Nach seiner erfolgreichen Rückkehr ins Zombiefilmgenre mit
Land of the Dead (20 Jahre nach dem eigentlichen Abschluss der Dead-Trilogie,
Day of the Dead) hat sich George A. Romero nun eine andere Herangehensweise an das altbekannte und recht ausgetretene Thema überlegt: Minimalistischer sollte der Neue werden, weniger episch und effektlastig angelegt als
Land, dafür aber natürlicher, direkter, unmittelbarer: Mit Handkameras, ja mitunter sogar Handys sollte der Siegeszug der Zombies gefilmt werden,
Blair Witch Project,
Cloverfield oder neuerdings
[Rec] lassen grüßen. Mag diese Entscheidung auch Romeros Zerwürfnis mit seinen ehemaligen Produzenten und dem damit nun sehr übersichtlichen Budget geschuldet sein, ist sie nichtsdestotrotz sehr zu begrüßen; denn obwohl
Land beiliebe kein schlechter Film war, fehlte ihm doch die kantige Schärfe der früheren Romeros, die sich in den ansehlichen, aber mitunter zu glatten Mainstreamoptik nicht entwickeln konnte. Dies soll sich also ändern - mit
Diary of the Dead, des Altmeisters neuestem Streich.
Was wir nun sehen, ist nicht etwa ein neuer Zombiestreifen - nein, weitgefehlt; es ist, wie uns mitgeteilt wird,
The Death of Death, ein Dokumentarfilm über den Ausbruch der Zombieplage, zusammengestückelt aus Youtube-Videos, Nachrichtenbildern - und nicht zuletzt dem Filmmaterial einer Studententruppe, die eigentlich nur einen Independent-Horrorfilm drehen wollte, als sie unfreiwillig mitten in den Anfang des Untergangs geriet. Das zum Zeitpunkt des Zusammenschnitts all dieses gesammelten Material nicht mehr alle Charaktere am Leben sind, darf nicht nur vermutet werden, nein, es wird ganz deutlich, wenn die (einzige?) Überlebende als Hintergrundstimme direkt zum Zuschauer spricht und ihm erzählt, dass sie das Videomaterial anstelle des eigentlichen Regisseurs schnitt, der aus nicht weiter erklärungsbedürftigen Gründen nicht mehr dazu in der Lage ist.
Wir sehen das erste Video des Ausbruchs, den Check-Up eines Kameramanns kurz vor dem News-Dreh. Die Korrespondentin macht sich noch bereit, Filmerlaubnisse werden eingeholt, Testeinstellungen gemacht; im Hintergrund Krankenwagen, Tote auf Bahren, Rettungsdienst. Dann das übliche Nachrichtenbild: Die jetzt zurechtgemachte Korrespondentin berichtet live und direkt mit newstypischer Stimmlage über ein tragische Familiendrama, das für alle Beteiligten tödlich ausging. Doch plötzlich ein Detail im Hintergrund: Eine leichte Bewegung geht durch eine der Leichen, ein Arm hebt sich - und mit einem Mal bricht die Hölle los. Die Kamera zoomt hinein, das Bild verwackelt, jedoch nicht ohne einen Blick auf die gar nicht so Tote zu erhaschen, die sich jetzt über einen Sanitäter hermacht. Dann hektische Bewegungen, Schreie, Laufbewegungen; das Letzte, was wir sehen, ist die mittlerweile ganz und gar nicht mehr aufgeräumte Korrespondentin, die einer Attacke der wieder Auferstandenen zum Opfer fällt. Der Kameramann hingegen überlebt. Stellt das Video ins Internet. Und löst damit eine Panik aus.
Die Hintergrundsprecherin, Debra ist ihr Name, erzählt uns den Versuch der Medien, durch Retusche, Schnitt oder ganz einfach gezielte Desinformation die Wahrheit zu verwischen, um eine Ausbreitung der Panik zu verhindern. Damit aber treibt sie die sich nun im Stich gelassen fühlenden Menschen, aus Angst und Neugier informationshungrig, in den Bereich ungefilterter Wahrheiten, genauer: das Web 2.0. Dort suchen sie ihr Heil, suchen nach Gleichgesinnten, ebenfalls Enttäsuchten, Desillusionierten, die der Regierung keinen Glauben mehr schenken, freuen sich über jeden verwackelten Videoschnippsel, nur um den Blick auf etwas Wahres zu erhaschen.
Der sozialkritische Ansatz steht in
Diary of the Dead deutlich stärker im Vordergrund als beim Vorgänger. Hier ist er Pate des Films, ja, dessen Grundlage. Dadurch, dass wir im Folgenden den verzweifelten Roadtrip der aufgelösten Filmstudenten nicht aus der Sicht einer neutralen und distanzierten Kamera, sondern aus der Hand eines der Charaktere bekommen, sind nicht nur wir live dabei, sondern auch viel empfänglicher für die Faszination der Sensations-, der Neugier. Beim Dreh des eigentlich geplanten Horrorfilms gestört, ist die Kamera bei der anschließenden Flucht erst quasi noch zufällig an und filmt den immer aussichtsloser scheinenden Überlebenskampf der jungen Menschen; doch je weiter der Film voranschreitet, desto fragwürdiger wird das "Draufhalten" des Regisseurs. Dadurch, dass dieser ja einer Studenten ist und somit mitten in der Handlung steht entbrennen erbitterte Konflikte, wenn er etwa tatenlos filmt, wie sich seine Freunde gegen aggressive Untote zur Wehr setzen. Er isoliert sich immer mehr von den Anderen, verschmilzt fast mit der Kamera, sieht die Welt nur noch durch eine Linse. Dies wird grandios hervorgehoben, wenn die Studenten plötzlich an eine zweite Kamera gelangen und die Freundin des Regisseurs - es ist Debra - den Filmenden nun selbst filmt und ihn seines Schutzes, der eigenen "Unsichtbarkeit" beraubt: Plötzlich sehen wir ihn da stehen, aus dessen Augen wir gerade eben selbst noch das Geschehen verfolgten, gar nicht mehr so überlegen, sondern irgendwie hilflos mit der Kamera, die er da trägt - und er bekommt einen Namen, Jason.
Zum Glück aber bleibt der Film hier nicht stehen, sondern geht in seiner Sektion der Schaulust noch weiter: Die Anderen, die Jason vorher geschlossen kritisierten, bekommen einer nach dem anderen selbst die Kamera in die Hand - uns können sich der kribbelnden Faszination nicht erwehren. "Ich muss das filmen!" Dass dabei der Zuschauer immer wieder selbst vorgeführt wird, ist klar. Das gelingt Romero mal mehr, mal weniger gut, einmal jedoch ganz hervorragend: Wir befinden uns im Krankenhaus, eine Studentin ist verletzt und braucht Hilfe. Die Gruppe teilt sich zu diesem Zwecke auf, Jason folgt der einen Hälfte. Nach einem blutigen Intermezzo sind nicht nur die Überlebenden erschöpft, auch die Kamera quittiert ihren Dienst und will aufgeladen werden - also an die Steckdose damit. Da rufen plötzlich die Anderen um Hilfe - Jasons Truppe läuft herbei, nur Jason bleibt zurück und mit ihm der Zuschauer. Wir können, an ein Stromkabel an die Wand gefesselt, nicht richtig um die Ecke sehen, hören beunruhigende Geräusche, wissen aber nicht, was passiert. Wir verfluchen den Kameraakku, wollen endlich mit eigenen Augen sehen, was dort hinten vor sich geht - und bemerken dabei zu spät, dass wir Romero auf den Leim gegangen sind, der sich derweil ins Fäustchen lacht.
Diary hätte großartig werden können; die obige Beschreibung seines Potentials, seiner Neuerungen machen das hoffentlich deutlich. Nie wurde eine Handkamera so unmittelbar, so geschickt in das Geschehen eingeflochten; die Konflikte, die wunderbaren Situationen, die sich aus dieser Grundidee ergeben, wurden bestens ausgereizt. Die Bilder versprühen einen ungemein kritischen Ton, der mitunter geradezu beißend wird. Was also ist schief gelaufen, sodass Romeros neuester Streich letztlich doch nur ein guter Film geworden ist?
Es sind hauptsächlich zwei Punkte: Erstens sind da die Effekte. Die teilweise recht blutig und durchaus einfallsreich geratenen Sauereien, die natürlich nicht fehlen dürfen, wenn sie auch weniger heftig geraten als in den Vorgängern, leiden unter zwei Krankheiten. Die eine heißt CGI - fast sämtliche Effekte sind computergeneriert, was man ihnen leider durch die Bank weg ansieht und mit der realistischen Atmosphäre bricht. Die andere heißt Humor, genauer: eine recht seltsame Auffassung desselben. Immer wieder streut Romero in den eigentlich bierernsten Film geradezu slapstickhafte Szenen ein (eben meist im Zusammenhang mit dem roten Lebenssaft), die fast schon japanisch anmuten. Das deutlichste Beispiel ist wohl Samuel, ein stummer Hillbillie-Farmer, der die Studententruppe mit einem Schild warnt: "Hinter Euch!" Als die Erschreckten die in ihrem Rücken aufgetauchten Zombies sehen, zerfetzt Samuel sie bereits mit einer Ladung Dynamit. Während noch die rauchenden Fleischklumpen zu Boden fallen, schreibt der Farmer: "Hello! My name is Samuel." Das mag man mögen oder nicht, mich hat es schlicht seltsam berührt zurückgelassen - es passt nicht so recht in den Rest des Films.
Der zweite, deutlich gravierendere Kritikpunkt: Die Altklugheit des Films. Nicht nur, dass der dauersarkastische Professor, der die Studenten begleitet, einen ausgeleierten Spruch nach dem anderen bringen muss, der den vorigen an desillusionierter Resignation bei weitem übertrifft, nein, Debra kann es einfach nicht lassen, mit abgeklärter, ja fast gelangweilter Stimme sich selbst erklärende Bilder noch einmal umfassend zu kommentieren, damit der geneigte Zuschauer auch keinesfalls die Sozialkritik des Films verpasst. Schade, denn so geht die eigentliche Subtilität des Films immer dann flöten, wenn Debra ihren allzu altklugen Mund aufmacht.
Zur Entwarnung sei gesagt, dass beide Kritikpunkte (bis auf den CGI-Aspekt) immer nur in bestimmten Szenen und nicht etwa den gesamten Film hindurch auftreten und somit zwar störend, aber nicht zerstörend wirken.
Diary of the Dead ist auch mit seinen Fehlern ein gelungener Beitrag zum Untotenfilm geworden, der endlich wieder frischen Wind ins Genre bringt. Die Wahrheitsvertuschung der Medien wie auch das lawinenartige und letztlich genauso falsche Informationswirrwarr des Web 2.0 werden in einem Zug mit der Schaulust des Menschen kritisiert, die hier trefflich demaskiert wird. Der Film ist fast schon ein guilty pleasure zu nennen, wenn auch die Betonung auf letzterem liegt. Ob einem diese Mischung zusagt, muss man entscheiden, indem man sich Romeros Werk selbst zu Gemüte führt. Der alte Herr hat's verdient.