Wer Panik beim Gedanken an eine dicke, behaarte Spinne verspürt, welche sich in den eigenen vier Wänden in irgendeine dunkle Ritze verkrochen hat, um dort womöglich so lange zu verharren, bis sich ihr eine Gelegenheit bietet, über die nackte Haut des Betreffenden zu kriechen, der kann sich wahrscheinlich recht gut in die Situation des jungen Architekten Félix (Andoni Gracia) hineinversetzen.
Nur dass Félix es in seinem Fall nicht wirklich mit einem aufdringlichen Krabbeltier zu tun hat…
Der Besitzer eines üppigen Anwesens hat sich gerade frisch von seiner Freundin Vera (Mónica López) getrennt und trauert in seinem einsamen Reich zwischen gepackten Umzugskartons noch immer der vergangenen Liebe hinterher.
Dass Félix ein angsterfüllter Mensch ist und auf ein unerwartetes Eindringen in seine Privatsphäre mit großer Panik reagiert, deutet sich schon früh bei einem spontanen Besuch Veras an.
Sein Kummer schlägt dann wenig später in ein Gefühl von völliger Paranoia um, als sich sein vielleicht schlimmster Albtraum in Form eines unbekannten Besuchers manifestiert:
Ein Mann klingelt eines Abends an Félix' Tür und bittet diesen darum, einmal sein Telefon benutzen zu dürfen.
Nach anfänglichen Bedenken gestattet er ihm den Anruf und verlässt kurz das Zimmer.
Bei seiner Rückkehr ist der Mann spurlos verschwunden – ohne einen Hinweis darauf, dass er auch wirklich das Haus verlassen hat.
In der Nacht vernimmt Félix dann eigenartige Geräusche und sieht bedrohliche Figuren in den Schatten.
Spielt ihm nur sein aufgelöster Verstand einen Streich oder befindet sich sein mysteriöser Gast noch im Haus…?
„Uncertain Guest“, das Spielfilm-Debüt des Spaniers Guillem Morales, erinnert in positivstem Sinne sehr an den stillen Nervenkitzel von M. Night Shyamalans Meisterwerk „The Sixth Sense“ (1999).
Ohne zu versuchen, die Zuschauer mit platten Terroreinlagen bei der Stange zu halten, gelingt es dem Regisseur durch einfachste Mittel, geradezu Hitchcock’schen Suspense heraufzubeschwören und selbst nach Aufdecken der ersten Spielkarte die Spannung nicht abfallen zu lassen.
Keine Frage – Morales ist ein Newcomer, den man nach einem solch aufregenden und interessanten Einstand unbedingt im Auge behalten sollte.
Allein das Selbstbewusstsein, bereits nach der ersten Filmhälfte einen Punkt zu setzen und die Geschichte von diesem aus in eine zwar andere, aber absolut nicht unpassende Richtung zu lenken, zeugt von einem Talent, das sich nicht scheut, im Dienst eines innovativen Gesamtbildes auch sämtliche Genre-Konventionen oder Zuschauererwartungen außen vor zu lassen.
Diese Aussage soll nun aber keineswegs bedeuten, dass es dem Regisseur nicht gelungen sei, im Rahmen seines Konzeptes Szenarien beklemmenden Grusels zu kreieren.
Im Gegenteil: Ebenso wie der zuvor genannte Shyamalan, versteht Guillem Morales offensichtlich sehr genau, dass echter Horror einem
Gefühl entspricht, das sich nicht durch alle Splattereinlagen oder Blutfontänen dieser Welt erzeugen lässt.
Um den Zuschauern dieses Gefühl zu vermitteln, muss man sie vielmehr tief in das Geschehen vor ihnen tauchen und sie die Furcht der Protagonisten hautnah selbst spüren lassen.
Das zu erreichen ist eine Kunst, die vor allem heutzutage nicht mehr viele Filmemacher beherrschen.
Tatsächlich tappt man anfangs – genau wie der verstörte Hausherr – im Dunkeln, was das rätselhafte Verschwinden des Unbekannten angeht.
Da die Vorstellung eines menschlichen Parasiten in den eigenen vier Wänden zwar wahrlich grotesk aber dennoch so beängstigend real anmutet, teilt man mit Félix den Splitter, der sich hartnäckig in seinem Hirn festgebohrt hat und ihm schließlich ein angenehmes Weiterleben unmöglich macht.
Etwas muss passieren – nur was?
Die Polizei findet bei ihrer Durchsuchung keinen ungebetenen Mitbewohner, doch Félix spürt, dass noch jemand im Haus umherschleicht.
Das Grauen, das ihn bei dem Gedanken daran erfüllt, lässt Assoziationen zu solchen Schreckensvisionen zu, welche einst der große Edgar Allan Poe in seinen Geschichten und Gedichten verarbeitet hat.
Obwohl „Uncertain Guest“ ohne Zweifel vor allem anspruchsvoller Mystery-Horror ist, greift einen das Geschehen am Ende da, wo man es zunächst vielleicht gar nicht so sehr erwartet hätte.
Ein bedeutendes Thema des Films lautet übrigens
Einsamkeit – so viel darf (ohne groß spoilern zu wollen) bereits verraten werden...
Fazit: Ein wirklich sehr gelungener und intelligenter Genre-Geheimtipp, den man sich nicht entgehen lassen sollte!