Oha! Es könnte gut möglich sein, dass wir hier, also Du mein geneigter Leser, das Team von Mannbeisstfilm, sowie ich höchstselbst eine waschechte Premiere an dieser Stelle feiern: Mit „Cargo“ schaue ich meinen allerersten Schweizer Film, soweit mir das bewusst ist! Jubel! Und „Cargo“ selbst stellt sogar für die Schweiz eine Premiere dar, immerhin ist es der erste waschechte Schweizer Science-Fiction Film, und holla die Waldfee – soviel schonmal an dieser Stelle – zumindest sehen lassen kann sich der Streifen auf jeden Fall. Aber, das muss man genauso zugeben, wo er großen US-Produktionen optisch kaum nachsteht, macht er ihnen in Sachen Dummheit und Logiklöchern auch enorm Konkurrenz – wenn er sie nicht sogar toppt.
Doch erstmal zur Handlung: Im Jahr 22xx ist die Erde unbewohnbar geworden. Die Menschheit lebt auf (scheinbar) einer einzigen Raumstation, die den blauen Planet umkreist. Nur die Kolonie Rhea verspricht Abwechslung vom tristen Alltag. Die junge Ärztin Laura heuert auf dem Frachter „Kassandra“ der Evil Corporation© „Kuiper“ an, um sich das nötige Kleingeld zu verdienen, damit sie zu ihrer Schwester ziehen kann, die bereits auf Rhea lebt. Ziel der Reise: Station 42, wo die Unmengen an Baumaterial entladen werden sollen, um irgendwann einen Startpunkt für Reisen in entfernte, bewohnbare Systeme zu haben. Da die Terroristenorganisation rund um Klaus Bruckner bereits mehrere Anschläge vollführt hat, wird die sechsköpfige
Crew noch von Sicherheitsmann Decker begleitet. Die lange Reise dauert hin und zurück jeweils vier Jahre, so dass immer nur ein Crewmitglied wach ist. Nach knapp 3 ½ Jahren ist Laura an der Reihe und bemerkt schon bald ungewöhnliche Dinge. Schließlich weckt sie den Rest der Crew auf, als in der Schleuse zum Laderaum etwas oder jemand zu leben scheint. Schon bald gibt es das erste Todesopfer, doch in dieser Zukunftsvision ist nicht alles so wie es scheint...
Kommen wir doch erst einmal zu den positiven Seiten, bevor das Herziehen über den Film so richtig anfängt: die Optik ist wirklich bemerkenswert! Gut, bei den Außenszenen, wenn die „Kassandra“ auf ihrer Reise gezeigt wird, ist die Illusion nicht ganz perfekt. Immer wieder kann man erahnen, dass man eine Computergrafik vor sich hat. Das soll aber nur eine kleine Anmerkung am Rande sein, es fällt nicht wirklich negativ auf. Die Innenräume der Kassandra sind zu weiten Teilen sicherlich auch computerunterstützt, aber das weiß man nur, da beispielsweise der gigantische Frachtraum sicherlich nicht gebaut wurde. Ansonsten bedient man sich designmäßig natürlich munter vor allem bei Alien: „Kassandra“ könnte quasi auch „Nostromo“ heißen, spärlich beleuchtete Gänge voller dunkler Nischen, blinkende Lichter und ein labyrinthartiges Gewirr von Schächten – lieber gut geklaut als schlecht selbst gemacht. Kein Wunder, dass Herr Giger sich auf dem Cover der DVD positiv äußerte. Zusammengefasst sieht der Film für das begrenzte Budget von umgerechnet knapp 3 Millionen Euro schlichtweg hervorragend aus. Respekt!
Auch das die Story sich überraschend viel Zeit lässt, ist zumindest für mich ein Pluspunkt. Der Film erinnert über weite Strecken weniger an die Hektik eines Event Horizon als vielmehr an das meditative Tempo eines
Sunshine und nimmt sich durchaus die Muse, uns mehrere Sequenzen des „täglichen“ Lebens von Laura während ihrer einsamen Schicht zu zeigen. „Cargo“ ist somit ein unaufgeregter, eher gemächlicher Film, der fast nie auf vordergründige Schockeffekte setzt.Gerade zu Beginn ist die Atmosphäre tatsächlich sehr dicht, da der Zuschauer eigentlich nie mehr weiß als Laura, so dass die unauffälligen Schatten im Bildhintergrund sogar noch bedrohlicher wirken, als sie es ohnehin schon tun.
Insofern kann man „Cargo“ rein konzeptionell durchaus der Hard-Sci-Fi zurechnen, da er eben nicht den Fantasieeinschlag eines „Krieg der Sterne“ besitzt, sich aber viel mehr Gedanken über die Funktionsweise des Schiffes und die Möglichkeiten der Bewältigung einer so langen Reise macht, als es etwa andere Science-Ficion-Filme mit ähnlichem Sujet tun. Und genau hier liegt dann das größte Problem des Films: neben der Story ist auch die Konzeption der „Kassandra“ und der Zukunftsvision im allgemeinen leider fast völlig in die Hose gegangen. Um diese Behauptung nun im folgenden etwas belegen zu können, ist es leider unumgänglich, einige Dinge zu verraten. Ich versuche trotzdem, zentrale Handlungselemente im Dunkeln zu lassen, einzelne Szenen werde ich aber ansprechen müssen. Von daher an dieser Stelle:
Spoilerwarnung.
Fatalerweise lässt sich Regisseur Engler zu ein paar wahrhaft billigen Szenen hinreißen, die nur der Tempoerhöhung und kurzfristiger Spannung dienen, dabei aber leider überhaupt keinen Sinn ergeben. Konkret rede ich dabei vor allem von zwei Szenen: Laura und der inzwischen erwachte Decker untersuchen den Frachtraum, als das gigantische Tor sich zu schließen beginnt. Was folgt ist ein schnelles Rennen zum Ausgang, und natürlich schaffen sie es in letzter Sekunde; zu dem Film trägt das quasi nichts bei, außer das dadurch das Tor repariert werden muss, aber das hätte man sicherlich auch anders hinbekommen. So bleibt sie eine vordergründige Szene, die zum Rest nicht so richtig passen will. In einer zweiten Erkundung später gerät Laura in große Gefahr, als die Container sich auf einmal zu Bewegen beginnen. Natürlich kommt sie wieder mit dem Leben davon. An dieser Stelle dachte ich mir schon zum x-ten Male den Satz: „Wer baut sowas? Was soll das überhaupt?“, bis der Film die Erklärung liefert, dass die Container regelmäßig umgeschichtet werden, um nicht aneinander zu frieren (das Schiff ist quasi nur in den Lebensbereichen der Crew minimal geheizt, Hard-Sci-Fi eben). Gut, mit dieser Erklärung könnte ich leben. Aber warum scheint der Containertrakt keine Sicherung zu haben, dass eben nicht umgeschichtet wird, wenn die Schleuse geöffnet ist und sich Menschen dort befinden? Todesopfer vorprogrammiert! Solche Fahrlässigkeiten bei der Konzeption widersprechen eben dem Gedanken der durchdachten Science-Fiction-Welt, den „Cargo“ zu etablieren versucht.
Und dieser Gedanken „Wer baut sowas?“ in wiederholter Form führt eben dazu, dass der Film irgendwann zum Ärgernis wird. Dass die Haare und Fingernägel in diesen „Schlaftanks“ nicht wachsen, kann man sich ja problemlos mit der Flüssigkeit in ihnen erklären – ist halt Zukunft. Nur, und hier wären wir wieder bei der Hard-Sci-Fi, ist es schlichtweg ärgerlich, dass der Film seine eigene Idee der isolierten Crew vergisst und beispielsweise nie den Fakt anspricht, dass alle Crewmitglieder wach sind, und somit ja weder Sauerstoff noch Verpflegung für den Rückflug reichen können. Keiner macht sich darüber Gedanken, so dass die ganze Idee mit der schlafenden Crew absolut pointless wirkt. Wenn dann gegen Ende die Triebwerke der „Kassandra“ neu zünden möge man sich bitte mal auf der Zunge zergehen lassen, in welche Richtung sie dies tun (schwer zu beschreiben ohne Spoiler), und was die Aktion am Ende überhaupt bringen soll, habe ich nichtmal ansatzweise begriffen (auch hier wieder spoilerfrei. Mit Spoiler gerne in den Kommentaren). Darüber verliert sich der Film noch in ein paar Subplots, die er leider auch links liegen lässt, da er scheinbar merkt, dass diese nicht so richtig funktionieren wollen; dass die Evil Corporation© „Kuiper“ ein Terroristenproblem hat, ist leider insofern uninteressant, weil Terroristenführer Bruckner in seinem Werbevideo nicht minder Evil und wie ein armer Irrer wirkt.
Dazu gesellen sich leider noch ein paar handwerkliche Fehler, wie etwa der fehlende Atemdampf im Frachtraum. Das ist schade, aber soll jetzt den Film nicht scheitern lassen; ärgerlicher sind da ein paar Continuity- bzw. Logikprobleme wie etwa dass Laura einen verschlossenen Container mit Handschuhen und Atemmaske untersucht, den Inhalt später aber ohne. Auch dass die Kontamination der Flüssigkeit in den Schlaftanks andere Auswirkungen hat als gedacht – ich will ja gar nicht vermuten, dass die Auswirkungen im Film wechseln... - ist eher seltsam. Einsames Highlight ist dann nach ungefähr 2/3 des Films, wenn Laura sich wieder mal ihrer Haut erwehrt, durch einen gezielten Schuss gerettet wird, eine gefundene Kiste untersucht, und sich erst Minuten später fragt, wer da eigentlich geschossen hat! Gott, ist das dämlich!
Aber handwerklich ebenso Klasse wie der Film ist die DVD aus dem Hause Ascot, vielen Dank wieder für das Rezensionsexemplar. Unter einem Schuber mit einem Hologrammcover, das das Überzeugendste in meiner Sammlung sein dürfte, der Effekt ist einfach super gelungen, verbirgt sich eine Amaray mit Wendecover, die gleich zwei DVDs beinhaltet. Das FSK-Logo über dem Schuber ist auch nur ein Aufkleber, der sich problemlos entfernen lässt. Tolle Sache insgesamt, auch wenn ich mir bei der Tonmischung die Sprache teilweise etwas verständlicher gewünscht hätte.
Somit ist „Cargo“ ein handwerklich über weite Strecken gut gemachter, visuell hervorragender wenn auch nicht sonderlich origineller Science-Fiction-Streifen, und mir damit schonmal deutlich lieber als ca. 85% des deutschen Filmoutputs. Allerdings ist der Film ebenso unglaublich doof und hirnerweichend lächerlich, wenn man erst einmal anfängt, darüber nachzudenken. Tut man das nicht, kann man ihm vielleicht mehr abgewinnen.
Mit Ach und Krach, Hängen und Würgen sowie einer dicken Portion Schweizer Underdog-Bonus reicht es so gerade noch für vier Sterne.