J. C. Chandor ist zusammen mit Bennett Miller („Foxcatcher“) und Dan Gilroy („Nightcrawler“) wohl eines der künstlerischen Glanzlichter, die in der Lage dazu sind, den ambitiösen Independent-Sektor des amerikanischen Kinos auch in Zukunft auf lange Sicht zu vitalisieren. Nachdem Chandor zuvor mit „Der große Crash – Margin Call“ und „All Is Lost“ sein Talent als Auteur mehr als nur unter Beweis gestellt hat, folgt mit seiner dritten Spielfilmarbeit „A Most Violent Year“ erneut ein beachtliches Werk, welches sich ganz logisch in das nunmehr überaus hochwertige Œuvre des Filmemachers aus New Jersey eingliedert: Waren „Der große Crash – Margin Call“ und „All Is Lost“ noch stringent auf ihre abgesteckten Räumlichkeiten ausgelegt, eröffnet sich Hauptdarsteller Abel Morales (Oscar Isaac, „Inside Llewyn Davis“) mit New York City eine Umgebung, die ihm alle Möglichkeiten offen hält – Abel aber möchte nur nach oben. Der Immigrant hat die Ölfirma seines Schwiegervaters, ein Mafioso, übernommen, hält allerdings unerschütterlich an den Idealen fest, das Ölimperium ohne fadenscheinige Verstrickungen auszubauen.
Und in dieser Ausgangslage finden wir die thematische Essenz von „A Most Violent Year“ wieder: J. C. Chandor offeriert nicht nur seinen Protagonisten, sondern auch dem Zuschauer die Frage, inwiefern man als isolierte Einzelperson langfristig in der Verfassung dazu sein kann, das Richtige im Dunstkreis des Fals
chen zu bewahren? Die Legalität jedenfalls scheint in diesen Tagen äußerster Gewalt nicht mehr viel Zeit in Anspruch zu nehmen, um endgültig zu kollabieren. Das Jahr 1981, in dem „A Most Violent Year“ angesiedelt ist, ging aus unrühmlichen Gründen in die Stadtgeschichte ein: Die Mordrate schraubte sich beinahe bis in den 2000er-Bereich, über 120.000 Raubüberfälle wurden eingetragen und auf den Straßen tummelten sich weit über 200.000 Junkies, die für den nächsten Schuss jede noch so liederliche Schandtat in Erwägung zogen. New York City war zu jener Zeit ein verrohter Moloch, nicht im Ansatz mit dem von Touristen übersiedelten Hotspot heutzutage zu vergleichen, und Brooklyn, dort, wo „A Most Violent Year“ den Zuschauer abholt, der vermoderte Vorhof zur Hölle.
Das wären die passenden Voraussetzungen, um eine klischierte Rise-and-Fall-Geschichte zu entfalten, in dem irgendein Kleinganove zum tonangebenden Mobster der Region aufsteigt, um dann doch an den Konsequenzen seiner zügellosen Dekadenz zu scheitern. „A Most Violent Year“ aber geht die Sache ganz anders gesagt, Abel Morales ist kein Gangster, er versucht, wie gesagt, das Richtige zu tun und der Delinquenz den Rücken zu kehren, auch wenn sie ihre knochigen Griffel schon längst um sein florierendes Unternehmen geklammert hat. Immer wieder werden Abel mehrere zehntausend Liter Erdöl entwendet und seine Fahrer brutal verprügelt, was auch seine Frau Anna (Jessica Chastain, „
Interstellar“) in höchste Alarmbereitschaft versetzt – Erst recht, als ein Unbekannter versucht, sich Zugang in die aus Stahlbeton errichtete Festung der Morales zu verschaffen. Je mehr sich Abel von all der Illegalität distanzieren möchte, desto stärker wird er von der Spirale der Gewalt angesaugt, die ihn irgendwann noch vor eine folgenschwere Entscheidung stellt. Dabei wird immer deutlicher, dass Abel auf zwischenmenschlicher Ebene den Geist aufgegeben hat.
Seine Kinder sind unlängst zu Randgestalten in seiner Welt geworden, Gespräche mit seiner Frau drehen sich allein um das Unternehmen, um den Erfolg, den Profit – Abel funktioniert nur noch geschäftlich. Grundsätzliche Fragen, wie die seines Anwalts und Beraters Andrew (Albert Brooks, „
Drive“), warum er diesen Weg überhaupt geht, kann er nicht beantworten. Es geht ihm um ein Prinzip, welches sich ihm selbst offenkundig zu abstrakt präsentiert, als dass er sinnstiftend in Worte fassen könnte, warum er kämpft. Aber gerade da gebiert „A Most Violent Year“ die Ambivalenzen, die für einen so auf innere Charakter-Dynamik fokussierten Film auch essentiell sind: Abel möchte ehrliche Arbeit leisten, nicht, weil ihm am Wohl seiner Mitmenschen gelegen ist, weil er einer eindrücklich pazifistisch-integeren Ideologie folge leistet, sondern einfach aus dem Grund, weil ihm das Geschäft nicht plötzlich absacken soll. Selbst das – vordergründig – ehrenwerte Beharren auf eine klare Moralität ist hier noch Abstrahleffekt einer getriebenen Erfolgsorientierung, die Allgegenwart von Gewalt aber stellt auch Abel auf den Prüfstand.
Gewalt nämlich ist neben ihrer archaischen Bestialität auch immer eine einschüchternde Option. Dass J. C. Chandor es größtenteils vermeidet, explizite Brutalitäten zu visualisieren und sie vielmehr, genau wie die entrückte Skyline von Manhattan, immer in den Hintergrund streut, macht ihren pulsierenden Charakter umso bedrückender, beschleicht den Zuschauer doch permanent dieses kratzende Gefühl eines ungeheuren Unwohlseins, als wolle dort etwas unter die eigene Haut krauchen. Ohnehin aber überzeugt „A Most Violent Year“ auch durch seine ausgeklügelte Atmosphäre, die sich aus geschickt platzierten urbanen Impressionen und der Kombination mit den sepiagetränkten Aufnahmen selbst speist, während ein Großteil der Handlung natürlich allein auf verschneiten Hinterhöfen und Industriekomplexen ausgetragen wird. Weniger auf ein akkurates Zeitkolorit bedacht, geht es J. C. Chandor um Befindlichkeiten, um Stimmungen und Zustände, die sich alle von der Gier dirigieren lassen, schnellstmöglich den amerikanischen Traum zu verwirklichen: Das destruktive Ausmaß des Kapitalismus zeigt seine Fratze erst, wenn der Blick in den Spiegel zum Ding der Unmöglichkeit wird.
Cover & Szenenbilder: © FilmNation Entertainment, Participant Media.