nicht voll kriegen kann und sich anmaßt, den Göttern Konkurrenz zu machen. Er baut immer größere Schiffe, höhere Hochhäuser, dickere Dämme, schnellere Flugzeuge. Aber wie Frank Schätzing mal so schön in der
Zeit schrieb: "Götter sind Monopolisten" und lassen sich nicht einfach so in die Parade fahren.
In
The Medusa Touch, einem Meisterwerk des übernatürlichen Thrillers, hat Richard Burton den Nimbus göttlicher Zerstörungsgewalt empfangen, und keiner soll in aufhalten.