1983 tönte die Chefredaktion des Stern großspurig: "Große Teile der deutschen Geschichte müssen neu geschrieben werden". Das Magazin hatte für die stolze Summe von 9,3 Millionen Mark die Tagebücher von Adolf Hitler – immerhin 62 Bände! – erworben und am 28. April des Jahres begonnen, sie abzudrucken. Nur eine Woche später stellte sich heraus, daß die Tagebücher Fälschungen waren: Der Stern und seine Mitarbeiter waren dem Kunstfälscher Konrad Kujau auf den Leim gegangen, der die Tagebücher selbst verfaßt und dem Reporter Gerd Heidemann angedreht hatte. Kujau und Heidemann wurden wegen Betrugs zu mehrjähriger Haft verurteilt, und die Geschichte stand als eine der größten Blamagen der Journalismusgeschichte da.
Helmut Dietl, der zuvor mit den bissigen Fernsehserien KIR ROYAL und MONACO FRANZE aufgefallen war, griff den Stoff Anfang der Neunziger für sein Kinodebüt auf (fast parallel wurde in England die Geschichte in einer TV-Miniserie mit Jonathan Pryce namens SELLING HITLER erzählt). Sein SCHTONK! ist eine grelle Satire, die mit überzeichneten Figuren und süffisantem Witz die absurde Farce um die Tagebücher als eine Geschichte des Opportunismus, der unkritischen Hörigkeit und der fast bedingungslosen Faszination rund um eines der dunkelsten Kapitel der menschlichen Geschichte erzählt. Mit anderen Worten: Die Welle der Unterwürfigkeit
, die die Figuren hier in der Begegnung mit dem verstorbenen Führer erfaßt, kann durchaus auch als Parallele zu jenem Mitläufertum verstanden werden, das um sich griff, als er noch lebte.
Götz George spielt den Journalisten, der auf die Spur der Tagebücher kommt, und es mag eine seiner besten Rollen sein: Sein Hermann Willié (also das Pendent zu Heidemann) ist ein schmieriges, rückgratloses Wiesel, das opportunistisch buckelt, später dem Größenwahn anheimfällt, und ständig salivierend von einem "Knüller" redet; George spielt ihn mit einer fast grenzenlos aufrichtigen Unaufrichtigkeit, mit fiebrigem Blick und unbeholfener Körpersprache im Umgang mit der vermeintlichen Hinterlassenschaft des Führers, und er ist allein deshalb schon abstoßend, weil er beständig geräuschvoll seine Nebenhöhlen freimacht. Zu Beginn kauft Willié die heruntergekommene Jacht des ehemaligen Reichsmarschalls und versucht dann, sie dessen Nichte (Christiane Hörbiger!) mit Lobgesängen auf ihren Onkel anzudrehen – wobei er gleichsam auch bereit ist, mit der weitaus älteren Frau eine Liaison einzugehen, sie aber gleichzeitig am Frühstückstisch wegen ihrer bitteren Orangenmarmelade verlassen will und sie zurechtweist: "Ich kann mit keiner Frau zusammen sein, die mir nicht gehorcht".
Willié stolpert über den Kunstfälscher Fritz Knobel (Uwe Ochsenknecht), der sich als Kunstprofessor ausgibt und gerade ein Nacktgemälde von Eva Braun ("ein allerechtester Hitler") an einen Altnazi verkauft hat. Knobel dreht Willié ein vermeintliches Tagebuch von Hitler an, und der rennt zur Verlagsleitung eines großen deutschen Magazins, die für immer mehr Geld immer mehr Bände dieses "sensationellen Fundes" erwerben, das angeblich bei Kriegsende per Flugzeug ins Ausland geschafft werden sollte, aber nach dem Absturz der Maschine in der späteren DDR in irgendwelchen ominösen Kisten im Ostblock verborgen sei. Knobel macht sich also an die Arbeit, weitere Bände der geheimen Gedanken des Führers zu verfassen und dann mit ein paar geschickten Handgriffen auf alt zu trimmen – wobei seine Ausführungen an plumper Banalität nicht zu übertreffen sind. "Die übermenschlichen Anstrengungen der letzten Tage verursachen mir Blähungen im Darmbereich, und Eva sagt, ich habe Mundgeruch", soll Adolf da also verfaßt haben, und die gesammelte Chefetage des Magazins wird gleichsam ohnmächtig und feucht, weil sich Hitler so sehr von seiner menschlichen Seite zeigt. "Ein einfacher Mensch wie du und ich", nicken die Journalisten begeistert.
Viele Details der wahren Geschichte werden in SCHTONK! eingeflochten – so zum Beispiel die Tatsache, daß Schriftstücke, mit denen ein Schriftvergleich zur Feststellung der Authentizität der Tagebücher durchgeführt wurde, teilweise ebenfalls von Knobel bzw. Kujau stammten. Oder die Kuriosität, daß die Initialen auf den Tagebüchern "F.H." lauteten, was freilich ganz klar für "Führer Hitler" oder für "Führer-Hauptquartier" stehen mußte. Dietls Witz ist dabei selten subtil: Wenn Uwe Ochsenknecht sich beim Schreiben der Tagebücher versehentlich Tinte in Form des Hitlerbartes ins Gesicht schmiert, ist das natürlich kein hintergründiger Humor – aber der Tonfall paßt zur hirnrissigen Absurdität der ganzen Geschichte, die hier genauso albern zum Besten gegeben wird, wie sie es nachträglich auch ist. "Habe gerade die Olympischen Spiele eröffnet. Die Veranstaltung ist ausverkauft. Hoffentlich kriege ich für Eva noch eine Karte", schreibt Knobel auf, und natürlich liegt der Witz nicht nur in der Diskrepanz zwischen der plumpen Alltäglichkeit und dem Gewicht der tatsächlichen Geschichte des Dritten Reiches, sondern auch darin, daß derartige Banalitäten tatsächlich 1983 für eine weltbewegende Sensation gehalten wurden.
Entsprechend zeichnet Dietl auch die ganze Riege der Figuren: Nicht ein einziger, vernünftiger Mensch weit und breit. Die Chefredaktion, die noch zu Beginn vehement äußert, daß sie "niemals Hakenkreuze aufs Titelbild" nehmen werden, hechelt nach den Tagebüchern und verkündet das einleitende Zitat. Der Inhaber des Magazins, der noch anfangs angeekelt von "braunem Mief" redet, redet plötzlich davon, wie ihn "der eisige Hauch der Geschichte anweht", und öffnet mit zittriger Hand ein versiegeltes Tagebuch, nachdem ihm Willié mit weitaufgerissenen Augen erklärt hat: "Ich habe nicht gewagt, das Siegel zu brechen, mein Führer – äh, Herr Doktor". Knobel schreibt sich bis in den Fieberwahn, bis er erklärt, daß er "die Handschrift des Führers besser beherrscht als seine eigene". Bei einem Treffen von Altnazis (anläßlich des Führergeburtstags!) wagt es der Gastgeber kaum, das Tagebuch zu öffnen, bis ihm ein ehemaliger SS-Offizier versichert: "Öffnen Sie es, Kamerad, ich übernehme die volle Verantwortung".
Zum Schluß fliegt die ganze Geschichte natürlich – wie im wahren Leben – auf, und alle Beteiligten stehen – dito – als Vollidioten da. Die Geschichte wie auch der Film führen uns vor, wie sehr wir immer noch in Ehrfurcht erstarren, wenn es um den Führer und sein zwölfjähriges Reich geht. Wie groß unsere Faszination für dieses Kapitel immer noch ist, und das nicht immer aus historisch motivierten Gründen. Und, ganz ehrlich: Die Rechtsparteien gewinnen an Popularität, im Fernsehen werden zigfach Jubiläen aus Kriegstagen mit der dazugehörigen Bilderflut abgespult, im Kino untermauert Tom Cruise die Ikonographie der Geschichte als Actionspektakel, beim Elektromarkt um die Ecke liegen Stapel von Billig-DVDs über "Hitlers Weg zur Macht" herum, und im Buchhandel können wir uns eingehend mit Hitlers Frauen, Autos, Hunden und Schulkameraden beschäftigen – so schnell werden wir die alten Irren nicht los.